Rezension zu Vom Glück der Großeltern-Enkel-Beziehung (PDF-E-Book)

alverde – das Kundenmagazin von dm-drogerie markt, März 2019

Enkel und Großeltern beflügeln einander
Goethe sagte, dass Kinder zwei Dinge brauchen: Wurzeln und Flügel. Besonders für die Flügel sind Groß­eltern be­deut­sam. Ein Gespräch mit dem sechs­fachen Groß­vater, Autor und Psycho­ana­ly­tiker und Uni­versitäts-Professor im Ruhe­stand Günter Heister­kamp.

alverde: Großeltern und Enkel – worin liegt der Schlüssel ihrer besonderen Beziehung zueinander?
GÜNTER HEISTERKAMP: Erst einmal haben sie viel gemeinsam. Großeltern stehen, wenn auch nicht in dem Tempo wie ihre Enkel, ebenfalls vor großen Entwicklungsaufgaben. Dem Abschied von ihrem Berufsleben, ihrem Lebenspartner oder langjährigen Freunden etwa. Ihre Enkel können ihnen Trost geben und ihnen dabei helfen, sich im Leben neu zu orientieren. Umgekehrt helfen Großeltern ihren Enkeln, sich frei zu machen von kindlichen Bindungen und in die Welt hinauszugehen.

Enkel und Großeltern fühlen sich nah und fern, vertraut und fremd. In dieser intimen Distanz liegt der Schlüssel zu ihrer besonderen Beziehung.

Entscheidend in dieser Beziehung ist die Generationslücke zwischen Großeltern und Enkelkindern. Sie befreit beide, die Enkelkinder aus dem entwicklungstypischen Spannungsfeld zu den Eltern und die Großeltern aus den Verbindlichkeiten als Eltern. Dadurch erleben sich Großeltern und Enkelkinder in einer besonderen Weise aufeinander bezogen, nämlich dass sie sich zugleich nah und fern, vertraut und fremd fühlen. In dieser intimen Distanz liegt der Schlüssel zu ihrer besonderen Beziehung.

Sie schreiben auch, dass man mit zunehmendem Alter liebesfähiger wird. Wie meinen Sie das? Lieben Sie als Großvater mehr als damals als Vater?

Nein, nicht die Liebe ist gewachsen, sondern die Fähigkeit, mit anderen in Beziehung zu gehen. In meinem Fall war ich 24 Jahre alt, als ich Vater von Zwillingen wurde, und 53 Jahre, als mein erster Enkel geboren wurde. In den 29 Jahren dazwischen lernte ich mich und andere besser wahrzunehmen, was dann natürlich auch meinen Enkelkindern zugutekam. Ich war fähiger, tiefere Beziehungen zu anderen aufzunehmen, weil ich mich mit meiner eigenen Vergangenheit auseinandergesetzt hatte.
Ich denke hier auch an die vielen Gespräche mit meinen drei Töchtern, in denen wir viel aufgearbeitet haben. Dazu war ich damals, als sie Kinder waren, noch nicht in der Lage. Beispielsweise meine Abwesenheit als Vater während meines Studiums oder unsere täglichen Machtkämpfe bei den Hausaufgaben, die zu regelrechten Dramen ausuferten. Erst rückblickend, in Verbindung mit meiner eigenen Kindheit, konnte ich verstehen, weshalb mir das damals so wichtig war, und mir selbst verzeihen.

Da sprechen Sie einen wichtigen Punkt an. Denn im Grunde geht es ja nicht um eine Zweierbeziehung, sondern um eine Drei-Generationen-Beziehung. Nur, wenn sich die Großeltern mit den Eltern verstehen, können sie mit ihrem Enkelkind in Beziehung bleiben. Auch wenn es heute aus soziologischer Sicht zum Glück besser steht um die Beziehung zwischen Großeltern und Eltern, so kommt es dennoch immer wieder zu Konflikten. Was hilft?

Das klingt bereits im Bild von Goethe an. Wenn man bedenkt, dass Eltern besonders mit den Wurzeln des Werdens befasst sind und die Großeltern hinsichtlich des Flüggewerdens bedeutsam sind. Zwei typische Konfliktstörungen in Familien sind beispielsweise, wenn Großeltern darin versagen, ihren Kindern dabei zu helfen, »Mutter« und »Vater« zu werden. Oder wenn die Eltern ihre Kinder benutzen, um den eigenen Eltern zu demonstrieren, was sie alles mit ihnen selbst falsch gemacht haben.

Gar nicht leicht, wenn man seine eigenen Eltern als Großeltern ganz anders erlebt. Das wühlt viel auf, wie Sie ja selbst bei den Gesprächen mit Ihren Töchtern erfahren haben.

In der Tat und es ist so wichtig, darüber zu sprechen. Nur so eröffnen wir uns eine zweite Chance. Hier wird eine tiefe Quelle des Wandels und des Neuwerdens angesprochen, die verschüttet bleibt, wenn wir schweigen. Wenn wir uns jedoch der Unterschiede gewahr werden, darauf hinweisen, es an- und durchzusprechen oder gar in einer Beratung bearbeiten, beginnt die verschüttete Quelle familialen Glücks allmählich wieder zu sprudeln. Aus zwei werden dann drei, die einander beflügeln.

BUCH-TIPP Günter Heisterkamp: Vom Glück der Großeltern-Enkel-Beziehung. Psychosozial-Verlag, 281 Seiten, 24,90 Euro

www.dm.de

zurück zum Titel