Rezension zu Der Briefwechsel zwischen Ernst Federn und seinem Vater Paul aus den Jahren 1945 bis 1947
Jungle World, 29. November 2018
Rezension von David Hellbrück
»Formen der Abwehr«
Der Briefwechsel zwischen Paul und Ernst Federn aus den Jahren 1945
bis 1947 bietet nicht nur persönliche Einblicke in eine durch den
Holocaust zerrissene Familie, die sich nach der Befreiung
wiederfand, sondern erinnert auch an den Beitrag Paul Federns zur
Psychoanalyse. Ein Gespräch mit der Herausgeberin Diana Rosdolsky
über den schwierigen Umgang des Buchenwald-Überlebenden Ernst
Federn mit seinen Erfahrungen im KZ und die Rolle des Vaters Paul
bei der Aufarbeitung.
Wie sind Sie in den Besitz des Briefwechsels zwischen Paul und
Ernst Federn gekommen?
Ich kannte Ernst Federn sehr gut, da er mit meinen Großeltern
befreundet war. Er hat mir die Briefe ungefähr ein Jahr vor seinem
Tod gegeben, vermutlich im Jahr 2006. Die Briefe befanden sich
völlig ungeordnet in einer Schachtel. Nicht nur gab es darin
Briefwechsel zwischen Vater und Sohn, sondern auch Briefe von
Ernsts Mutter, Bruder und Onkel, denen die Emigration in die USA
gelungen war. In diesem ungeordneten Zustand blieben die Briefe
über mehrere Jahre in einer Schreibtischschublade. Nachdem ich
für eine Festschrift, die zum 100. Geburtsjahr Ernst Federns
veröffentlicht wurde, einen Aufsatz geschrieben hatte, entschloss
ich mich, die gesamten Briefe zu veröffentlichen.
Handelt es sich dabei ausschließlich um Briefe aus den Jahren 1945
bis 1947?
Ja, die Briefe stammen aus der Zeit unmittelbar nach der Befreiung
des KZ Buchenwald durch die US-amerikanische Armee und Ernst
Federns Emigration in die USA im Januar 1948. Mit Hilfe der
Militärpost konnte Ernst bereits am 14. April 1945 seinen Eltern
schreiben. Der letzte Brief im Band wurde von Paul Federn am 19.
Dezember 1947 verfasst.
1938 wurde ernst Federn erst in das KZ Dachau, dann in das KZ
Buchenwald deportiert. Er überlebte die sieben Jahre grausamer
Gefangenschaft und behielt dennoch seinen Optimismus. Was haben Sie
über ihn herausfinden können?
Ernst Federn wurde sowohl wegen seiner Tätigkeiten als Sozialist
als auch wegen seiner jüdischen Herkunft verhaftet. Ich glaube,
dass er aufgrund positiver Kindheitserfahrungen bestimmte Formen
der Abwehr entwickeln konnte, die es ihm ermöglichten, diese
sieben Jahre zu überleben. Dazu gehörte auch sein Optimismus, den
er sogar in Buchenwald beibehalten konnte. Es gibt eine Geschichte,
die das sehr gut illustriert. Die bekannte Strafe des Baumhängens
wurde über ihn verhängt. Er scherzte, dass das Herunterkommen so
schön sei, dass es das Hängen wieder aufwiege. Ernst Federn hat
nicht viel über diese Zeit gesprochen, aber ich erinnere mich sehr
gut, wie er mir diese Geschichte erzählt hat.
Kann man Optimismus demzufolge als Abwehrmechanismus
betrachten?
Ich glaube, dass es darauf ankommt, in welcher Situation man sich
befindet. Vielleicht muss jeder Optimismus die negativen Seiten des
Lebens bis zu einem gewissen Grade ausblenden, aber das müssen wir
auch, um zu überleben. Ernst Federn musste aber nicht bloß
negative Seiten ausblenden, sondern die gesamte Realität des
Lagerlebens. Daher würde ich sagen, dass sein Optimismus während
seiner Haft als Abwehrmechanismus gelten könnte, da er für sein
Überleben äußert wichtig war. Hätte er die Realität in ihrer
Brutalität wirklich wahrgenommen, hätte er wohl kaum überleben
können.
Ist das im Briefwechsel ein Thema?
