Rezension zu Wie gefährlich ist Donald Trump? (PDF-E-Book)
Süddeutsche.de vom 3. August 2018
Rezension von Alex Rühle
»Er ist womöglich von Angst überwältigt«
Kann man die Psyche eines Menschen aus der Distanz beurteilen?
Prominente Psychiater unÜberd Psychologen meinen, im Fall des
US-Präsidenten sei es geboten.
Lange Zeit galt es als unprofessionell, wenn Ärzte Ferndiagnosen zu
möglichen psychischen Problemen von Personen des öffentlichen
Lebens stellten. Die American Psychiatric Association (APA)
verurteilt ein solches Verhalten ausdrücklich als unethisch.
Ähnlich hält es die deutsche Fachgesellschaft DGPPN. Doch seit
Donald Trump US-Präsident ist, widersetzen sich viele Psychiater
dieser Regel. Das Wohl eines Einzelnen dürfe nicht über dem eines
ganzen Landes, ja der ganzen Welt stehen, heißt es. Ihre Diagnosen
erscheinen nun in einem Buch auch auf Deutsch.
Wie gefährlich ist er?
Eine psychische Erkrankung bei einem US-Präsidenten ist nicht
notwendigerweise etwas, das für die Bürger, die er regiert,
gefährlich ist. Eine Untersuchung aller 37 US-Präsidenten bis zum
Jahr 1974 stellte fest, dass nahezu die Hälfte von ihnen an einer
diagnostizierbaren psychischen Erkrankung litt, unter anderem an
Depressionen, Angst und bipolarer Störung. Bemerkenswerterweise
wurden jedoch Persönlichkeitsstörungen nicht in diese Untersuchung
aufgenommen, obwohl sie ebenso beeinträchtigend sein können. Diese
Erweiterung hätte höchstwahrscheinlich die Zahl von Präsidenten mit
psychischen Erkrankungen auf weit über 50 Prozent erhöht. Doch eine
psychiatrische Erkrankung eines Präsidenten ist für sich genommen
nichts, was Anlass zu großer Sorge gibt. Ein zweiter und
entscheidender Teil der Gleichung ist die Frage: Ist der Präsident
aufgrund der psychischen Erkrankung gefährlich?
Diane Jhueck, Psychotherapeutin
Ein Psychiater, der die grundlegenden Methoden der Diagnosestellung
und Behandlung missachtet und die Diskretion nicht wahrt, verdient
einen scharfen Verweis. Allerdings verletzen wir das Vertrauen der
Öffentlichkeit auch dann, wenn wir sie in einer Situation wie der
derzeit gegebenen nicht warnen – wenn eine Persönlichkeit, die
Macht über uns alle hat und in der Lage ist, über Leben und Tod zu
entscheiden, eindeutige Zeichen einer gefährlichen mentalen
Beeinträchtigung erkennen lässt. […] Jemand kann beides sein, böse
und mental gestört – was besonders beängstigend ist. Macht
korrumpiert nicht nur, sie verstärkt zugleich bestehende
Psychopathologien, ja sie kann zum Entstehen neuer pathologischer
Phänomene führen. Begünstigt durch die Schmeicheleien der
Untergebenen und den Jubel der Massen, kann das Gefühl der
Großartigkeit bei einem politischen Führer zu grotesken
Wahnvorstellungen hinsichtlich der eigenen Größe mutieren.
Soziopathische Züge verstärken sich, wenn eine solche Person
feststellt, dass sie die Normen der Zivilgesellschaft straeos
missachten und selbst Verbrechen begehen kann, ohne bestraft zu
werden.
Judith Lewis Herman, Psychiaterin, Harvard Medical School/Bandy X.
Lee, Assistant Clinical Professor, Yale Law School
Tyrannischer Charakter
Immerhin können wir aufgrund des uns zugänglichen ausgedehnten
Print- und Videomaterials – das seinen tyrannischen Charakter,
seine unreifen Bemerkungen über Sexualität und sein kindliches
Bedürfnis nach beständiger Aufmerksamkeit zur Genüge enthüllt –
vermuten, dass er traumatisierende Erfahrungen machte, als er im
Alter von 13 Jahren auf eine Militärschule geschickt wurde.
