Rezension zu Wie gefährlich ist Donald Trump? (PDF-E-Book)
Systemagazin. Online-Journal für systemische Entwicklungen
Rezension von Ulrich Sollmann
Mitte letzten Jahres hatten 27 Psychiater und Psychologen den
US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump auf die virtuelle Couch
gelegt. Jetzt liegt das Buch endlich auch auf Deutsch vor.
Kann man die Psyche eines Menschen aus der Distanz beurteilen?
Fragten sich damals prominente Psychiater und Psychologen, um dann
ein wirklich mehr als nachdenkenswertes Buch herauszugeben.
Einerseits besticht das Buch durch differenzierte, fundierte und
wissenschaftliche Genauigkeit in der Darstellung psychologischer
und psychiatrischer Zusammenhänge. Diese ranken sich um die Person
des Protagonisten Donald Trump, aber auch um die US-amerikanische
Gesellschaft sowie um die sich zuspitzende, brisante, hierdurch
beeinflusste weltpolitische Lage. Zudem nimmt das Buch einen
bedeutsamen und einzigartigen Platz ein im Rahmen
gesellschaftspolitischen Verhaltens der psychologischen/
psychiatrischen/ psychotherapeutischen Zunft ein.
Die 27 Autoren hatten sich zu dieser Streitschrift entschieden,
obwohl es die sog. »Goldwater-Regel« bzw. Abschnitt 7, Punkt 3 des
ethischen Kodes der American Psychiatric Association gibt, die
besagt »es ist unethisch, wenn ein Psychiater eine professionelle
Meinung über eine Person des öffentlichen Lebens zu Gehör bringt,
es sei denn, er oder sie hat die betreffende Person untersucht und
ist autorisiert eine solche Beurteilung abzugeben.«
Diese Goldwater-Regel markiert die Grenzen der praktischen
Berufsausübung. Sie hilft auch professionelle Integrität zu wahren
und schützt die Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens vor
Diffamierung. Was aber, so fragten sich die Autoren, sollte getan
werden, wenn das Verhalten einer öffentlichen Person, sprich in
diesem Fall eines US-amerikanischen Präsidenten, potentiell
verheerende Folgen nach sich ziehen kann oder wird. Die Autoren
sehen sich daher in Übereinstimmung mit der sog. Tarasoff-Doktrin,
einem Gerichtsurteil, das im Zusammenhang mit dem Fall Tarasoff vs.
University of California erging. Demnach ist es sogar die Pflicht
aller Fachleute für psychische Gesundheit, die Bürger der
Vereinigten Staaten und die Völker der Erde vor den potentiell
verheerenden Folgen des Verhaltens von Politikern (m.E.: inklusive
eines US-amerikanischen Präsidenten) zu warnen.
Psychiatrische und psychologische Fachleute befassen sich mit der
psychischen Gesundheit von Menschen. Ihre Aufgabe ist es aber auch,
die öffentliche Gesundheit zu fördern. Daher ist es für die Autoren
ihre Pflicht »unseren Patienten, aber auch der Öffentlichkeit einen
Weg zu körperlicher und psychischer Gesundheit zu zeigen, damit
überhaupt wirklich Debatten über politische Wahlmöglichkeiten –
unbehindert von emotionalen Zwängen oder Abwehrmechanismen –
stattfinden können.« Die Autoren stützen sich also nicht nur auf
ihre berufliche Ausbildung und Kompetenz, sondern vor allem auch
auf die Berufsethik, die in Zeiten von Gefahr gesehen werden
muss.
Wer die Debatte um das Buch Mitte 2017 in Erinnerung hat, erinnert
gewiss die heftige Kritik an dem Buch. Diese stützte sich primär
auf die »Goldwater-Regel«. Die anderen beiden Aspekte (ethische
Verpflichtung, Tarasoff-Urteil) fanden kaum Eingang in die Debatte,
so wie sie zumindest in deutschen Medien dargestellt wurde.
Die Herausgabe des Buchs durch den Psychosozial-Verlag in
Deutschland ist insoweit tatsächlich beachtenswert, als die
unterschiedlichen Dimensionen dargestellt werden, die bei einer
»Fremddiagnose« im aktuellen politischen Amerika relevant sind.
Das Buch gliedert sich in drei Abschnitte. Der erste Teil befasst
sich mit dem Phänomen Donald Trump, der zweite mit dem entstandenen
Dilemma durch Trumps Verhalten, der dritte Teil mit der Auswirkung
dieses Verhaltens, dem sogenannten Trump-Effekt.