Nein, es wurde nicht thematisiert, dafür aber in den Schriften,
die Ernst Federn unmittelbar nach seiner Befreiung verfasste. In
einem Aufsatz befasse ich mich mit seiner »Buchenwald-Broschüre«,
mit der Federn zwar versuchte, die Zeit seiner Haft möglichst
objektiv zu beschreiben, diese offenbar aber verharmloste. Ich habe
seine Schrift mit vielen anderen aus der unmittelbaren
Nachkriegszeit verglichen und bin so darauf gekommen, dass er das
Lagerleben in ganz anderer Weise als andere Häftlinge beschrieb.
Viele der ungeheuerlichen Brutalitäten ließ er einfach aus oder
verzerrte sie in verharmlosender Weise. Zum Beispiel schrieb er vom
Krematorium so, als ob eine solche Einrichtung eine völlig
natürliche Sache sei, erwähnte aber nicht, dass die Todesrate
natürlich viel höher war als außerhalb des Lagers.
Die »Buchenwald-Broschüre« schickte er auch seiner noch
rechtzeitig in die USA geflohenen Familie. Wie reagierte sie auf
die von ihm geschilderten Erlebnisse?
Ernst Federns Vater nahm die »Buchenwald-Broschüre« sehr ernst,
lektorierte sie, fand einen Übersetzer und veröffentliche sie
schließlich auch, meinte aber, dass sich Ernst keine allzu großen
Hoffnungen auf ihren Erfolg machen sollte. Tatsächlich scheint man
in den USA nur unmittelbar nach Kriegsende an den Erlebnissen der
Überlebenden interessiert gewesen zu sein. Danach stellte sich
Desinteresse ein. Oft glaubte man den Überlebenden nicht und
wandte sich von ihnen ab. In diesem Kontext muss man Paul Federns
Versuche verstehen, seinen Sohn vom Schreiben der Broschüre
abzuhalten. Paul scheint auch keine wirkliche Vorstellung vom
Lagerleben gehabt zu haben. In einem Brief schreibt er Ernst, dass
dieser die Erfrierungen, die er im Lager erlitt, mit Olivenöl
hätte behandeln sollen. Diese falschen Vorstellungen konnte er
vermutlich unter anderem deshalb beibehalten, weil Ernst das
Lagerleben in seiner Broschüre weitgehend verharmlost. Insgesamt
war Pauls Reaktion also recht kompliziert.
Sorgte sich der Vater, dass die Beschäftigung mit Buchenwald
seinen Sohn zu sehr mitnahm?
Ja, natürlich war Paul besorgt. Dabei lässt sich aber eine
Ambivalenz feststellen. An manchen Stellen seiner Briefe ermutigt
Paul seinen Sohn zu schreiben, weil es ihn sicher entlasten würde,
andererseits wollte er nicht, dass er durchs Schreiben alles
»gründlich wiederholt«. Damit bezog er sich auf Freuds
Wiederholungszwang, nach dem Traumatisches zwangsweise wiederholt
wird. Ich glaube, dass Ernsts Gemütsschwankungen zwischen Euphorie
und Depression diese Ambivalenz unterstützten. Paul war nicht
klar, ob das Schreiben Ernst gut tun würde oder nicht, da er nicht
genau wusste, welche Gefühle und Stimmungen dadurch entstehen
würden. In welchem Ausmaß Ernst seine KZ-Erfahrungen verharmloste,
ahnte Paul nicht.
Welche Rolle spielt Paul Federns Ich-Psychologie im Umgang mit
seinem Sohn?
Sicherlich war der Umgang von der Psychoanalyse bestimmt. In den
Briefen wirft Paul oft einen psychoanalytischen Blick auf die
besprochenen Themen, wobei mir wichtig erscheint, dass er von
seinem Sohn ein Interesse daran zu erwarten schien. Auch war sich
Paul Federn bewusst, dass die Vater-Sohn-Beziehung nicht nur von
Liebe, sondern auch von Rivalität geprägt ist. Dennoch würde ich
nicht sagen, dass Pauls Ich-Psychologie seinen Umgang mit Ernst
prägte. Die Ich-Psychologie wurde von ihm konzipiert, um Psychosen
besser verstehen und behandeln zu können. Das hatte aber für
seine Beziehung zu Ernst kaum Relevanz.
Was zeichnet Paul Federns Ich-Psychologie genau aus?