Philip Zimbardo, Psychologe, Stanford University / Rosemary Sword,
Therapeutin
Pathologischer Narzissmus
Ein eingeschränktes Urteilsvermögen führt zwangsläufig dazu, dass
das eigene Handeln in erster Linie reaktiv ist, es ist nicht
geplant. Wenn nichts anderes mehr zählt als Aktionen, die den
eigenen Status aufrechterhalten – das heißt, die Überzeugung, etwas
ganz Besonderes zu sein (zumindest in der eigenen Vorstellung) –,
dann spielen Realität, äußere Umstände und Tatsachen keine Rolle
mehr. Infolgedessen ist das, was ein Präsident, der an
pathologischem Narzissmus leidet, Tag für Tag und Stunde um Stunde
von sich gibt, häufig einzig davon bestimmt, was sich für ihn am
besten anfühlt, und nicht davon, was das Beste ist für das
Land.
Craig Malkin, Klinischer Psychologe, Harvard Medical School
Gestörte Hirnchemie
Neurochemisch betrachtet zeigt Donald Trump, sobald er sich bedroht
oder ausgebremst fühlt, eine Kampf- oder Fluchtreaktion. Seine
Amygdala erhält einen Impuls, seine
Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse wird aktiviert und
sein präfrontaler Kortex – jener Teil des Gehirns, der uns zu
rationalem Denken und Reflexion befähigt – wird außer Gefecht
gesetzt. Er reagiert, anstatt nachzudenken, und die Konsequenzen
sind ihm egal.
Tony Schwartz, Co-Autor einiger von Trumps Büchern
Crazy like a fox?
»Crazy like a fox oder einfach nur crazy?« Diese Frage ist seit
Donald Trumps Präsidentschaftswahlkampf immer wieder gestellt
worden. Die Frage ist, ob eine Person, die wiederholt unmoralisch
handelt, die andere täuscht und hereinlegt, lügt, betrügt und
manipuliert, um zu bekommen, was sie will, eine Person, der es egal
ist, wen sie verletzt, solange sie nur selbst bekommt, was sie will
– ob die vom Eigennutz getriebene Gleichgültigkeit einer solchen
Person gegenüber den Gefühlen anderer Menschen einfach bedeutet,
dass diese Person clever oder gerissen ist, eben ›crazy like a
fox‹? Oder ob diese Verhaltensweisen Ausdruck einer schweren
geistigen Störung sind?
Die Antwort auf diese Frage lautet eindeutig ›Ja‹. […] Donald
Trumps Reden und sein Verhalten zeigen schwerwiegende
soziopathische Züge. […] Sicher hat es amerikanische Präsidenten
gegeben, die man als narzisstisch bezeichnen kann, aber keiner von
ihnen demonstrierte derart stark ausgeprägte soziopathische Züge
wie Mr. Trump. […] Mit der Zeit werden diese Züge noch schlimmer
werden – entweder weil es Mr. Trump gelingt, mehr Macht und
Grandiosität zu erlangen und er den Kontakt zur Realität immer mehr
verliert, oder weil er immer mehr Kritik auf sich zieht und deshalb
immer paranoider wird.
Lance Dodes, Ausbildungsanalytiker am Boston Psychoanalytical
Institute
Ein zutiefst böser Mensch
Wenn es einem Hypomaniker gelingt, eines seiner wahnsinnig
ehrgeizigen Ziele zu erreichen, ist oft eine bemerkenswerte
Steigerung der hypomanischen Symptome festzustellen, und häufig
beschleunigt es sogar den Ausbruch einer ausgewachsenen
hypomanischen Episode, die, anders als ein hypomanisches
Temperament, als Störung diagnostizierbar ist. Die Patienten sind
aggressiver, gereizter, rücksichtsloser und impulsiver. Nun, da sie
in ihrer Großartigkeit offensichtlich bestätigt worden sind, steigt
ihr Vertrauen in ihr eigenes Ego ins Unermessliche, und sie fühlen
sich noch unbesiegbarer und großartiger als zuvor. Sie verfolgen
noch abenteuerlichere und ehrgeizigere Ziele, hören auf keinen
Widerspruch und lassen es an der notwendigen Sorgfalt bei der
Vorbereitung ihrer Unternehmungen fehlen, wozu es auch gehört, dass
sie Fakten, die ihrem Vorhaben entgegenstehen, außer Acht lassen.
Ihr Bauchgefühl hat immer recht. […]
Trump ist ein zutiefst böser Mensch mit allen Charakterzügen eines
bösartigen Narzissmus. Seine schlimmer werdende Hypomanie macht ihn
zunehmend irrational, paranoid, aggressiv, reizbar und impulsiv und
steigert das Gefühl seiner eigenen Großartigkeit. Trump ist böse
und verrückt, und es wird immer schlimmer mit ihm. Er zeigt die
gerade bei einem politischen Führer destruktivste und gefährlichste
Ansammlung psychiatrischer Symptome. Das Worst-Case-Szenario ist
nun unsere Realität.
