Rezension zu Der andere Mann

Zeitschrift für Transaktionsanalyse 3/2018

Rezension von Martin Weiß & Lars Charbonnier

Männer sind weder verehrungswürdige Helden, noch sind sie moralisch defizitäre oder seelisch minderbemittelte Mängelwesen. Entgegen diesen Zerrbildern von Männlichkeit, wie sie in überkommenen Geschlechterstereotypen und in Teilen des patriarchats kritischen Genderdiskurses transportiert werden, setzt der Sammelband eine differenzierte Sicht auf Männer der Gegenwart. »Es sollen alternative Sichtweisen auf Männer und Männlichkeit, auf ihr Werden, auf ihre Widersprüche und Schwierigkeiten, auf ihr Anderssein, auf ihre Möglichkeiten und Grenzen – und somit auch auf eine andere Geschlechterpolitik angeregt werden.« So beschreibt der Herausgeber Josef Christian Aigner das Ziel des Bandes. Die zwölf Beiträge beleuchten dazu v.a. aus psychologischer und pädagogischer Perspektive gegenwärtig bedeutsame »Grundsatzfragen für Männlichkeit und Geschlecht«. Damit bietet der Sammelband für eine breite Leserschaft einen guten Einblick in aktuelle Fragen der Männerforschung. In unserer Besprechung greifen wir sechs Buchbeiträge heraus, die für die Leserinnen und Leser der ZTA besonders interessant sein dürften.

Im ersten Beitrag erörtert der Psychologe Josef Christian Aigner, damit zugleich einleitend in das Spektrum der Themen des von ihm herausgegebenen Bandes, wie er zur Rede vom »anderen Mann« kommt. Der Schlüssel liegt in der Kunst der Unterscheidung bzw. der kritischen Analyse eingängiger Unterscheidungen der unterschiedlichen Diskurssphären von Mannsein, Geschlecht und Identität. Das Anderssein des anderen Mannes versteht Aigner in dreierlei Weise: Der Mann ist erstens von Kindheit an anders, da er es bereits als Kind und Junge heute schwer hat, sein »subjektiv zufriedenstellendes Mannsein zu entwickeln«. Er ist zweitens als erwachsener Mann anders, aus Aigners Sicht anders vor allem in Bezug auf die Negativdiskurse, in denen er beschrieben wird, aber auch anders als in vielen soziologischen Gendertheorien und ihren Beschreibungen des Männlichen. Er ist drittens anders im Vergleich zur Frau. Diese drei Dimensionen des anderen Mannes erörtert Aigner konzise und vor einer breiten wissenschaftlichen Forschungsrezeption, um damit resümierend darzustellen, dass das heute verbreitete Negativbild der Männer ein Zerrbild darstellt. Mit Böhnisch plädiert er am Ende dafür gegen die Dominanz der »hegemonialen Männlichkeit« die »Bedürftigkeit des Mannes« deutlich stärker in den Blick zu nehmen. Alle nun folgenden Beiträge können als tiefer gehende Erläuterungen der unterschiedlichen Aspekte dieses Beitrags betrachtet werden.

Im Aufsatz »Der strukturierte Mann. Die Bedeutung von Aggression und Autorität in der Vaterschaft« arbeitet der Psychoanalytiker Hans-Geert Metzger heraus, dass eine positive Aggression die Grundlage für väterliche Autorität darstellt. In Abgrenzung zu kritischen Anfragen des Genderdiskurses betont er den bleibenden Wert der regelsetzenden Funktion des Vaters in der Persönlichkeitsentwicklung der Kinder, die im Kontakt mit dieser strukturierenden väterlichen Autorität Halt gebende innere Persönlichkeitsstrukturen entwickeln können. Die Abwesenheit liebevoller väterlicher Autorität erschwert gerade Jungen die Ablösung aus der frühen Mutterbindung, was die Entwicklung destruktiver Aggressionsformen (»defensiver Rückzug«, »phallischer Narzissmus«) fördert. Erfährt dagegen ein Junge eine gute »Bevaterung« im Spannungsfeld von Begrenzung und Bindung, kann er als Mann »seine Verletzlichkeit tolerieren und seine Stärke einsetzen« und seinen Kindern strukturgebend und empathisch begegnen.

Der Gesundheitspsychologe Eduard Waidhofer bietet in seinem Beitrag »Männer leiden anders. Erfahrungen mit Männern in Therapie und Beratung« einen Überblick über theoretische Grundlagen, therapeutische Grundhaltungen und Interventionen sowie über spezifische psychische Problemlagen im Kontext von Männerberatung und -therapie. Ziel einer gendersensiblen Psychotherapie für Männer ist es, einengende Genderstereotypen aufzulösen, die weitverbreitete Sichtweise von »Männern als Mängelwesen« z.B. durch ein Reframing männlicher Bewältigungsstrategien zu relativieren und dadurch die Handlungsspielräume für Rat suchende Männer zu vergrößern. Da Männer in Problemlagen ihre eigene Vulnerabilität und ihre Gefühlswelt oft zu wenig wahrnehmen und sich häufig als Opfer äußerer Umstände sehen, versteht der Autor Männerberatung als Lernfeld für Männer in den Bereichen »Selbstverantwortung und Eigenfürsorge«. Bei der Besprechung therapeutischer Interventionsmöglichkeiten legt der Autor Wert auf eine gute Balance von liebevoller Wertschätzung und klarer Konfrontation und hebt besonders das an der Schematherapie orientierte »Moduskonzept« hervor. Der Beitrag schließt mit der Betrachtung spezifischer Problemstellungen in Beratung und Therapie mit Männern wie z. B. »Vatersein«, »Erwerbsbiografie« oder »Gewalt«.

