Rezension zu Pornografie und psychosexuelle Entwicklung im gesellschaftlichen Kontext
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Rezension von Heinz-Jürgen Voß
Thema
Alexander Korte liefert mit dem vorliegenden Band einen Überblick
über den sexualwissenschaftlichen Forschungsstand zu Pornografie.
Dabei werden entwicklungspsychologische Perspektiven gestreift und
historische, sozialwissenschaftliche sowie pädagogische
Betrachtungen fokussiert.
Herausgeber_innen und Entstehungshintergrund
Das vorliegende Buch ist als Band 107 in der Reihe »Beiträge zur
Sexualforschung« erschienen.
Alexander Korte, Dr. med., arbeitet als leitender Oberarzt an der
Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und
Psychotherapie der Ludwig-Maximilians-Universität München und ist
im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Sexualmedizin,
Sexualtherapie und Sexualwissenschaft (DGSMTW e.V.).
Aufbau
Bei dem Buch »Pornografie und psychosexuelle Entwicklung im
gesellschaftlichen Kontext« handelt es sich um eine klassische
Monographie. Die Hauptkapitel im Inhaltsverzeichnis sind:
Einleitung und Überblick
Pornografie im Wandel
Pornografie und Jugendsexualität
Das moderne Pornokabinett
Porno, Sexualität, Gesellschaft
Pornografie revisited
Fazit und Ausblick
Dem Band vorangestellt ist ein Vorwort von Klaus M. Beier (Charité
Berlin); ein Literaturverzeichnis und eine Danksagung beschließen
den Band.
Inhalt
Alexander Korte skizziert zu Beginn des Bandes die Intensität, mit
der in der Gesellschaft um Fragen der Pornografie gerungen wird.
Gerade mit den »neuen Medien« – wie sie noch immer oft bezeichnet
werden – sei die Verfügbarkeit von Pornografie stark angestiegen,
mit dem Web 2.0 und der mit ihm verbundenen Möglichkeit für quasi
jede*n Nutzer*in, Inhalte im Internet zu gestalten und sich zu
vernetzen, habe Pornografie interaktive Dimensionen hinzugewonnen.
Verbunden mit diesen Veränderungen seien gesellschaftliche Debatten
über die Auswirkungen von Pornografie-Konsum gerade auf
Jugendliche. Korte konstatiert, dass »Moral-Debatten« um die
»Zurschaustellung sexuellen Begehrens, einschließlich des lauter
werdenden Rufes nach Eindämmung und Zensur« »zu einem prägenden
Element westlicher Kultur geworden« sind (S. 21). Die aufgeladene
Debatte mache gründliche Auseinandersetzung und Reflexion
erforderlich, zu der er mit seinem Band beitrage.
Das Kapitel 2 wendet sich entsprechend einerseits der
Begriffsdefinition, andererseits der historischen Würdigung des
Themas Pornografie zu. Bei der Definition führt Korte zunächst die
juristischen Begriffsklärungen an (mit Betonung eines »im
Vordergrund stehenden« sexuellen Reizes) und ergänzt anschließend
notwendige Weitungen, die aus verschiedenen wissenschaftlichen
Disziplinen vorgeschlagen wurden. Historisch zeigt der Autor auf,
wie mit der europäischen Moderne spezifische Darstellungen
sexueller Handlungen etwa aus der Antike museal aneinandergereiht
werden und der Zugang zu den Ausstellungen »streng reglementiert«
wird (S. 39). Hier nehme der Begriff »Pornografie« seinen
Ausgangspunkt. »Tatsächlich wurde der Begriff […] erst anlässlich
der Gründung des archäologischen Geheimkabinetts generiert.«
(S. 40) Mit der Begriffsbenennung habe zugleich eine
»Legendenbildung über die Existenz einer ›griechischen und
römischen Pornografie‹« eingesetzt (ebd.). Den »Aufbruch in ein
modernes Pornozeitalter« (S. 44) habe schließlich Marquis des Sades
Buch »Hundertzwanzig Tage von Sodom« markiert, mit dem in größerem
Maße literarische Pornografie möglich geworden sei. Mit dem
Buchdruck und neuen Drucktechniken richteten sich Bücher zunehmend
an ein breiteres Publikum, bei dem sich der Absatz mit
Illustrationen steigern ließ (S. 49). Die Fotografie und
schließlich der Film habe Pornografie in Bildern breiter und sogar
in Bewegtbildern zugänglich gemacht. Den kurzen Durchlauf durch die
Geschichte beschließt Korte mit einem Blick auf die Auswirkungen
der »Sexuellen Revolution«: In einer Rebellion gegen Prüderie habe
sich eine in noch größerem Maße als zuvor kommerzialisierte
Sexualität ergeben – mit einem Aufstieg der Pornografie zum
Marktsegment.
Das sich anschließende Kapitel 3 betrachtet die Auswirkungen von
Pornografie in Bezug auf die sexuelle Entwicklung von Jugendlichen.
Hierfür stellt der Autor die Phasen sexueller Entwicklung
insbesondere rings um die Pubertät vor und schildert die mit der
Adoleszenz verbundenen Entwicklungsaufgaben, um hier den –
förderlichen und hemmenden – Auswirkungen von Pornografie
nachzugehen. Die weiteren Ausführungen fokussieren auf die
Studienlage zur Pornografienutzung Jugendlicher und junger
Erwachsener sowie die in den Studien diskutierten Auswirkungen von
Softcore- und von Hardcore-Pornografie.
