Rezension zu Psychosoziale Entwicklung in der Postmoderne (PDF-E-Book)
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Rezension von Ariane Schorn
Thema
Psychosoziale Entwicklungsprozesse verweisen immer auch auf
gesellschaftliche und kulturelle Rahmenbedingungen, die diese
mitbestimmen. Rahmt man die aktuelle Zeit als Postmoderne, so
stellt sich die Frage, wie sich deren Merkmale auf psychische
Strukturbildung, Identitätsbildungsprozesse sowie auf die damit
verbundenen intra- und interpersonellen Konfliktdynamiken
auswirken. In den Beiträgen des Buches beleuchten dreizehn
AutorInnen in einer psychoanalytischen Perspektive unterschiedliche
Lebensphasen des Menschen wie Kindheit, Jugend, Erwachsenenalter,
Alter und Ende des Lebens und skizzieren die spezifischen
Entwicklungsaufgaben und -themen, die Menschen in einer als
postmodern gefassten gesellschaftlichen Rahmung herausfordern.
Aufbau und Inhalt
Das vorliegende Buch umfasst insgesamt vierzehn Beiträge:
1. »Psychosoziale Entwicklung in der Postmoderne« eröffnet den
Band. Heike Schnoor arbeitet hier einführend Kennzeichen der
Postmoderne sowie Entwicklungsbedingungen in der Postmoderne
heraus.
2. Jörg Gogoll (»Übergänge und Wandlungen. Zur Psychoanalyse von
Veränderungsprozessen«) fragt nach Möglichkeiten und Grenzen für
individuelle Veränderungsprozesse einer im Digitalisierungs- und
Ökonomisierungsfuror aller Lebensbereiche befangenen
Postmoderne.
3. Jürgen Hardt benennt seinen Aufsatz: »Zweite Postmoderne: Eine
vorläufige Mitteilung«. Er vertritt hier die These, dass unsere
Lebenswelt in einen Zustand der Zweiten Postmoderne getreten sei;
die er als ein Ensemble von kulturellen Phänomenen bestimmt, die
sich durch eine Ambivalenz von Fortschrittseuphorie und tiefem
Unbehagen auszeichnet.
4. Sabine Hufendiek setzt sich in ihrem Beitrag »Wer passt in die
Welt und bekommt die Chance zum Leben?« mit der Heraus- und
Überforderung auseinander, die pränatale Diagnostik für werdende
Eltern bedeutet.
5. Der fünfte Beitrag des Buches – »Früh betreut – spät bereut? Was
wird aus der Fähigkeit zum Alleinsein in Zeiten außerfamiliärer
Betreuung von Säuglingen und Kleinkindern?« – stammt von Inken
Seifert-Karb. Sie fragt nach den Folgen einer an den Erfordernissen
der Arbeitswelt orientierten außerfamilialen Betreuung und
verdeutlicht, warum es dringend geboten wäre, eine
Betreuungsqualität zu etablieren, die sich primär an den
entwicklungspsychologischen und physiologischen Grundbedürfnissen
von Säuglingen und Kleinkindern orientiert.
6. »Forcierte Autonomie und keine Zeit zum Trauern. Transnationale
Kindheiten in Ecuador« lautet der darauf folgende Artikel von
Elisabeth Rohr. Ausgehend von der These, dass postmoderne
Gesellschaftsanalysen ohne die Berücksichtigung von Migration und
Flucht nicht mehr denkbar sind, untersucht sie am Beispiel von
Ecuador die psychosozialen Folgen, die elterliche Migration für die
zurückgelassenen Kinder haben.
7. Der siebte Beitrag »Psychische Konflikte bei
Postmigranten-Jugendlichen« von Mahrokh Charlier wendet sich der
Problematik von Jugendlichen zu, die über zwei kulturelle
Identitäten verfügen. Er beschreibt, wie psychotherapeutische
Unterstützung einen triangulären Raum eröffnet, der die Entwicklung
einer bikulturellen Identität ermöglicht.
8. Um die psychotherapeutische Arbeit mit Jugendlichen geht es auch
bei Thomas Pehl. Sein Artikel (»Im Sturm der Gefühle – Über Chancen
und Risiken der Adoleszenz. Zur Psychotherapie von Jugendlichen mit
Persönlichkeitsentwicklungsstörungen“« verdeutlicht, warum
insbesondere entwicklungstraumatisierte Jugendliche, die in einer
zerfallenen, übergriffigen oder auch destruktiven frühen Umwelt
aufgewachsen sind, Halt, Struktur, Kontinuität und Beruhigung eines
psychotherapeutischen Settings benötigen.