John D. Gartner, Klinischer Psychologe, Johns Hopkins University
Medical School
Wahnhafter Lügner
Seine wirklich atemraubenden Lügen lassen die Schlauheit vermissen,
die für einen pathologischen Lügner typisch wäre. Falls Trump
wirklich an einer Wahnstörung leidet, hätte er jeden Lügentest mit
Bravour bestanden, denn Menschen mit einer Wahnstörung glauben
selbst buchstäblich jedes Wort, das sie von sich geben, auch dann,
wenn die Fakten, die das Gegenteil beweisen, unwiderlegbar sind.
Für jemanden wie Trump ist es eine klare Sache, dass seine Umgebung
sich seiner eigenen verzerrten Sicht auf die Dinge anschließt,
während diejenigen, die ihm nicht glauben, irrationale Feinde sind,
denen die »Fake- Medien« Rückendeckung geben.
Michael J. Tansey, Klinischer Psychologe, Chicago
Trumps erste Frau, Ivana, warf ihm unter Eid vor, sie vergewaltigt
zu haben, eine Anklage, die sie zwar später als Teil einer
lukrativen Scheidungsvereinbarung abschwächte, aber nicht völlig
widerrief. Diese Gewalt, die mutmaßlich stattgefunden hat, passt
zur Persönlichkeit von jemandem, der Angst vor Ablehnung hat und
mit einem erhöhten Angstniveau lebt, das sich in gewalttätigem Zorn
entladen kann. Missbrauchstäter können in ihren Handlungen bis zum
Mord/Selbstmord eskalieren, wenn eine Beziehung endet und sie sich
mit der Demütigung unleugbarer Ablehnung auseinandersetzen müssen.
Dass manche Missbrauchstäter andere oder gar sich selbst töten, um
das Erlebnis dieses Gefühls zu vermeiden, zeigt die Macht der
Scham.
Dieses Muster eskalierender Instabilität ist beunruhigend, wenn wir
dabei an Trump denken. In dem Maße, wie die Belastungen des
Regierens und die Untersuchungen im Hinblick auf angebliche geheime
Absprachen mit Russland zunehmen, ist er möglicherweise von Angst
überwältigt, was seine kognitiven und prosozialen Fähigkeiten noch
weiter einschränken wird. Sein Verhalten könnte zunehmend
sprunghaft und unvorhersagbar werden.
Harper West, Psychotherapeutin, Clarkston, Michigan
Die Kriecher um ihn
Es ist festzuhalten, dass die Anhänger des Tyrannen, und
insbesondere die Speichellecker in seinem engsten Kreis, dazu
neigen, seinen Charakterfehler zu teilen. Der kriecherische
Hallraum, der den Tyrannen umgibt, vergrößert seine Pathologie,
aber verbirgt sie auch. Seine Stellvertreter dienen gewöhnlich als
Ich-Ersatz für sein tobendes Es und sind für die Einführung und
Durchsetzung seiner zerstörerischen Pläne auf eine Art und Weise
verantwortlich, die der Öffentlichkeit mutmaßlich rational und
akzeptabel erscheint.
Ihre Rolle wird mit der Zeit in dem Maße wichtiger, als er
psychisch dekompensiert, was bei narzisstischen Psychopathen, die
in Positionen äußerster Macht sind, unvermeidlich geschieht. In dem
Maße, wie seine Paranoia, Großmannssucht und Impulsivität wachsen,
tun seine Berater, Familienangehörigen und Stellvertreter, die um
ihre Positionen und oft auch um ihr Leben bangen, alles, um das
Bild seiner »Normalität« und Größe bis zum bitteren Ende der
Öffentlichkeit gegenüber aufrechtzuerhalten.
Elizabeth Mika, Psychotherapeutin und pädagogische Beraterin,
Chicago
Finger am Drücker
Trump ist jetzt das mächtigste Staatsoberhaupt der Welt und eines
der impulsivsten, arrogantesten, ignorantesten, planlosesten,
chaotischsten, nihilistischsten, selbstwidersprüchlichsten,
selbstherrlichsten und selbstsüchtigsten. Er hat seinen Finger an
den Auslösern von mehr als tausend der mächtigsten thermonuklearen
Waffen der Welt. Das bedeutet, dass er in wenigen Sekunden mehr
Menschen töten könnte, als jeder Diktator in der Vergangenheit
während seiner gesamten Zeit als Machthaber zu töten imstande
war.
James Gilligan, Psychiater, New York University
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