Im dann folgenden Kapitel 4 wird der Blick auf die Studien
verstärkt und werden weitere positive und negative Auswirkungen von
Pornografie in der Sexualisation diskutiert. Zusätzlich wird die,
gerade mit dem Internet und Web 2.0 verbundene, Diversifizierung
von pornografischen Angeboten vorgestellt – auch mit Betrachtung
der Verbreitung strafbarer pädosexueller (und hebesexueller)
Angebote, wobei auch strafbar ist, wenn eine volljährige Person als
minderjährig erscheint (S. 103f). Abseits der strafbaren Angebote
legt Korte einen Fokus auf die Auswirkungen von
Hardcore-Pornografie und diskutiert er auf Basis der Studienlage,
ob sie bei den Nutzer*innen der Angebote zu größerer
Aufgeschlossenheit gegenüber Gewalt beim Sex führe. Hierzu hält
Korte fest: »Grundsätzlich ist der Konsum entsprechender
gewalthaltiger pornografischer Medieninhalte nur einer unter vielen
Einflussfaktoren für die Entwicklung sexueller Gewalt; als
moderierende Variablen kommen neben situativen Faktoren […],
soziokulturelle und familiäre Faktoren […], Persönlichkeitsfaktoren
[…] sowie der möglicherweise aggressionsfördernde Einfluss
psychotroper Substanzen in Betracht« (S. 118).
Kapitel 5 liefert schließlich die medientheoretische Einbindung,
Kapitel 6 und 7 führen die Betrachtungen der vorangegangenen
Kapitel zusammen und treffen Ableitungen. In ihnen werden
Perspektiven, die Nutzen oder Gefahren von Pornografienutzung
betonen, zurückgewiesen und wird ein differenzierter Blick
angeregt, der bezogen auf die Individualentwicklung positive und
negative Aspekte reflektiert und auch gesamtgesellschaftlich sowohl
negative Aspekte (wie Männerdominanz, die auch viel pornografisches
Material präge) als auch positive Aspekte (u.a. zunehmende
Differenzierung des Pornografie-Angebots, wobei auch weibliche
Produzent*innen in Erscheinung träten) in Erwägung zieht.
Diskussion und Fazit
Alexander Korte liefert mit dem Buch »Pornografie und
psychosexuelle Entwicklung im gesellschaftlichen Kontext« eine
Zusammenschau der aktuellen Forschungsergebnisse zu
Pornografie-Nutzung. Dabei schließt er an die Bände von Schuegraf &
Tillmann (»Pornografisierung von Gesellschaft«, 2012) und Merk
(»Cybersex: Psychoanalytische Perspektiven«, 2014) sowie an die
verschiedenen Aufsätze zum Themenfeld von Nicola Döring an,
aktualisiert die darin getroffenen Aussagen und betont in größerem
Maße die Bedeutung des Web 2.0.
In den Betrachtungen Kortes zieht sich die gesellschaftliche
Aushandlung um Pornografie durch alle Kapitel, das bedeutet auch,
dass Pornografie nicht einfach als gesellschaftliches (bzw.
gesellschaftlich gewordenes) Phänomen für sich steht und in ihrem
Facettenreichtum und für Innovationen betrachtet wird, sondern das
kontinuierlich die gesellschaftliche moralische Dimension sowie die
pädagogische Bedeutung (im Sinne der Hemmung und Förderung der
Entwicklung Jugendlicher) im Blick ist. Ist ein solches Herangehen
vor dem Hintergrund der aktuellen gesellschaftlichen Aushandlungen
nachvollziehbar – und im Untertitel des Bandes die Anlehnung an den
gesellschaftlichen »Erregungsdiskurs« angekündigt –, so führt diese
Art der Verhandlung aber auch zur steten Erneuerung des
»Erregungs-« bzw. Gefährdungsdiskurses, weil Pornografie eben nicht
zunächst mit all ihren fantasievollen und vielfältigen Dimensionen
vorgestellt wird. Auch zu sprechen wäre über den Begriff »gesunder
Sexualität«, wie er im Band zuweilen vorkommt, aber nicht weiter
gefüllt ist. Ist damit eine pädagogisch oder
entwicklungspsychologisch »passende« Entwicklung gemeint – oder der
Bezug zur Definition der Weltgesundheitsorganisation von »sexueller
Gesundheit«?
In diesem Sinne wäre für folgende Arbeiten im Themenfeld
Pornografie zu fragen, wie der Eigenwert von Pornografie mehr in
den Blick kommen kann – möglicherweise in einem ersten Teil eines
Buches –, bevor dann der gesellschaftliche (Gefahren-)Diskurs
aufgegriffen wird. Das, was Alexander Korte im Titel des Bandes
ankündigt – die Darstellung und Reflexion von »Pornografie und
psychosexuelle Entwicklung im gesellschaftlichen Kontext« –,
liefert er mit Bravour und somit eine aktuelle Zusammenschau des
wissenschaftlichen Erkenntnisstandes zu(r)
Pornografie(nutzung).
Rezensent
Prof. Dr. Heinz-Jürgen Voß
Forschungsprofessur Sexualwissenschaft und sexuelle Bildung
(gefördert im Rahmen der BMBF-Förderlinie Sexualisierte Gewalt in
pädagogischen Einrichtungen) Hochschule Merseburg FB Soziale
Arbeit. Medien. Kultur
Zitiervorschlag
Heinz-Jürgen Voß. Rezension vom 27.12.2018 zu: Alexander Korte:
Pornografie und psychosexuelle Entwicklung im gesellschaftlichen
Kontext. Psychoanalytische, kultur- und sexualwissenschaftliche
Überlegungen zum anhaltenden Erregungsdiskurs. Psychosozial-Verlag
(Gießen) 2018. ISBN 978-3-8379-2817-4. Reihe: Beiträge zur
Sexualforschung - Band 107. In: socialnet Rezensionen, ISSN
2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/24599.php, Datum
des Zugriffs 18.03.2019.
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