In der »Fremddiagnose« geht es m.E., und so verstehe ich die
Autoren, nicht um die Analyse der Persönlichkeit von Donald Trump,
sondern um die Trump-spezifischen Verhaltensmuster. Insoweit
handelt es sich nicht um Diagnosen, die in einem therapeutischen
Kontext gemacht werden würden, sondern um die Einschätzung von
Verhaltensmustern, die durch Donald Trump verkörpert werden, die
aber nicht (nur) Bestandteile seiner Persönlichkeit ausmachen
würden.
Die Autoren beschreiben ausführlich das Muster des Zusammenspiels
von pathologischem Narzissmus und Politik sowie ungezügeltem
Hedonismus. Anschaulich und prägnant wird das Muster des
Machtmenschen dargestellt, das sich um die Gefühle von Ohnmacht,
Hilflosigkeit und Minderwertigkeit und Kompensation derselben sowie
paranoide Ängste dreht. Speziell dieses Muster führt zur
ungezügelten Selbstbezogenheit, Skrupel- und Rücksichtslosigkeit
sowie Größenphantasien. Zu diesem Muster gehört auch der Aufbau von
Illusionen und den Feindbildern, die diesen Illusionen entgehen
stehen (könnten).
Die Trumpschen Verhaltensmuster zeugen auch vom Mangel an
Schuldbewusstsein, Einfühlungsvermögen und Rassismus im Denken.
Insoweit prägen solche Verhaltensmuster einen populistischen, wenn
nicht gar autokratischen Politikstil.
Ausgehend von der Überzeugung, dass Gefährlichkeit keine
psychiatrische Diagnose ist und jemand, der gefährlich ist, nicht
unbedingt psychisch krank sein muss, beziehen sich die Autoren auf
die faktischen, sichtbaren, konkret zu befürchteten Gefahren. Um
dies einschätzen zu können, müssen die besagten Personen, in diesem
Falle Trump, nicht persönlich befragt werden. Oftmals lassen sich
Daten für mögliche Gefährdung auch nicht aus solchen Befragungen
erschließen, weil besagte Personen dazu neigen, Dinge, die relevant
sind, zu verbergen. Einige Bereiche im »Fall Donald Trump“« die
gesellschaftspolitisch, aber auch weltpolitisch brisant oder extrem
gefährlich sind, sind z.B. folgende: Der Besitz thermo-nuklearer
Waffen, die (mögliche) Anwendung von Folter, die Neigung qua Macht
sexuell übergriffig zu werden, eigene politische Anhänger nicht nur
zur Gewalt aufzufordern, sondern den möglichen Tod der geschädigten
Menschen in Kauf zu nehmen usw.
Verhaltensmuster, wie Trump sie zeigt oder andere Rechtpopulisten,
bergen konkrete Gefahren. Weitaus schlimmer sind jedoch die
indirekten Effekte, die sich einschleichende Wirkung in der
Gesellschaft, aber auch in den Köpfen und Herzen der einzelnen
Menschen. Wie mag es wohl, so erörtern die Autoren an einem
Beispiel, Frauen ergehen, deren Präsident sich mit sexuellem
Übergriff brüstet? Wie müssen sich Menschen fühlen, wenn das
sozio-politische Klima unverhersagbar ist und durch
Affektausbrüche, Lügen, Schuldzuweisungen durch den Präsidenten
geprägt ist.
Wie kann sich ein gesellschaftlicher Diskurs entwickeln oder am
Leben halten, wenn der Präsident offensichtlich gefangen ist im
eigenen Angriff-Flucht-Muster? Ist doch gerade die hiermit
verbundene Polarisierung in Gut und Böse ein leider äußerst
erfolgreiches Mittel, um Zwischentöne, um Alternativen, um
graduelle Unterschiede von Anfang an mundtot zu machen. Wie
entwickelt sich das generelle Lebensgefühl von Menschen, die
morgens nach dem Aufwachen wie hypnotisiert, gebannt den Fernseher
anmachen oder ihr Smartphone starten und in einer Schockstarre oder
völliger Fassungslosigkeit die neuesten Tweets ihres Präsidenten
lesen (müssen).
Das Buch »Wie gefährlich ist Donald Trump?« ist wirklich
lesenswert, aber auch erschütternd und mutmachend zugleich. Es ist
insoweit ein zeitgeschichtliches Dokument unserer Berufsgruppe. Ich
verstehe das Buch aber auch als Aufforderung selbst, hier im
eigenen Land gesellschaftspolitische Verantwortung zu übernehmen.
