Rezension zu Aufklärung im Licht der Pädagogik - Möglichkeitsräume durch genuine Perspektiven
soziales_kapital. wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit Nr. 20 (2018)
Rezension von Monika Vyslouzil
Bei der besprochenen Publikation handelt es sich um eine
Festschrift anlässlich der Emeritierung von Peter Rödler, einem
Erziehungswissenschaftler, der als Professor für Allgemeine
Sonderpädagogik an der Universität Koblenz-Landau tätig war. Er war
Mitglied des EU-Sokrates-Projektes INTEGER zur Erarbeitung
eines Hochschulcurriculums für Inclusive Education, des
EU-Sokrates-Projektes ODL: inclusive zur Erarbeitung
eines Selbst- und Fernstudienmoduls zu den Grundlagen von Inclusive
Education und Schriftleiter der
Fachzeitschrift Behindertenpädagogik.
Die Festschrift beginnt mit Zitaten, die dem geehrten emeritierten
Professor Rödel zugeschrieben werden. Vermutlich muss man ihn
kennen, um den Zusammenhang mit dem Begriff »Aufklärung« herstellen
zu können, der im Titel der Festschrift verwendet wird. Auch der
zweite Beitrag von Winfried Rösler mutete wie ein wildes
Sammelsurium von Zitaten, Gedanken etc. an – so bunt wie es in
einer Festschrift eben zugehen kann. Aber dann … stoßen wir auf
Georg Feuser und seine Auseinandersetzung mit dem Begriff
Inklusion. Ja: »Inklusion ist der Kern einer humanen und
demokratischen Pädagogik«! (Lütjen 2018: 37) Aber die Realität ist
nach Feuser »Inklusionismus«, was er als Integration der Inklusion
in Segregation beschreibt. Sein Artikel rüttelt an allen
halbherzigen Praxen der Sozialen Arbeit und kritisiert das
schulische Funktionsmodell der Nutzbarmachung von Humanressourcen,
das auf Selektion und nicht Inklusion ausgerichtet ist. Schon
allein dieser Artikel ist es Wert, das Buch in die Hand zu nehmen.
Feuser geht in weiterer Folge auf die Bedeutung der UN-BRK ein,
sieht den Bedarf einer revolutionären Transformation des
Bildungssystems, um zu Bildungsgerechtigkeit zu gelangen.
Winfried Gebhardt fürchtet, dass aktuelle Karriereleitbilder nur
mehr von Rationalität und Effizienz dominiert sind und dem
Menschentyp des »Machers« beste Chancen einräumen. Geben wir uns
wirklich damit zufrieden uns von gut ausgebildeten Machern führen
zu lassen, so Gebhardt, werden wir in Zukunft verwaltet, aber die
Zukunft wird nicht verantwortungsvoll gestaltet. Genial setzt
Nicole Hoffmann im folgenden Beitrag anstelle von Josef K. (aus
Franz Kafkas Der Prozess) Alma M. (für Alma Mater) und
unterzieht den Bologna-Prozess einer kritischen Analyse. Unter
Heranziehung weiterer Autor*innen zieht sie den Schluss, dass nicht
alles rund und verständlich läuft bei Bologna, es sich aber lohnt,
nach den Potentialen zu suchen und sie zu nützen.
Silke Doherr und Klaus Finke sehen Inklusion als soziale Leitidee,
die für alle Menschen gilt. Für die Arbeit mit Menschen mit
Behinderung ist der Auftrag an professionelle Helfer*innen, die
Bedürfnisartikulation der Betroffenen zu unterstützen und
Selbstbestimmung und individuelle Teilhabe zu begleiten. Wie
erfolgreich die Begleitung auch jener Menschen ist, die sich
sprachlich und auch sonst schwer ausdrücken können, hängt von der
Haltung der Helfer*innen ab, stellt Andrea Alfaré im folgenden
Beitrag fest. Zum Thema Sprache eröffnet Andreas Möckel
nicht-alltägliche Einsichten. Sprache aus einem ganz anderen
Blickwinkel spielt auch im Artikel von Wiebke Lohfeld über jüdische
Flüchtlinge in Singapur eine Rolle.
Silka Allmann gibt uns einen Einblick in das Kameradschaftsgericht
im von Janusz Koczak geführten Heim, in dem Kinder als Aufklärer
agieren. Otto Speck plädiert für eine neue Balance von Herz und
Kopf, Gefühl und Vernunft und bereitet diese These unter
Zuhilfenahme zahlreicher Philosophen auf. Im Artikel von Norbert
Neumann, der sich mit Geld auseinandersetzt, scheint ein Vergleich
der Methoden der Sozialarbeit mit Methoden, Menschen das Sparen
beizubringen, doch etwas weit hergeholt.
Soweit einige Highlights aus einer vielfältigen Auseinandersetzung
mit den Möglichkeiten von Menschen, mündig und eigenständig zu
denken, zu entscheiden und zu leben. Der abschließende Beitrag der
Herausgeberin Jutta Lütjen gibt uns Kostproben von Rödlers Werken
und Überlegungen, stellt uns Pioniere der Aufklärung vor und teilt
im Epilog Gruppenergebnisse von Studierenden zum Dialogischen
Lernmodell. Zusammengefasst sagt Lütjen zur Umsetzung dieses
Lernmodells: »Solch ein generiertes eigenes Wissen wirkt
objektivierenden Verdinglichungs- und Entfremdungsprozessen
entgegen« und führt »zur Persönlichkeitsbildung und zur Ausbildung
von Menschen, die urteilsfähig sind im Sinne der von Sokrates,
Kant, Mendelssohn, Schiller, Humboldt, Freire etc. erklärten
Mündigkeit.« (Lütjen 2018: 258/259) So umgesetzt bräuchten wir uns
keine Sorge um die Zukunft machen.
Insgesamt kann zu dieser Festschrift gesagt werden, dass sie nicht
immer einfach zu lesen ist und nicht aus allem konnte ich mir etwas
mitnehmen – aber das Denken soll ja herausgefordert werden.
Monika Vyslouzil
soziales-kapital.at