Rezension zu Wie gefährlich ist Donald Trump?
Ruhrbarone.de vom 22. August 2018
Rezension von Robert von Cube
In Amerika war das Buch »The dangerous case of Donald Trump« ein
New-York-Times-Bestseller. Die deutsche Übersetzung (»Wie
gefährlich ist Donald Trump? 27 Stellungnahmen aus Psychiatrie und
Psychologie«), die kürzlich erschienen ist, hat noch nicht so
großes Medien-Echo verursacht. Das könnte auch daran liegen, dass
sie bei einem Fachverlag erschienen ist. Dabei ist das Buch
durchaus auch an Laien gerichtet.
Als Psychiater lese ich die 27 Aufsätze natürlich besonders
interessiert, aber auch kritisch. Die meisten der Autoren und
Autorinnen in diesem Buch sind Psychiater oder Psychotherapeuten.
Dadurch, dass sie öffentlich über die psychische Verfassung des
Präsidenten spekulieren, verstoßen sie gegen die sogenannte
»Goldwater-Regel«. Hierbei handelt es sich um eine Vorgabe der APA
(American Psychiatric Association, der Fachverband amerikanischer
Psychiater), die besagt, dass Mitglieder keine Ferndiagnosen bei
Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens stellen sollen, die sie
nicht persönlich untersucht haben (bei Personen, die sie untersucht
haben, dürfen sie ohne Zustimmung natürlich erst recht keine
Diagnosen veröffentlichen). Diese Regel wurde unlängst noch
strenger ausgelegt als bislang und verbietet nun generell die
Vermischung professioneller und politischer Stellungnahmen.
Goldwater
Entstanden ist die Goldwater-Regel, nachdem 1964 Psychiater
öffentlich die geistige Gesundheit des Präsidentschaftskandidaten
Barry Goldwater infrage gestellt hatten und dessen Kandidatur damit
kippten. In Deutschland gibt es so eine Regel nicht, dennoch werden
wahrscheinlich die meisten hiesigen Psychiater zustimmen, dass es
unlauter wäre, jemandem, den man nicht persönlich untersucht hat,
eine Diagnose zu unterstellen – und dies auch noch öffentlich zu
tun. Aber auch hier gibt es Gegenbeispiele, so hat Frau Prof.
Herpertz vom Universitätsklinikum Heidelberg unlängst in der ZEIT
geäußert, dass sie die Einschätzung der amerikanischen Kollegen
teilt.
Für die Autoren des Buches „Wie gefährlich ist Donald Trump“ ist
die Goldwater-Regel nicht grundsätzlich falsch. Aber sie stellen
die Frage, ab wann man diese Regel zugunsten einer Warnung der
Öffentlichkeit brechen muss. Sie verweisen darauf, dass es für
einen Arzt auch die Verpflichtung gibt, seine Schweigepflicht zu
brechen, wenn er erfährt, dass ein Patient das Leben anderer
gefährdet. Das könnte zum Beispiel der Fall sein, wenn jemand mit
einer Epilepsie trotzdem Auto fährt. Oder wenn ein Mensch mit einer
Schizophrenie dem Psychiater anvertraut, die Stimmen würden ihm
befehlen, jemanden umzubringen.
Zusätzlichen Zweifel an der Legitimität einer solchen Vorgabe haben
die Autoren, seit bekannt wurde, dass die Schwestervereinigung der
APA, nämlich der Fachverband der Psychologen (der sich
verwirrenderweise auch APA abkürzt) Folterprogramme der CIA
gestützt und gedeckt hat. Es wird auch darauf verwiesen, dass Ärzte
im Dritten Reich der offiziellen Linie folgten, anstatt für
Menschlichkeit und Würde der Patienten einzutreten.
Das wiederkehrende Argument des Buches ist, dass Psychiater und
Psychotherapeuten ihre Stimme erheben müssen, wenn sie anhand ihrer
Expertise feststellen, der Präsident stelle aufgrund seiner
psychischen Verfassung eine Gefahr für die Sicherheit des Landes
bzw. der ganzen Welt dar.
Ferndiagnose oder fern von einer Diagnose?
Aber selbst wenn man dieser nachvollziehbaren Einschätzung
zustimmt, bleibt natürlich die Frage, wann eine solche psychische
Beeinträchtigung besteht und wie man beurteilen will, ob aus ihr
eine Gefährdung folgt. Mal direkter, mal indirekter, werden über
das Buch verteilt folgende Diagnosen Trumps nahegelegt:
– narzisstische Persönlichkeitsstörung
– narzisstisch-zwanghafte Persönlichkeitsstörung
– histrionische Persönlichkeitsstörung
– paranoide Persönlichkeitsstörung
– antisoziale Persönlichkeitsstörung
– ADHS
– bipolare Störung
– Demenz
– Wahnhafte Störung
– »Psychose«
Alleine die Auflistung sollte auch dem Laien klarmachen, dass der
Präsident offenbar keine eindeutig einer bestimmten Diagnose
zuzuordnenden Symptome zeigt.
