Rezension zu Exil und Identität

Medien & Zeit m&z 1/2007

Rezension von Gaby Falböck

Mit Ausnahme von Einleitung und Schlussbetrachtungen ist jedem der acht Kapitel dieses Buches ein literarisches Zitat vorangestellt. Kapitel eins eröffnet Brigitta Boveland mit jenem Prolog, den Hans Sahl auch seinem Exilroman »Die Wenigen und die Vielen« voranstellte: »Wir sind die Letzten. Fragt uns aus. Wir sind zuständig (...) Unser Schicksal steht unter Denkmalschutz. Unser bester Kunde ist das schlechte Gewissen der Nachwelt. Greift zu, bedient euch, Wir sind die Letzten. Fragt uns aus. Wir sind zuständig.« (S. 21) Einer Aufforderung, der die Autorin dieses Buches Folge leistet.

18 Emigranten, alle regelmäßige Besucher des New Yorker »Austrian Forums«, das später in »Austrian Institute« umbenannt wurde, die meisten geboren in Österreich bzw. durch familiäre Bande mit der Donaurepublik verknüpft, aufgrund ihres mosaischen Glaubens vom NS-Regime verfolgt und über verschlungene Wege schließlich vor, während und auch nach dem 2. Weltkrieg in New York angekommen, gaben im Rahmen qualitativer Interviews in den Jahren 1993 bis 1994 ihre Lebensgeschichten preis. Diese wurden in der Folge von Boveland ausgewertet. Chronologisch Schritt far Schritt zeichnet sie deren – im Detail divergierende, im Großen allerdings konvergierende Lebenswege nach: Das Dasein in Wien vor 1938, der Einmarsch wie die unmittelbar danach von Angst, Bedrohung und Verfolgung geprägte Lebensrealität und die Bemühungen um Ausreise, die Erfahrung der Flucht, der Internierung in Lagern und letztendlich der Ankunft in Amerika, das neue Leben in der Neuen Welt mit all seinen hellen und dunklen Seiten und schließlich die bei allen Interviewten erfolgende Reise nach Österreich oft viele Jahre nach dem Ende der europäischen Katastrophe. Irritationen erzeugt die Lektüre in mehrfacher Hinsicht: Wie von der Autorin einleitend erläutert, basiert der Text auf ihrer in englischer Sprache erschienenen und 1998 approbierten Dissertation »Exile and Identity«, die an der City University of New York eingereicht wurde. Der Leser, der in Erwartung einer wissenschaftlichen Studie auf eine Diskussion des in der Forschung der letzten Jahre geradezu inflationär verwendeten Identitätsbegriffs respektive auf eine Bestimmung des vorliegenden Verständnisses hofft, wird auf bereits erwähnte Abschlussarbeit verwiesen. Dennoch hantiert die Autorin in Kapitel 8 ebenso wie in ihren Schlussbetrachtungen mit den Begriffen Identität und Heimat, die dort en passant angerissen werden. Gleichermaßen verwirrend wirkt die in Kapitel 6 verfasste Institutionsgeschichte des »Austrian Forum«. Obschon eingangs die arbeitsintensive Aufarbeitung des archivarisch völlig ungeordneten Aktenbestandes der Einrichtung thematisiert wird, vermittelt die nunmehr folgende Darstellung doch den Eindruck einer gewissen Beliebigkeit.

Für einen Exkurs zu umfangreich, als eigenständiges Kapitel in einer biographischen Studie zu wenig schlüssig, bleibt am Ende der Eindruck, dass die Geschichte dieser Institution einer unabhängigen Publikation würdig gewesen wäre. (Einem Desiderat, dem der Kulturwissenschafter Walter Seidl übrigens 2001 nachkam, worauf Boveland jedoch keinen Bezug nimmt.) Nicht zuletzt stellt sich nun die Frage, auf welches Publikum dieses Buch abzielt: Rund acht Jahre nach Approbation der Doktorarbeit erscheint eine deutschsprachige Publikation, die den Leser mit wissenschaftlichem Anspruch dazu veranlasst, den genuinen englischen Text anzufordern. Für historisch Interessierte, für Menschen, denen die Schicksale der aus Österreich Vertriebenen ein Anliegen sind, erscheinen die Auszüge aus den Interviews wiederum zu wenig dicht, bleibt das Profil der Betroffenen zu unscharf. Zweifelsohne wurde hier vorderhand eine der letzten Möglichkeiten genutzt, um Zeitzeugen zu Wort kommen zu lassen und deren Erinnerungen zu dokumentieren.

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