Rezension zu Die Krise der Männlichkeit in der unerwachsenen Gesellschaft
Literaturen 05 II 2007
Rezension von Jan Engelmann
Sammelrezension:
Wenn Frauen zu sehr nerven
PISA-Opfer, Anpassungskünstler, Präzisionsarbeiter: Die Krise der
Männlichkeit führt zu immer neuen Therapievorschlägen
(...)
»Sind Frauen die besseren Männer?«
Diese Festschreibung
auf den «naturgegebenen» kleinen Unterschied kann Horst-Eberhard
Richter nicht kalt lassen. Immerhin steht der bekannte
Psychoanalytiker und Doyen der bundesdeutschen Friedensbewegung für
das unvermindert engagierte Projekt, gesellschaftliche Veränderung
an sozialpsychologische Einsichten zu koppeln. Sein neues Buch «Die
Krise der Männlichkeit» macht in dieser Hinsicht keine Ausnahme.
Dass es ausgerechnet zu einem Zeitpunkt erscheint, an dem die
anhaltende Familiendebatte immer neue publizistische Schnellschüsse
zum Geschlechterverhältnis provoziert, führt zu solchen
Absonderlichkeiten wie jener, dass Richter in einer illustren
»Maischberger«-Runde die Frage »Sind Frauen die besseren Männer?«
beantworten musste. Dabei hat er, bei allen Selbstähnlichkeiten in
der Argumentation, durchaus differenzierte Aussagen im Gepäck.
Richter geht, thematisch anknüpfend an sein kulturphilosophisches
Hauptwerk »Der Gotteskomplex« (1979), von einer gesellschaftlichen
Situation aus, die Züge einer Persönlichkeitsstörung trägt.
Technische Allmachtsphantasien, wie beim neu entfachten atomaren
Rüstungswettlauf oder den architektonischen Höhenflügen in Dubai,
folgten dem Drang nach unentwegtem »Siegen-Müssen«, der
Überkompensation verdrängter Ohnmachts- und Entmännlichungsangst.
Männliche Gipfelstürmer definieren immer neue Machtziele, nachdem
ihnen Frauen in allen Bereichen ebenbürtig geworden sind. Diese
heikle Phase einer unsicheren Selbstdefinition ist für Richter
nicht nur strukturell pubertär, sondern vor allem auch politisch
prekär, weil sie destruktive Energien erzeuge. So zeige etwa der
heroische Ehrgeiz eines George W. Bush den pathologischen Drang
nach Selbsterhöhung.
Und die Frauen? Diese hätten sich zwar wesentliche Zugänge
erkämpft, seien aber gerade im Begriff, »weibliche« Eigenschaften
wie Mitgefühl und Einfühlungsvermögen in vorauseilender Anpassung
an die Männer abzuwerten. Genau diese Bindungsenergie, so Richter,
sei aber unverzichtbar für das Abstreifen der tradierten
Geschlechtsdichotomien und die neue Entwicklungsstufe einer
Elterlichkeit, »die den Blick von der narzisstischen
Selbstverwirklichung auf die gemeinsame Verantwortung erweitert«.
Damit rennt Richter indes offene Türen ein. Ökologie-, Familien-
und Bildungsdebatte haben, bei allen inhaltlichen Unterschieden,
längst neue Sprech- und Handlungsweisen an den Grenzbereichen von
privater und politischer Sphäre ermöglicht.
Zudem wird man das Gefühl nicht los, dass sich Richters Buch ganz
selbstverständlich an Frauen richtet. Schließlich waren sie es, die
in den letzten Jahrzehnten erfolgreich eine Erweiterung ihres
Möglichkeitssinns und ihrer Rollendefinitionen betrieben haben. Und
die Männer? Die lesen nicht. Zumindest nichts, was nur von ihnen
handelt.
(...)