Rezension zu Heilende Wunden
Berliner Ärzte 8/2018
Rezension von Ulrike Hempel
Vom Heilen und Lindern
»Das Thema Haft und Verfolgung hat mich nie verlassen«, schreibt
Karl-Heinz Bomberg im Vorwort seines aktuellen Buches. Die
Veröffentlichung »Verborgene Wunden« über die Spätfolgen
politischer Traumatisierung in der DDR und ihre transgenerationale
Weitergabe gemeinsam mit Dr. Stefan Trobisch-Lütge, Psychologischer
Psychotherapeut, Psychoanalytiker und Traumatherapeut
herausgegeben, liegt erst wenige Jahre zurück (2015). 30 Jahre nach
dem Mauerfall streiten ehemals politisch Verfolgte noch immer um
einen angemessenen Umgang mit den Folgeschäden. Zahlreiche
Opferverbände üben Kritik an zu geringen Rentenzahlungen, Defiziten
in den Anerkennungsverfahren von haft- und verfolgungsbedingten
Gesundheitsschäden und gesellschaftlichen Verharmlosungstendenzen.
Expertinnen und Experten nehmen in »Verborgene Wunden« eine
umfassende Einordnung der Spätfolgen politischer Traumatisierungen
in der DDR vor und schildern Probleme in der aktuellen
Begutachtungspraxis psychischer Traumafolgestörungen sowie die
Besonderheiten der Behandlung im Bereich psychoanalytischer
Therapie, Verhaltenstherapie und alternativer
Traumatherapiemethodik.
Nun macht Bomberg in »Heilende Wunden« mit 15 Fallgeschichten
verborgene Wunden sichtbar, indem er Betroffene selbst zu Wort
kommen lässt und gibt verschiedenen Bewältigungsformen politischer
Traumatisierung in der DDR wie z. B. psychoanalytischer Therapie,
sozialen Netzwerken, Reisen und künstlerischem Schaffen Raum. Damit
ist das vorliegende Buch ein Band über die Konzepte und
Behandlungen von oft sehr komplexen und tief verwurzelten Folgen
dieser Form von Realtraumatisierung und ein Text über sich selbst,
merkt Harald J. Freyberger, Professor für Psychiatrie,
Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der
Universitätsmedizin Greifswald im Geleitwort an. Bomberg weiß,
wovon er spricht. Er ist nicht nur Experte für Langzeitfolgen
politischer Traumatisierung und Repression in der DDR. Er ist
selbst betroffen: Bomberg saß 1984 in Stasi-Untersuchungshaft. »Die
Inhaftierung und plötzliche Schutzlosigkeit waren ein Schock für
mich«, schilderte Bomberg in einem taz-Artikel, sich an das
Stasi-Untersuchungsgefängnis Kissingenstraße in Berlin Pankow
erinnernd, als er im Verhörzimmer schlagartig begreifen musste,
dass er ein politischer Gefangener der DDR war. Heute behandelt der
Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie,
Anästhesie und Intensivmedizin Stasi-Opfer psychoanalytisch in
seiner Praxis in Berlin Prenzlauer Berg.
Die Berichte und Bilder der Betroffenen in »Heilende Wunden« hat
Bomberg mit theoretischen Erläuterungen versehen, sodass sie in
einen wissenschaftlichen und künstlerischen Kontext gestellt
werden. Es liest sich schmerzlich, wie schwer der oft jahrelange
Prozess ist, die Wunden wirklich heilen zu lassen. Bomberg gibt zu
bedenken: »Die Heilung, von der im Titel des vorliegenden Buches
gesprochen wird, ist freilich ein großer Begriff – vielleicht
sollte man besser von Linderung sprechen. Schließlich heißt es im
tradierten Ärztegelöbnis: ›Heilen selten, lindern manchmal, trösten
immer.‹ Damit erfolgt zweifellos eine wichtige Relativierung. Ich
habe den umfassenden Titel dennoch gewählt, weil die Heilung als
großes Ziel stets gegenwärtig bleibt und bleiben muss.«
Neben dem beschriebenen Leid und dem erfahrenen Unrecht findet sich
immer auch die Suche nach Hoffnung. Sie taucht auf in Sätzen wie
diesem, in der Fallgeschichte 6.2.: Herr Kuhn, der 1977 noch im
Gefängnis beschloss, das erlebte Trauma in Bildern und Zeichnungen
sofort festzuhalten, wenn er wieder in Freiheit sein würde: »Meine
Bilder sollen nicht klagen, sondern mahnen und sind in ihrer
Konsequenz ermutigend, weil sich mein nichtgebrochener Wille in der
DDR-Haft und meine Sehnsucht nach Freiheit als stärker erwies. Es
soll auch kein von Mitleid erfüllendes Selbsterfahrungsdokument
sein, sondern ein Plädoyer für eine freiheitliche Selbstbestimmung
jedes Menschen.«