9. In »Veränderung der Identitätsbildung und Sexualität im
Zeitalter des Internets. Überlegungen und Gedanken aus der
therapeutischen Praxis« geht Bernd Keuerleber der Frage nach, wie
sich durch die alltägliche Präsenz des Internets und der mit diesem
Medium verbundenen Möglichkeiten sexuelle
Identitätsbildungsprozesse verändern.
10. In »Ansehen und Aussehen – Kultur und Körper“«beleuchtet Jörg
Gogoll den Trend zur Selbst- und Körperoptimierung angesichts eines
Marktes, der ein stetig wachsendes Repertoire an
Modellierungsmöglichkeiten anbietet.
11. Der elfte Beitrag des Buches »Vater postmodern« von Peter
Möhring. setzt sich mit dem Schwund des Väterlichen, der Sehnsucht
nach eben diesem – wie er sich als Subtext beispielsweise in der
Romanreihe »Harry Potter« offenbart – sowie einer möglichen neuen
Tradition des Väterlichen auseinander.
12. In »Elternschaft als gender trouble. Herausforderungen an
mütterliche und väterliche Identitätsentwürfe« verdeutlicht Helga
Krüger-Kirn, dass die Verwirklichung geteilter Elternschaft nicht
zuletzt an der strukturellen gesellschaftlichen Geringschätzung
reproduktiver fürsorglicher Tätigkeit scheitert.
13. Meinolf Peters kritisiert in »Zur Ambivalenz des Alterns in der
Postmoderne« den einseitigen Positivdiskurs des Alters, der die
Schattenseiten des Alters verleugnet.
14. Das Buch schließt mit einem Beitrag von Heike Schnoor („»Si vis
vitam, para mortem‘ (Freud). Psychosoziale Entwicklung in der
Postmoderne angesichts von Grenzsituationen des Lebens«). Sie
diskutiert die Folgen, wenn Leben vornehmlich als ein progressiv
verlaufender Prozess gedacht wird. Da sich Entwicklung jedoch
zwischen den Polen Werden und Vergehen bewege, verleite eine
Ausblendung letzteres dazu, sich nicht mit der Vergänglichkeit
auseinander zu setzen.
Diskussion
Das vorliegende Buch knüpft in erfreulicher Weise an eine Tradition
psychoanalytisch orientierten (Nach-)Denkens an, die sich mit der
Vermittlung von Individuum und Gesellschaft bzw. der Verschränkung
gesellschaftlicher und psychodynamischer Prozesse auseinandersetzt.
Erfreulich auch, dass hierbei ein gesellschaftskritischer Stachel
wahrnehmbar ist. Die verschiedenen Beiträge arbeiten heraus, dass
und wie die Postmoderne ein gesellschaftlich-kulturelles Umfeld
prägt, welches wiederum Menschen in jedem Lebensalter in
spezifischer Weise fordert und so Auswirkungen auf ihr Fühlen,
Denken und Handeln hat. Werden seelische Phänomene nur klinisch
reflektiert und nicht auch auf ihre gesellschaftlichen
Zusammenhänge hin befragt, so droht Leid verkürzt individualisiert
und pathologisiert zu werden.
Fazit
Die einzelnen, in sich abgeschlossenen und doch im Gesamt sich gut
ergänzenden Beiträge greifen eine Fülle aktuell relevanter
Phänomene und Fragestellungen auf. Sie sind informativ im Sinne von
aufschlussgebend, regen an, weiter zu denken und weiter zu
fragen.
Zu empfehlen ist das Buch Professionellen psycho-sozialer
Arbeitsfelder, aber auch interessierten Laien. Wer daran
interessiert ist, besser zu verstehen, welche Chancen,
Herausforderungen und Zumutungen mit der Postmoderne für den je
Einzelnen verbunden sind und wie sich gesellschaftliche Phänomene
im Innerpsychischen spiegeln, den wird die Lektüre dieses Buch
fachlich und persönlich bereichern.
Rezensentin
Prof. Dr. Ariane Schorn
Fachhochschule Kiel, Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit
Entwicklungspsychologie, Qualitative Sozialforschung, Psychosoziale
Beratung, Supervision
Zitiervorschlag
Ariane Schorn. Rezension vom 25.09.2018 zu: Heike Schnoor (Hrsg.):
Psychosoziale Entwicklung in der Postmoderne. Psychoanalytische
Perspektiven. Psychosozial-Verlag (Gießen) 2017. ISBN
978-3-8379-2724-5. Forum Psychosozial. In: socialnet Rezensionen,
ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/23631.php,
Datum des Zugriffs 17.10.2018.
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