Rezension zu Die Krise der Männlichkeit in der unerwachsenen Gesellschaft
Literaturkritik.de 04/2007
Rezension von Sandra Kluwe
Andere Globalisierung?
Horst-Eberhard Richter schreibt über die »Krise der Männlichkeit in
der unerwachsenen Gesellschaft«
Wann ist ein Mann ein Mann? Die Frage ist prekärer denn je: Der bis
in die rasierten Achselhöhlen hinein gepflegte Mann der
»Metrosexualität« hat neuerdings einem wiederauflebenden Kult
männlicher Stärke und Raubeinigkeit Platz gemacht.
Horst-Eberhard Richter, renommierter Psychiater und Autor mehrerer
internationaler Bestseller, betrachtet diese Renaissance des
Hagen-von-Tronje-Typus mit skeptischer Besorgnis. Seine Diagnose
einer »Krise der Männlichkeit« zielt also nicht auf die Gefahr
einer Entmännlichung, einer »Männerdämmerung« im Sinne Frank
Schirrmachers, sondern auf deren Gegenteil: auf den phallischen
»Machtehrgeiz« und dessen »Wettlauf im System des Stärkekults«.
Softies seien im Zuge dieser Renaissance des toughen Typs zu
Spottfiguren, Pazifisten mit dem »Weicheier-Stigma« abgestempelt
worden. Richter, der sich der Friedens-, Menschenrechts-,
Völkerrechts- und Versöhnungsbewegung verpflichtet weiß, setzt
diesem Trend die Rehabilitation des Gutmenschen entgegen, ohne
freilich die Gefahr zu übersehen, sich auf Kosten der Herabwertung
der/s Anderen des eigenen Gut-Seins zu versichern. Der
Superman-Traum im Gefolge eines Bacon oder Nietzsche wird denn auch
nicht moralistisch, sondern geschlechtertypologisch definiert.
Dem Sexismus entgeht Richter dabei nicht: Ohne auch nur einen
Seitenblick auf die Gender-Theorie zu werfen, schreibt er die von
ihm propagierten Werte der Sensibilität, des Mitgefühls und der
Fürsorge der weiblichen »Bindungsenergie« zu, während die falsche
Männlichkeit durch Machtbesessenheit und »Siegen-Müssen« definiert
wird. Bei letzterer handelt es sich, so Richter, um eine
»unerwachsene Schein-Männlichkeit«, die aus der Abwehr von
»Ohnmacht und Niederlage« entstehe. Unter Berufung auf Willy
Brandts Politik der compassion, den gewaltlosen Widerstand Gandhis
und das psychotherapeutische Konzept C. G. Jungs fordert Richter
die weibliche »Vervollständigung« des Mannes, während er die
zunehmende »Vermännlichung« der Frau kritisiert: So wird die
weibliche »Identifizierung mit männlichem Kampfgeist« in einem
Atemzug mit Lyndie England genannt, jener Soldatin aus Abu Ghuraib,
die einen irakischen Gefangenen am Halsband führte. Um solchen
Auswüchsen vorzubeugen, beschwört Richter die Frauen, »bei allem
Vermännlichungsehrgeiz ihre Bindungskräfte genügend« zu »hüten«,
sich also wie gehabt als Hüterinnen von Netzwerk-Nestern zu
profilieren.
Überzeugender als dieses reichlich reaktionäre Weiblichkeitsmodell
ist Richters Vision einer geschlechterübergreifenden
»Elterlichkeit«, die er als Prinzip langfristiger Verantwortung
definiert. Dem neoliberalen Prinzip »Eigenverantwortung«, das
Richter mit dem Motto »Du hast keine Chance, aber nutze sie!«
umschreibt, wird so das Plädoyer für die »Wir-Gesellschaft« mit
unhintergehbaren sozialen Interdependenzen entgegengesetzt. Das
»Zusammenströmen« von Millionen Menschen unterschiedlicher Nationen
anlässlich der Fußball-WM 2006 sieht Richter als Vorbote einer
solchen »Wir-Gesellschaft«. Zerstört werde die Chance auf
internationale Solidarität durch eine »›präventive‹
Sicherheitspolitik«, die mit ihrer »Strategie des Einschüchterns«
das atomare Wettrüsten in Gang setzte, und dabei einem
»Allmachtswahn« unterlag, den Richter im Anschluss an sein
gleichnamiges Buch als »Gotteskomplex« bezeichnet.
Genauer gesagt handelt es sich beim »Gotteskomplex« um die
»wechselseitige Verstärkung von Allmachtsstreben und
Vernichtungsangst« – oder, klinisch gesprochen, um die manische
Abwehr einer latenten Depression. So werde der amerikanische Krieg
gegen den Terrorismus nur deshalb so unerbittlich geführt, weil er
sich gegen die Verletzbarkeit und die Sterblichkeit schlechthin
richte – die Gigantomachie des Supermans verberge dessen
Zerbrechlichkeit. Konkret zeige sich die Kompensation der
männlichen Angst vor Sterblichkeit, Kastration und Impotenz in
monumental erigierten Hochbauten wie dem 541 Meter hohen Freedom
Tower, der auf Ground Zero entstehen soll. Richter hält diesen Plan
für eine »protzige Demonstration« westlicher Überlegenheit, die den
Terrorismus zu weiteren Gewaltakten herausfordere.
Das gewichtigste Protestpotential gegen den illusionären Stärkekult
von Wissenschaft, Technik und Militär sieht Richter bei den alten
Männern: Sacharow, Bertrand Russell und Erwin Chargaff, die
altersgemäß »Schwachheit, Leiden, Demut« in ihr Selbstbild
aufgenommen hätten und nicht mehr auf narzisstischen Triumph,
sondern auf »Stiftung von Vertrauen und Verlässlichkeit in der
Anerkennung der Abhängigkeit aller von allen« bauten, sind Richters
Gewährsleute einer reifen und weiblich vervollständigten
Männlichkeit.
Der Ausblick des Buches gilt den Repräsentanten einer ›anderen
Globalisierung‹, die über die Schranken der Ethnien, Religionen und
sozialen Unterschiede hinweg für internationale Solidarität
kämpfen.
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