Diese könnte, so verstehe ich auch die Autoren, die aktive
Sichtbarkeit von Psycho im gesellschaftspolitischen Raum sein. Dies
kann auch darin bestehen, sich kontroversen Debatten zu stellen und
den Mut zu haben, Politik selbst nicht nur durch das Kreuz auf dem
Wahlzettel alle vier Jahre zu prägen, sondern eben durch
Sichtbarkeit im öffentlichen Raum.
Gefährlichkeit ist wie gesagt keine Geisteskrankheit, keine
psychiatrische Diagnose. Es geht nicht darum zu beweisen, ob Trump
krank ist oder nicht, auch wenn viele dies so sehen wollen. Sie
scheinen dadurch eher ein Gefühl von innerer Genugtuung zu
befriedigen, ganz im Sinne „das haben wir doch gleich gewusst“. Nur
ändert sich hierdurch rein gar nichts.
Täglich gibt’s in den Medien was Neues zu Donald Trump. Der
amerikanische Präsident ist ein medialer Dauerbrenner, der jedes
Mal aufs Neue die Geister in Gut und Böse scheidet. Entweder man
pflegt als Fan den Trump-Kult oder aber man ergeht sich im
Trump-Bashing. Sieht man von den jeweiligen politischen Ereignissen
ab, feiert und idealisiert man Trump blind oder wiederholt die am
Tag zuvor gemachte verbale Ohrfeige – je nachdem in welchem Lager
man sich befindet. Dies schafft natürlich keinen Neuigkeitswert
mehr.
Warum ist das Buch »Wie gefährlich ist Donald Trump?« in doppelter
Hinsicht gerade heute hoch aktuell und natürlich auch brisant?
Einerseits kann nun jeder die detaillierten, differenzierten und
zutiefst überzeugenden Ausführungen nachlesen, um sich selbst ein
umfassendes Bild machen zu können. Andererseits, und das ist
bemerkenswert, geht es in dem Buch vorrangig nicht darum, eine
Krankheitsdiagnose, wie es die meisten Medien berichtet haben, zu
stellen, sondern um die Analyse der psychologischen und
sozialpsychologischen Mechanismen, die hinter Trumps Welt- und
Menschenbild stehen und die auch auf unser aller Welt- und
Menschenbild Einfluss nehmen. Trumps Agieren in der Politik und in
den Medien stellt somit einen Angriff auf unser aller Wahrnehmung
der Realität, eine Art von “Wirklichkeits-Sabotage” dar. Dies will
das Buch aufdecken und einen Beitrag leisten, dass man die
Gefährlichkeit von Trump sehr ernst nehmen und darauf achten muss,
selbst nicht von seinem Verwirrspiel infiziert zu werden.
Es geht daher schlussfolgernd um drei Fragen: Worin besteht Trumps
Gefährlichkeit? Wie erklärt sich der Trump-Kult? Welche Bedeutung
hat z. B. Twitter für das Geschehen? Das Buch gibt überzeugende und
warnende Erklärungen, die die zugespitzte und gefährliche Situation
in den USA spiegeln. Sie lassen aber auch diejenigen aufhorchen,
die nach Erklärungen zu dem hohen und oftmals irrational wirkenden
Zuspruch von Populisten in Europa suchen. Hier einige zentrale
Verhaltensmuster:
Trump biegt sich die Realität so zu recht, wie er sie braucht oder
er erfindet Realität. Dies macht er ungezähmt, sehr spontan und
unvorhersehbar. Eine zentrale Gefahr, so die Analysen der Experten
in »Wie gefährlich ist Donald Trump«, besteht in Trumps fast
zwanghaften Projektionen auf andere. Die Gefahr, die er in sich
spürt, erlebt er als von außen kommend. Ihm bleibt dann nur zu
fliehen oder zu zerstören. Im unerschütterlichen Glauben, seine
Realitätswahrnehmung sei niemals gefährdet, erfindet er Geschichten
und schiebt die Schuld stets auf die anderen. Er befindet sich in
einem dauerhaften Überlebensmodus, wobei er überempfindlich auf
Demütigung und Scham reagiert.
