Rezension zu Die innere Arbeit des Beraters
Zeitschrift für Transaktionsanalyse 3/2018
Rezension von Günther Mohr
Gleich beim Betreten eines Unternehmens löst die erste
Aufmerksamkeit etwas bei einem aus: Wie ist das Gebäude? Welche
Farben sind da? Wie bewegen sich die Menschen? Grüßen diejenigen,
die einem begegnen, oder gehen sie einfach vorbei? Was löst das in
mir aus? Welche Erfahrungen und Normen habe ich dazu? So geht es
dann weiter. Zwar gilt »I never kissed a system«, aber ständig
entsteht in uns eine Resonanz auf das, was uns begegnet, gerade
wenn es um Begegnungen im Bereich des komplexen Feldes der
Organisationsberatung geht. Das von Klaus Obermeyer und Harald
Pühl herausgegebene Buch umfasst elf Aufsätze zu den Themen
Übertragung, Gegenübertragung und kokreative
Übertragungsprozesse.
Der systemische Hype mit dem Blick auf den äußeren Kontext sowie
die Fokussierung auf Lösungen und Zielerreichung hatte der
Innensicht wenig Platz gelassen. Dabei gibt es auch so etwas wie
institutionelle Gegenübertragung, die gerade unseren Umgang mit
Macht in Organisationen prägt. »Veränderung ist möglich, wenn es
uns gelingt, die Ratsuchenden in der Tiefe zu verstehen und unsere
eigenen Widerstände und inneren Blockaden gegen dieses Verstehen
in uns auszuräumen« (S. 8). Rudolf Heltzels Beitrag »Die
(Gegen-)Übertragung des Beraters in der organisationsbezogenen
Beratung« zeigt dies auf. Als Zielgröße wird Winnicotts (1974)
Konzept des Möglichkeitsraums genutzt: Wie gelingt es der
Beraterin, einen solch kreativen Raum zu eröffnen?
Die Trennung zwischen Berater und Beratenem in ganz klar
abgegrenzten Rollen wird in dieser Perspektive zunehmend
schwieriger. Verhalten und Person, Haben und Sein, unbedingte
Zuwendung und bedingte, die beiden Pole des Menschlichen, treffen
da zusammen, wo Menschen zusammenkommen, und insbesondere da, wo
wenig Selbstvertrauen auf der Seinsebene vorhanden ist. So kommt
es, dass sie sich immer wieder auf der Ebene des Habens und des
Tuns aufbauen. Organisationen sind oft bedingte Systeme; in ihnen
ist nicht per se eine Seins-Erlaubnis da und verankert. Im
persönlichen Bereich haben dieses Glück nur diejenigen, die
Urvertrauen haben – laut Arno Gruen nur 30 Prozent der Menschheit.
Das ist eine Realität, die zu beachten ist und in Organisationen
eine große Rolle spielt.
Klaus Obermeyer konzentriert sich in seinem Beitrag auf die
vielfältigen Beraterängste, etwa vor der Verstrickung in einem
Beratungsprozess. Außerdem wird diskutiert, ob der Begriff
»Gegenübertragung« nicht durch »Beraterresonanz« ersetzt werden
sollte. Tendenziell spricht sich der Autor dagegen aus, weil im
Begriff »Gegenübertragung« der »ureigene Anteil des Beraters« an
der Gestaltung der Beratungsbeziehung deutlicher wird.
Das Gefühl der Angstlust, das von Michael Balint zum ersten Mal
benannt wurde und die Gefühlsmischung von Angst und Lust etwa bei
der Achterbahn bezeichnet, wird von Cäcilia Debbing auf die
Schritte des Selbstständigmachens im Beraterinnenberuf
übertragen. Am Ende präsentiert sie ein kleines Beratungs-Tool
mit Anregungen und Fragen zur Selbstständigkeit.
Die Beiträge fokussieren einerseits die Möglichkeiten, die das
innere Erleben des Beratenden im Beratungsprozess ergibt, zum
anderen beschäftigen sie sich aber auch mit der Verletzlichkeit
der Berater. Bion folgend ist ein Berater bzw. Supervisor der
Container, der zuerst alles Unverstandene und Unverdaute des
Klienten aufnimmt und es dann in einer verdaubaren und
verträglichen Weise dem Klienten in seinen Interventionen
zurückgibt. Auch wir als Berater leiden also.
Ausheh Ra stellt die Allparteilichkeit des Mediators auf den
Prüfstand. Als Alternative zur Neutralität bietet sie eine
Formulierung von Boszormenyi-Nagy und Spark (1993, S. 242) an: die
innere Freiheit, »nacheinander die Partei eines jeden
Familienmitglieds zu ergreifen, in dem Maße, in dem sein
einfühlendes Vermögen und sein strategisches Vorgehen dies
erfordern«.
Michael Völker hat Erfahrungen, Ideen und Vorschläge zu Resilienz
zusammengestellt. Dabei orientiert er sich allerdings nur an
bekannten Konzepten wie dem Sieben-Säulen-Modell aus Optimismus,
Akzeptanz, Lösungsorientierung, die Opferrolle aufgeben,
Verantwortung übernehmen, Netzwerkorientierung, Zukunftsplanung.
Neuere Ansätze beziehen hier tiefere Persönlichkeitsarbeit mit
ein, wie Meditation und Körperarbeit sowie Skript- und
Antreiberarbeit (Mohr 2017) oder dialogische Verfahren (Höher
2017).
Der Band schließt mit einer Betrachtung der inneren Sicht des
Beraters aus relationstheoretischer Perspektive. Eine Trennung
zwischen innen und außen erscheint weitgehend beobachterabhängig.
Beratung ist demnach eher ein Oszillieren zwischen Engagement und
Distanzierung. Insgesamt bietet der Band interessante Anregungen zu
dem, was zwischen Berater und System passiert.
Literatur
• Gruen, A. (2012): Der Fremde in uns. München: dtv.
• Höher, F. (2017): Resilienz im System. Dialog als Ressource.
Leverkusen: Barbara Bud- rich.
• Mohr, G. (2017): Resilienzcoaching für Menschen und Systeme,
Bergisch Gladbach: EHP.