Rezension zu Lebensgeschichten rechtsextrem orientierter Mädchen und junger Frauen
Forum Qualitative Sozialforschung
Rezension von Silke Baer
Michaela Köttigs Buch schließt zwei Lücken der bisherigen
Rechtsextremismusforschung. Sie beschäftigt sich 1. mit
rechtsextrem orientierten Mädchen, die in der Forschung wenig
Beachtung fanden bzw. als Mitläuferinnen ohne eigene
Handlungsmotivationen dargestellt wurden, und arbeitet 2.
durchgängig mit qualitativen Verfahren der Biografieforschung,
genauer: mit narrativ-biografischen Interviews und
Fallrekonstruktionen. Dabei wird auch die dreigenerationale
Familiengeschichte berücksichtigt, das Feld der Psychotraumatologie
mit einbezogen und bis in den Erfahrungsraum der frühesten Kindheit
zurückgeblickt. Der kontrastive Vergleich der Fallstudien zeigt
verschiedene Übereinstimmungen und Varianzen in den
Erfahrungsdimensionen der Interviewten, die in der jeweiligen
Lebensgeschichte und den gewählten Formen der Lebensbewältigung zum
Tragen kommen. Rekurrent wiederkehrende Befunde dabei sind:
desolate Beziehungserfahrungen mit den Eltern, die starke Bedeutung
mindestens eines Großelternteils und Reflexe der unbewussten
transgenerationellen Übertragungen von Affekt- und Gedankenmustern
infolge von (De-) Thematisierung der Familienvergangenheit im
Dritten Reich seitens der Eltern und Großeltern. In ihrem je
unterschiedlichen Zusammenwirken erweisen sich diese und andere
Faktoren als spezifisch ausschlaggebend für die Herausbildung von
rechtsextremen Handlungs- und Orientierungsmustern. Die
erkenntnisreiche Arbeit macht deutlich, wie wichtig Forschung mit
qualitativ-biografischen Verfahren in diesem Sozialbereich ist, um
ein angemessen komplexes Bild der Bedingungsfaktoren rechtsextremer
Biografieverläufe zu gewinnen.
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