Trump scheint bereits sein Leben lang im Verhaltensmuster der
»Kampf-und-Flucht«-Reaktivität zu leben. Inzwischen hat er einen
Zorn entwickelt, weil er die Scham spürt und ahnt, dass man ihn
letztendlich »kriegen« könnte. Zutiefst verzweifelt verletzt und
beschädigt er die Verantwortung, die ihm durch das Präsidentenamt
übergeben wurde. Mangel an Verantwortung in einer Beziehung führt
aber zu eskalierendem Streit. Trump nutzt zudem dabei das Mittel
andere in der Öffentlichkeit lächerlich zu machen, so wie man
früher jemanden auf dem Marktplatz an den öffentlichen Pranger
stellte.
Trump hat kein Gewissen, zeigt keine Empathie, noch sorgt er sich
um seine eigene Wählerschaft. Andere werden zu Objekten. Er
entpersonalisiert und instrumentalisiert Menschen und
gesellschaftliche Gruppen, um selbst zu überleben. Er verrät somit
diejenigen, die in ihn an die Macht gebracht haben.
Er predigt nunmehr Gewalt, Lüge, brutalen Egoismus und (sexuellen)
Missbrauch. Er schürt das Feuer der Diffamierung, des
grundsätzlichen Misstrauens in gesellschaftliche Institutionen und
kritische Medien. Last but not least baut er sich zu einem
magischen Führer der Welt auf, indem er die Aufmerksamkeit der Welt
ständig und absolut an sich selbst bindet. Es vergeht kein
Medien-Tag ohne was Neues von Trump.
Trump-Anhänger pflegen einen sektenähnlichen Kult. Trump zu wählen
kommt für viele einem persönlichen Bekenntnis gleich, das sie durch
ihr Kreuz am Wahltag ablegten. Diese Menschen, so scheint es,
erleben sich emotional verzweifelt, haltlos und verlassen durch die
Gesellschaft und die Politik. In Trump sehen sie unbewusst einen
Erlöser sehen, der sie, wenn er an die Macht kommt, retten würde.
Trumps Wählerschaft wirkt wie ein Publikumskult ohne formale
Organisation. Man fühlt sich dazu gehörig im Kreis der »Guten und
Aufrichtigen“« Die Welt wird nunmehr aufgeteilt in Gut und Böse, in
Richtig und Falsch erlebt. Und wer will schon zu den Bösen
gehören?
Da Fakten nicht nur ignoriert, sondern als Fake-News diffamiert
werden, kommt es zur magischen Erklärung der Welt. Wo liegt dann,
so könnte man fragen, der Unterschied zu Scientiology oder anderen
abstrusen und gefährlichen Sekten? Diese Kultbewegungen provozieren
logischerweise einen radikalen Widerspruch in der Gesellschaft.
Dieser wird wiederum zur Nahrung und Stärkung des eigenen gefühlten
Bekenntnisses. Trump als gefühlter Erlöser wird hierdurch
bestätigt. Trump muss nur so weiter machen wie bisher.
Trumps Twitter-Botschaften löschen den Verstand und das
Erinnerungsvermögen aus. Trump versucht die Menschen durch seine
Twittersalven geistig zu beherrschen. Er bombadiert die Welt mit
seinen Stakkato-Tweets. Und lässt den Menschen keine Zeit zum
Durchatmen und zur mentalen Erholung. Dies hat gravierende mentale
Konsequenzen, da Trump hierdurch den öffentlichen Raum im Alltag
nicht nur verändert sondern auch mit sich selbst besetzt. Man kann
nicht mehr nicht an Trump denken.
Man kann im Alltag nicht mehr einfach abschalten, weil man
permament durch die Trump-Tweets belästigt wird, oder eine Nacht
über die Dinge schlafen um sich dann eine eigene vielleicht ja
kritische Meinung zu bilden. Stattdessen bleibt man in einem Modus
von ständiger Erreichbarkeit, was einem emotionalen Überfall auf
das ureigene private Empfinden entspricht. Die Gefahr bei einem
solchen Überfall besteht darin, dass man ständig schutzlos im Modus
des emotionalen Alarms bleibt. Trumps Politik aus dem Affekt heraus
produziert nicht nur Chaos sondern dient auch als besonders
gefährliche Waffe, durch die sie die emotionalen Milieus in der
Gesellschaft infiltriert und magisch wirkend erobert.
Und jetzt schließt sich der Kreis: Trump wird zum Erretter aus der
emotionalen Not. Die Menschen spüren aber nicht mehr, dass er der
Verursacher dieser Not ist.
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