Rezension zu Die Idee der Homosexualität musikalisieren
literatur konkret 2018/19 (S. 22), Oktober 2018
Rezension von Stefan Ripplinger
Pain in the ass
Guy Hocquenghem sagte lieber etwas Grundfalsches als etwas
Gefälliges. So wurde er zum ›pain in the ass‹ der französischen
Linksliberalen, die den Schriftsteller nach seinem frühen Tod 1988
gern vergessen hätten. Aber so leicht lässt er sich nicht
abschütteln. Weniger mit seinen Romanen als mit den
Theoriepamphleten, die er mit Ende 20, Anfang 30 schrieb, bringt er
sich in Erinnerung. Das bewies im letzten Jahr die Biografie von
Antoine Idier (konkret 5/ 17). Das beweist nun der vorliegende
Band.
Hocquenghem formulierte in den Siebzigern seine wildromantische
Version dessen, was heute »queer« genannt wird. Dass er viele
Punkte der Queer-Theoretiker Eve Kosofsky Sedgwick oder Paul B.
Preciado vorwegnimmt, ist ebenso unübersehbar wie die Kluft, die
sein Denken von identitären Positionen trennt, wie sie in den USA
oder in Deutschland vorherrschen. Dass einer oder eine sich dazu
durchringen müsste, »schwul«, »lesbisch« oder sonst etwas zu sein,
um dann als bürgerliches Subjekt glücklich zu verspießern, hielt
er für ein Abwürgen des Begehrens. Das Begehren fügt sich keiner
sozialen Form.
Der von dem Geschlechterforscher Heinz-Jürgen Voß herausgegebene
Band illustriert diese nicht-fixierbare Haltung mit der Übersetzung
eines Artikels, den Hocquenghem nach der Ermordung Pier Paolo
Pasolinis geschrieben hat. Er fragt eher mit als gegen Pasolini, ob
es nicht besser wäre, ein Verbrecher als eine »ordentliche Tunte«
zu sein, und sieht für die rationalisierte Gesellschaft voraus:
»Vorbei ist es mit den Schmutzigen und den Grandiosen, den
Amüsanten und den Bösen.« Damit verglichen, wirken die anderen
Beiträge harmlos. Der Soziologe Rüdiger Lautmann gibt eine
persönliche und gut zu lesende Einführung ins Werk, die jedoch mit
dessen psychologischen Ansätzen ihre liebe Not hat. Norbert Reck
betrachtet Hocquenghem aus dem Blickwinkel einer »Queer-Theologie«,
die ins »Lob der Schöpfung Gottes« einstimmt. Selbst im
Opiumdämmer wäre das dem Empörer Hocquenghem nicht eingefallen. Der
Herausgeber denkt über dessen Aktualität nach, die einen aber
sowieso anspringt. In der Ära Jens Spahn bewahrheitet sich
Hocquenghems Spott, alles, was deutsche Schwule jemals zu fordern
in der Lage seien, seien »rosa Volkswagen«.