Die Psychologie beschäftigt sich ja auch mit den Vorgängen in der
gesunden Psyche und daher kann sie uns wichtige Erkenntnisse über
Mechanismen der Macht oder Motivation der Mächtigen liefern. Das
Problem ist jedoch, dass ein großer Teil ihrer Konzepte und
Begriffe aus der Krankheitslehre stammt. Daher begehen
Psychotherapeuten und Psychiater ständig den Fehler, jeden
seelischen Mechanismus, den sie erkennen, als pathologisch zu
werten. Jeder Mensch unternimmt Schritte, die der Erhaltung seines
Selbstbildes dienen, jeder ist ein bisschen narzisstisch. Dass
Donald Trump sehr narzisstisch ist, sieht auch ein Laie mit einem
Funken Menschenkenntnis. Er nennt das dann nur anders, vielleicht
selbstverliebt, großspurig oder unberechenbar.
Man kann und muss darüber sprechen, was es bedeutet, wenn solche
Menschen in Machtpositionen sind. Und das sind viele – die meisten
sind dabei nur nicht so schillernd wie der US-Präsident. Eine der
interessanten Erkenntnisse des Buches ist es übrigens, dass
angeblich alle bisherigen amerikanischen Präsidenten auf einem
Fragebogen namens Narcissistic Personality Inventory Score Werte
erreichten, die sie als »Narzissten« klassifizieren. Ferner habe
nahezu die Hälfte aller Präsidenten bis 1974 an irgendeiner
psychischen Erkrankung gelitten.
Trotz der genannten Vielzahl an Diagnosen beziehen sich die meisten
Autoren auf Trumps Narzissmus. Die Erörterungen dazu, was so ein
Narzissmus in einer Machtposition bedeutet, sind erhellend. So wird
auch immer wieder der Vergleich zu Nixon gezogen und deutlich
gemacht, wie eng politische Entscheidungen von globaler Bedeutung
mit gekränkten Gefühlen verknüpft sind. Es ist für mich als
Fachmann recht offensichtlich, dass Arroganz fast immer mit einem
schlechten Selbstwertgefühl einhergeht. Aber mir ist bei der
Lektüre des Buches auch wieder klargeworden, dass ich diese
Erkenntnis selbst erst im Verlauf meiner Ausbildung gewonnen habe.
Und so leistet das Buch einen Beitrag dazu, die Psyche von
Menschen, die nach Macht streben, besser zu verstehen.
Es warnt vor der Spirale, die in Gang gesetzt wird, wenn Leute mit
schwachem Selbstwert sich a) nur mit Menschen umgeben, die sie
bestätigen (weil sie die Kritik nicht aushalten) und b) auf
Kränkungen mit Feindseligkeit reagieren. Wenn die Antwort auf eine
Konfrontation eine Lüge ist und die Antwort auf die Konfrontation
mit der Lüge keine Entschuldigung, sondern weitere Aggressionen
nach sich zieht, dann wird jede Kommunikation vernichtet. Und je
größer und wackeliger das Lügengebäude, desto gravierender müssen
die nächsten Schritte sein, um es vor dem Einsturz zu retten.
Spekulation!
Schwierig wird es aber, wenn die Autoren neben diesen allgemeinen
Mechanismen die Behauptung aufstellen, Trump sei aufgrund konkreter
psychiatrischer Symptome amtsunfähig. Wie erwähnt, folgt aus der
Beobachtung narzisstischer innerpsychischer Mechanismen nicht
automatisch die Diagnose einer narzisstischen
Persönlichkeitsstörung. Ja, es gibt eine Tendenz, immer mehr
seelische Zustände mit einer Diagnose zu benennen. Aber das
Grundprinzip der großen Diagnosesysteme bleibt, dass für eine
psychische Störung grundsätzlich eine Störung des Funktionsniveaus
oder ein nennenswerter Leidensdruck bei dem Betroffenen bzw. seiner
Umwelt vorliegen müssen. Jemand, der aufgrund eines ausgeprägten
Perfektionismus seine Arbeit besonders gründlich macht, hat
vielleicht eine zwanghafte Persönlichkeitsstruktur, aber keine
Störung. Erst wenn er (z.B.) seine Arbeit nicht beenden kann, weil
er immer noch nach Fehlern sucht, besteht eine
Funktionsstörung.