Der Schweizer Psychologe und Soziologe Markus Theunert entwirft in seinem Beitrag »Die andere Geschlechterpolitik« genau das: Konzepte für eine andere Geschlechterpolitik, um die Geschlechterverhältnisse mit dem Ziel von mehr Geschlechtergerechtigkeit neu zu gestalten. Sein Konzept einer »triple advocacy« soll Männer unterstützen, solidarische Beiträge in diesem Sinne hin zu einer relationalen Gleichstellungspolitik leisten zu können. Diese umfasst dann das Eintreten für Frauenorganisationen, -anliegen und -rechte ebenso wie für männliche Verletzlichkeiten, Anliegen und Potenziale sowie eine Allianz für Geschlechtervielfalt und umfassende soziale Gerechtigkeit. Gerade Letzteres braucht nach Theunert die Entwicklung einer Kriteriologie, die über Quantitäten hinaus auch qualitative Faktoren berücksichtigt, wie etwa Lebensgestaltungschancen und Sinnstiftung. Eine Schärfung des Bewusstseins darüber, wogegen eigentlich gekämpft wird, ist eine Folge dieser Haltung und dieses Ansatzes, der vor allem die Überwindung der Polarität des bestehenden Diskurses als Erfolgsfaktor hervorhebt.

In seinem Beitrag »Vom Glück, ein Anderer zu sein. Männerbildung als Anders-Ort« beschreibt der Pädagoge Hans Prömper biografische Lernprozesse von Männern im Setting homosozialer Bildungsangebote für Männer zur Persönlichkeitsentwicklung (z.B. Männerwochenenden). Männerbildung erscheint hier als »Ermöglichungsraum von Achtsamkeit, Sensibilität, Authentizität, Autonomie und Solidarität«. Im Rückgriff auf M. Foucault betrachtet der Autor diese Settings als »Anders-Orte«, an denen Männer im Kontrast zur externalisierten Alltagserfahrung bei ihrem Lernprozess begleitet werden, sich zu spüren, ihre Position zu finden und ihrer »inneren Stimme« zu trauen. Anhand von Fallbeispielen beschreibt Prömper diese Lernprozesse von Männern näher. Unter einer neurobiologischen Perspektive erscheint Männerbildung als Ort, an dem Männer eine gute Balance zwischen Bindung und Autonomie entwickeln können. In spiritueller Hinsicht geht es um die Förderung von »Selbsttranszendenz«. Aus pädagogischem Blickwinkel qualifiziert sich Männerbildung als »Anders-Ort«, wenn dort in einem »alternativen Referenzrahmen« auf Zeit eine soziale Nähe unter Männern entsteht, die emotionale Lernprozesse anregt und nachhaltige Verhaltensänderung ermöglicht.

Der Wiener Philosoph Johannes Berchtold schließlich rundet mit seinem Aufsatz »Das Andere in uns. Yin- und Yang-Konstanten im Wandel der Zeiten als dynamische bzw. dialektische Grundmuster einer ganzheitlichen Geschlechtertheorie« den Band ab. Die Welt ist, so wird zunächst und unter Rückgriff auf östliche wie westliche Denkansätze ausgeführt, eine grundsätzlich dialektisch angelegte. Das Ziel jedes Diskurses und jeder Entwicklung liegt für Berchtold gerade deshalb aber nicht in der Vereinseitigung oder der Aufhebung dieser, sondern der konstruktiven Anerkennung und darin ihrer bewusstseinsgemäßen Erkenntnis. Die Verdrängung der Unterschiede, die Berchtold in den aktuellen Geschlechterdiskursen wahrnimmt, sei deshalb gerade ein Problem und nicht Teil einer Lösung. Eine konstruktive Entwicklung auch im Geschlechterdiskurs ist deshalb vielmehr in einer in diesem Sinne der Anerkenntnis der Unterschiede sich verstehenden Ganzheitlichkeit zu finden.

Aus unserer Sicht wird der Sammelband seinem eigenen Anspruch gerecht. Er bietet den Leserinnen und Lesern einen »alternativen Blick« auf Fragen zu Lebenslagen und zur Persönlichkeitsentwicklung von Männern. Dabei werden auch Einseitigkeiten im feministischen Genderdiskurs kritisch benannt, wobei bei manchen Autoren die Argumentation an traditionelle (katholische) vertraute Positionen erinnert. Problemlagen von Männern werden überwiegend unideologisch analysiert und Ansatzpunkte, Unterstützungsmöglichkeiten und Ressourcen für eine gelingende Persönlichkeitsentwicklung von Männern vorgestellt. Die gut verständlich geschriebenen und in der Regel inhaltlich anspruchsvollen Beiträge bieten nicht nur konkrete Anregungen für die eigene Praxis, sondern auch Anstöße zur vertieften Reflexion und kontroversen Diskussion über Männer und Männlichkeiten in der Gesellschaft sowie in psychologischen und pädagogischen Berufssettings. Für alle, die sich wissenschaftlich, persönlich oder beratend mit Männern befassen, ist dieses Buch ein Gewinn.

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