Rezension zu Eine Couch auf Reisen
Gehirn & Geist (3-2006)
Rezension von Stephanie Hügler
Was macht eigentlich ...?
Ein Psychoanalytiker begibt sich auf die Spuren seiner
Patienten.
»Es gibt keinen Roman über eine Ehefrau! « Sasha Alexandrovich
schreit. Es ist seine erste Sitzung in der Psychotherapie. Mit
endlosen Worthülsen berichtet der Schriftsteller über seine Erfolge
in der Damenwelt – und im Leben überhaupt. Schnell wird klar: Der
Mann leidet unter einer anhaltenden Schreibblockade. Der Therapeut
und Ich-Erzähler Robert Akeret diagnostiziert einen klaren Fall von
Narzissmus. Kunst oder geistige Gesundheit – für Akeret stellt sich
nun die Frage: Soll er Sasha eine Therapie vorschlagen, obwohl der
Patient die Behandlung beständig ins Lächerliche zieht und nur an
seiner Selbstdarstellung interessiert ist? Oder sind nicht
Narzissmus und Einsamkeit einfach der Preis, den Künstler für ihre
Kreativität zahlen müssen?
Der Analytiker entschließt sich abzuwarten, bis sein Klient bereit
ist, an der Behandlung mitzuarbeiten. Jahre vergehen, bis er sich
wieder auf die Suche nach Sasha macht und nach Paris reist. Akeret
will wissen, was aus dem einstigen Lebemann geworden ist. Der
Mensch, der ihm schließlich entgegentritt, ist tatsächlich ein
gefeierter Dichter. Doch der Therapeut erkennt: Sasha ist nur mehr
ein Schatten seiner selbst – medikamentensüchtig und depressiv.
Solche und andere Patientengeschichten hat der Psychoanalytiker für
sein Buch »Eine Couch auf Reisen« aufgeschrieben. Ähnlich wie der
berühmte Bestsellerautor Irvin D. Yalom schöpft der Amerikaner aus
seinem reichen Erfahrungsschatz und webt einen belletristischen
Erzählrahmen darum. Akeret, ein Schüler Erich Fromms, berichtet von
seinen ersten Begegnungen mit Patienten, von Therapien und vom
anschließenden Wiedersehen viele Jahre später.
Es sind skurrile Fälle zuweilen, wie der des jungen Mannes, der
sich bis über beide Ohren in eine Eisbärin verliebt und sein Leben
für diese Leidenschaft riskiert. Schizophrenie, sexuelle Störungen,
Narzissmus, Depressionen – Akeret zeigt, wie man aus diesem Stoff
spannende Geschichten strickt. Dabei gleitet er nicht ins Kitschige
oder Klischeehafte ab. Vielmehr zählen zu seinen Überlegungen auch
persönliche Zweifel und philosophische Betrachtungen, die ebenso
spannend sind wie die Therapien selbst. Denn diese sind kein
einseitiger Prozess, sondern beständige Interaktion – ein Geben und
Nehmen, bei dem auch der Behandler viel über sich erfährt.
So gehen Akerets Geschichten nicht immer gut aus, und längst nicht
jede Therapie führt zum gewünschten Erfolg. Zuweilen muss sich der
Psychologe viele Jahre später sein eigenes Scheitern eingestehen.
Ein fesselndes Buch, das man ungern aus der Hand legt, ein Roman
für lange Winterabende auf dem Sofa. »Eine Couch auf Reisen« ist
unbedingt empfehlenswert!