Das Funktionsniveau ist offenkundig gut, wenn man es schafft, die
Strapazen des Wahlkampfes und der Spitzenpolitik zu bewältigen. Ein
persönlicher Leidensdruck lässt sich nicht beobachten. Argumentiert
wird daher einzig damit, dass Trumps politische (oder früher
geschäftliche) Entscheidungen dysfunktional wären bzw. Leid über
dessen Umwelt brächten. Dies ist zwar als politische Haltung
nachvollziehbar, darf aber bei einem demokratisch gewählten
Politiker kein wissenschaftliches Kriterium der Krankheit sein. Es
fällt ja sofort in sich zusammen, wenn man eine andere politische
Haltung hat.
Es ist überhaupt nicht ausgeschlossen, dass Trump eines Tages einen
seelischen Zusammenbruch erlebt. Wenn er eine Niederlage erlebt,
die seinen Selbstwert so in Frage stellt, dass seine
Kompensationsmechanismen (wie Prahlerei, Lügen, Ablenkung auf die
Fehler anderer) nicht mehr funktionieren, könnte dieser Mann in
eine Depression verfallen. Dann könnte man postulieren, dass sein
Narzissmus ein krankhaftes Maß hat. Bis dahin aber ist diese
Behauptung alarmistisch und unwissenschaftlich.
Besser gefallen mir da die Beiträge, die bescheidener Auftreten,
etwa der von Leonard L. Glass, der sehr klar zwischen einer
»professionellen Meinung« und der »Meinung eines Profis«
unterscheidet, bzw. zwischen einer (spekulativen) Diagnose und
einer »fachlich informierten Ansicht«. Statt eine bestimmte
Psychopathologie zu behaupten, spricht er sehr treffend von Trumps
»psychologischen Stil«. Ebenso auf medizinische Kategorien
verzichtet Harper West und erläutert stattdessen ausführlich das
Verhalten und die Beziehungen einer Gruppe von Menschen die sie so
bezeichnet: »Leute, die anderen die Schuld zuweisen.«
Paranoia, Wahn, Psychose
Noch viel unwissenschaftlicher hingegen wird es da, wo die Autoren
Trump unterstellen, »wahnhaft«, »paranoid« oder gar »psychotisch«
zu sein. Sie verweisen dabei auf die Vielzahl von Lügen, die Trump
nachgewiesen wurden, und wie diese Nachweise von ihm abprallen. Sie
verweisen auch darauf, wie er anderen unterstellt, ihm (oder dem
amerikanischen Volk) schaden zu wollen. Oder – sicherlich das
heikelste Beispiel – wie er plötzlich behauptete, von Obama
abgehört worden zu sein.
Von Fachleuten dürfte man einen präziseren Umgang mit diesen
Fachbegriffen erwarten.
Tatsächlich sind die Wörter »paranoid« und »Psychose« nicht ganz
klar definiert. Das spielt den Autoren in die Hände. Paranoid
bezeichnet im Zusammenhang mit einem Wahn das Gefühl, verfolgt zu
werden und meint dann üblicherweise sehr konkrete Theorien darüber,
wer hinter einem her ist (Aliens etc.). Aber es wird auch für eine
allgemein übertrieben misstrauische Haltung benutzt, für Leute, die
stets damit rechnen, das andere ihnen schaden wollen, die die Welt
als feindselig und gefährlich wahrnehmen. In dieser Deutung könnte
es auf Trump zutreffen.
Eine Psychose ist zunächst mal eine schwere Geisteskrankheit. Der
Begriff ist schon alt und wurde benutzt, als die psychiatrischen
Diagnosen noch nicht so ausdifferenziert waren wie heute.
Heutzutage versteht man unter einer Psychose in allererster Linie
eine Schizophrenie, eventuell auch eine verwandte Störung mit
»psychotischen« Symptomen. Damit sind dann Beschwerden wie
Halluzinationen oder Wahn gemeint. Die Behauptung, Trump befände
sich in einer »psychotischen Spirale« ist extrem
missverständlich.
Ähnlich ist es mit dem Wahn. Trump wird an mehreren Stellen des
Buches Wahn unterstellt. Es wird postuliert, dass er seine Lügen
(z.B. über die Anzahl der Teilnehmer an seiner Vereidigung) selbst
glaube und somit nicht einfach unehrlich, sondern eben wahnhaft
davon überzeugt sei. Das ist aber eine sehr vereinfachte
Vorstellung von einem Wahn. Wahnstörungen, wie sie sich dem
klinisch tätigen Therapeuten zeigen, sind ausgeprägte, irreale
Theorien über die Welt, üblicherweise in sich geschlossen und über
längere Zeit konsistent.
