Rezension zu Keine Angst vor Babytränen
Rezension von Martina Kewel
Inhalt
Dieser Ratgeber richtet sich an junge Eltern, die Unterstützung
bei der Begleitung ihres weinenden Babys suchen. Harms knüpft an
der subjektiven Not des Kindes und seiner Eltern an, um fundiertes
Hintergrundwissen zur Einschätzung des Geschehens darzulegen. Zum
einen geht es dabei um die Differenzierung des kindlichen
Verhaltens, d.h. die körperbasierte Selbst- und Fremdregulation
des autonomen Nervensystems in Zusammenhang mit Bedürfnisweinen,
Erinnerungsweinen und Resonanzweinen. Zum anderen um die
verschiedenen Formen elterlicher Reaktionen zwischen hilfloser
(Über-) Aktivität und Resignation. Ziel ist es, statt dieser
Sackgasse, die Eckpfeiler eines dritten Weges zu benennen. D.h.
Erwachsene, die in guter Verbindung zu sich bleiben, um so zum
Orientierungspunkt/ Leuchtturm des Babys zu werden und die Führung
zu übernehmen.
Aufbauend auf den genannten Informationen werden praktische
Anleitungen zur Selbstanbindung wie Eigenwahrnehmung, Atemübungen
und Körperkontakt zum Baby gegeben. An Hand von Fallbeispielen
erläutert Harms, welche Facetten das Babyweinen und elterliche
Begleitung zeigen können. Eingebunden ist die Ermutigung, sich
dieser speziellen Anforderung und Stressbelastung zu stellen, in
eine Würdigung der aktuellen Rahmenbedingungen junger Eltern, die
vielfach keine „hands on“ Erfahrung im Umgang mit Babys und ihren
Bedürfnissen haben und angesichts beruflicher
Mobilitätsanforderungen auch nicht auf ein stützendes familiäres
Umfeld zu rückgreifen können, sondern vieles zusammen mit ihrem
Baby neu entwickeln müssen.
Ergänzt wird diese Anleitung zur Selbsthilfe durch einen
Ressourcen stärkenden »Notfallkoffer« und Kontaktdaten für
professionelle Hilfe.
Einordnung
Wer sich die Ratgeber-Literatur für junge Familien anschaut, wird
eine Vielzahl von Werken zu jeglichem Thema zwischen schlafen und
wachen, essen und ausscheiden, Kummer und Freuden finden. Wer hier
Hilfe sucht, braucht in der Regel ganz konkrete Anleitungen, die
zwar vom Hintergrund her verstanden aber nicht ins Kleinste
differenziert erläutert werden sollen. In »Keine Angst vor
Babytränen« gelingt es Harms, die Waage zwischen know how und know
why gut auszubalancieren und so selbst zum Leuchtturm für die
suchenden Eltern
zu werden. Seine inzwischen 25 jährige Erfahrung als Psychologe
und Körperpsychotherapeut in der Begleitung junger Familien lässt
ihn mit vielen Beispielen aufwarten und souverän den Rahmen dessen
stecken, was in Eigenregie zu bewältigen ist und wo
darüberhinausgehende Unterstützung notwendig sein könnte.
Bezugspunkt all dessen ist nicht nur ein fundiertes Verständnis
körperlicher Prozesse von Regulation und Co-Regulation sondern vor
allem ein humanistisches Menschenbild, das schon den Kleinsten ein
Recht auf Schutz und Würde, gesehen werden und ernstgenommen
werden zugesteht und in ihnen einen aktiv mitgestaltenden Partner
einer sich gerade erst aufbauenden Beziehung sieht. Statt
moralisierender Vorstellungen von Macht und Kampf finden wir hier
ein wohlwollendes Miteinander, bei dem alle Beteiligten unter
Wahrung ihrer Grenzen die jeweiligen Bedürfnisse miteinander
ausloten. Harms unterschlägt dabei nicht die Anstrengungen, die
solch eine beziehungsorientierte Abstimmung mit sich bringt,
benennt aber auch das Gefühl von Verlässlichkeit, Vertrauen und
Genuss, den eine sichere Bindung sowohl für Eltern als auch für
Babys in sich birgt.
Fazit
Ein guter Ratgeber für junge Familien. Die Fragen rund um den
Umgang mit untröstlich weinenden Babys werden differenziert
benannt und ohne zu werten in Theorie und Praxis beantwortet. Er
schafft Sicherheit im Verständnis und im Umgang mit Babytränen.
Sprachlich ist das Buch gut verständlich ohne banal zu werden, mit
anschaulichen Beispielen, in denen sich viele LeserInnen
wiederfinden werden. Auch vom Stil her empfiehlt sich der Autor als
guter Begleiter durch eine Zeit, in der sich Eltern in Ihrer
Kompetenz sehr in Frage gestellt fühlen und nach Orientierung
suchen. Mit diesem geballten fachlichen Wissen im Hintergrund
lassen sich dann vielleicht auch manche Klippen in Groß-familiären
Untiefen rund um Fragen des »schreien lassen« oder nicht,
meistern.
Weniger ansprechend ist die Aufmachung des Buches. Die schwarz-weiß
Fotos wirken kaum aussagekräftig, die Schaubilder sind deutlich zu
klein und damit wenig leserfreundlich. Auch Papier- und
Umschlagsqualität haben Spielraum nach oben.
Ich wünsche dem Buch eine zahlreiche Leserschaft von Eltern und
all den Berufsgruppen, die junge Familien begleiten, damit sie die
darin enthaltene Ermutigung umsetzen:
»Wenn unsere Babys die Erfahrung machen dürfen, dass jedes ihrer
Gefühle – eben auch die ‚lauten‘ und ‚herausfordernden‘ –
ernstgenommen wird, dass sie immer wieder erleben dürfen, dass sie
mit allen Facetten ihres Seins willkommen sind und gehalten werden,
so ist eine der wichtigsten Voraussetzungen erfüllt für die
Entstehung jener Gabe, die wir später soziales und ökologisches
Verantwortungsgefühl nennen.« (Harms ebenda/ S.202)