Sie zeichnet sich durch seine bestimmte Betrachtung des Ichs aus,
wobei er Begriffe wie Ichgrenzen und Ichgefühl neu anwendete. Sie
unterscheidet sich von der bekannten Ich-Psychologie von Hartmann,
Kris und Löwenstein und scheint eine Art Werkzeug für ihn gewesen
zu sein, mit psychotischen Menschen zu arbeiten. Darin vor allem
unterscheidet sich Federn von anderen Psychoanalytikern seiner
Zeit, die fast alle Freuds Meinung teilten, dass man mit diesen
Patienten psychoanalytisch nicht arbeiten könne. Federn konnte mit
seiner Methode aber tatsächlich erfolgreich mit psychotischen
Patienten arbeiten. Auch die inzwischen vergessene psychiatrische
Krankenschwester Gertrud Schwing hat sich bei ihrer Arbeit an
seiner Theorie orientiert. Inwieweit Federn tatsächlich Patienten
heilte, kann man nicht mehr nachvollziehen, dennoch scheint er
vielen sehr geholfen zu haben. Er war auch sehr engagiert, ließ
einmal eine Patientin bei sich wohnen und behandelte auch öfters
in der eigenen Praxis, ohne Geld dafür zu verlangen.
Ernst Federn plante, ein Buch über das Verhältnis von Karl Marx
und Sigmund Freud zu schreiben, wozu es allerdings nie kam und
wovon sein Vater auch abgeraten hatte. In den Briefen über Ernsts
Vorhaben wird deutlich, welchen Bruch die Shoah für das Denken
Paul Federns bedeutete. er, dem die USA Zuflucht geboten hatten und
der dort mittlerweile assimiliert war, betrachtete das Land mit
anderen Augen als Ernst. Paul sympathisierte zudem mit dem
Zionismus als Antwort auf die antisemitische Raserei. Ernst Federn
hingegen dachte noch in einem anderen politischen Koordinatensystem
und war Sozialist geblieben.
Man muss bedenken, dass Vater und Sohn die Kriegsjahre in völlig
unterschiedlichen Welten verbracht hatten, so unterschiedlich, dass
wir es uns eigentlich nicht vorstellen können. Ernst hat trotz –
oder vielleicht gerade wegen – des durchlebten Horrors an seinen
sozialistischen Idealen festgehalten, während Paul durch die
Emigration und Assimilation eine Art Realitätsprüfung
durchgemacht hatte. Dazu kam natürlich der Altersunterschied. Paul
war nicht mehr für Ideale zu gewinnen. Und Ernst wollte unbedingt
die gesamte Welt verbessern.
Ernst emigrierte schließlich in die USA, und damit reißt der
Briefwechsel dann auch ab. Wie ging das Leben der Federns
weiter?
Ernst musste sehr lange auf ein Visum warten. Was sich damals genau
abspielte, geht leider aus den Briefen nicht ganz eindeutig hervor.
Offenbar konnte Paul hilfreiche Kontakte in den USA knüpfen. Ernst
studierte dann Social Work an der Columbia University und arbeitete
sowohl in New York als auch in Cleveland, Ohio, als
psychoanalytisch orientierter Sozialarbeiter. Er heiratete Hilde
noch in Brüssel und emigrierte dann gemeinsam mit ihr. Beide
kehrten 1972 zurück nach Wien, da Ernst von Christian Broda
eingeladen worden war, sich an der damaligen Reform des
Strafvollzugs zu beteiligen. In Wien half er auch, eine
psychoanalytisch orientierte Sozialarbeit mit Häftlingen zu
etablieren. Ich habe ihn selbst noch als Supervisor für
ehrenamtliche Mitarbeiter der katholischen Seelsorge für
Häftlinge an der Justizanstalt in der Josefstadt erlebt, da er
mich mehrmals bat, ihn mit dem Auto hin und wieder zurück nach
Hause zu bringen. Es war sehr eindrucksvoll, ihn als Supervisor in
diesem Rahmen zu sehen und zu hören.
Interview: David Hellbrück
Diana Rosdolsky (Hg.): Der Briefwechsel zwischen Ernst Federn und
seinem Vater Paul aus den Jahren 1945 bis 1947.
Psychosozial-Verlag, Gießen 2018, 319 Seiten, 36,90 Euro