Die wenigsten Menschen, die die Unwahrheit sagen, werden ganz
bewusst und mit kalten Herzen »lügen«. Sie werden sich immer etwas
zurecht legen, dass ihre Behauptungen stützt oder rechtfertigt,
werden sich sagen, dass es vielleicht nicht ganz stimmt, aber ja
eigentlich so gewesen wäre wenn… Jemand wie Trump, der spontan und
regelmäßig Vorwürfe abschmettert, sich herauslaviert, Gegenangriffe
startet, austestet wie weit er gehen kann, Schutzbehauptungen
aufstellt und mit Unterstellungen agiert, der ist meiner festen
Überzeugung nach nicht wahnhaft.
Freud’sche Fehlleistung
Die meisten der Autoren gehören dem psychoanalytischen
Therapielager an. Bei allem Respekt vor den Leistungen dieser
Schule muss gesagt werden, dass durch den hohen Stellenwert des
Unterbewussten, der Intuition des Therapeuten, durch die weitgehend
spekulativen Deutungen, hier häufig eine Gewissheit über seelische
Begebenheiten suggeriert wird, die der kritischen Betrachtung nicht
standhält.
Übertrieben erscheint auch die Neuerfindung einer
»Trump-Angststörung«, die angeblich in den Praxen zu beobachten sei
und die trotz dramatischer Schilderung einfach nach einer gesunden
emotionalen Reaktion auf ein einschneidendes Wahlergebnis klingt.
Bedenklich stimmt es, wie traumatisierte Menschen auf die Wahl
reagieren. Sie spüren, den Schilderungen nach, sehr deutlich, dass
die Gesellschaft sich in eine Richtung entwickelt, die ihnen
weniger Schutz und Verständnis entgegenbringt als bislang. Das
gleich als Re-Traumatisierung zu bezeichnen finde ich dann aber
wieder alarmistisch.
… und trotzdem lesenswert
Meines Erachtens hätten die Autoren gut daran getan, sich hier mehr
zurückzuhalten (auch wenn das Ergebnis weniger dramatisch gewesen
wäre) und sich auf die vielen interessanten Aspekte des Buches zu
beschränken. Etwa darauf, dass seit der Wahl Trumps die Zahl der
Hassverbrechen messbar zugenommen hat. Oder dass Untersuchungen
zeigen, dass die Schwelle dessen, was Leute als »normale
Äußerungen« empfinden, sich verschoben hat (auch bei den Gegnern
Trumps). Interessant sind auch die Schilderungen von Tony Schwartz,
einer der wenigen nicht psychotherapeutischen Autoren, der Co-Autor
bei Trumps Buch »The Art of the Deal« war und seine persönlichen
Erfahrungen mit ihm schildert.
Gut gefallen hat mir auch der Beitrag von William J. Doherty, der
sich Gedanken darüber macht, wie man soziale und politische
Spannungen im therapeutischen Prozess berücksichtigen kann und
welche Wechselwirkungen es zwischen Demokratie und Psychotherapie
gibt. Er spricht davon, dass Trumps öffentliches Verhalten »den
Triumph des Antitherapeutischen darstellt«. Er hat
»Depolarisations-Workshops« veranstaltet, in denen er Demokraten
und Republikaner in einer Art Gruppen-Paartherapie zusammenbringt.
Daraus hat sich die Organisation Better Angels entwickelt, deren
Ziel es ist, die Polarisierung Amerikas zu überwinden.
Neben vielen altbekannten Beispielen, eben der erwähnten
Menschenmenge, dem »Pussy-Grab«-Mitschnitt oder den angeblich
abgehörten Telefongesprächen, kommen auch weitere, verstörende
Details über Trumps Seelenleben zutage. Etwa die sexualisierenden
Äußerungen über seine Tochter oder das Verhältnis zu seinem Vater,
an dessen Beerdigung er in der Trauerrede auf sein eigenes nächstes
Bauprojekt verwiesen hat. Trumps Vater wird wegen seiner
rassistischen Praktiken im Wohnungsbau übrigens in einem Song von
Woody Guthrie erwähnt.
Zusammenfassend ein Buch, das für alle interessant sein sollte, die
sich für die Strukturen von Macht und Mächtigen interessieren,
dabei aber etwas kritisch gegenüber der Überzeichnung
psychiatrischer Symptome sind und einige Redundanzen ertragen.
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