Rezension zu Das psychotherapeutische Gerichtsgutachten
Zeitschrift für freie psychoanalytische Forschung und Individualpsychologie 1/2018
Rezension von Julia Plecko
Das Werk soll einige Fragen in einem sehr jungen Betätigungsfeld
psychotherapeutischer ExpertInnen beantworten. Fragen »(...) wie
sich die praktische Tätigkeit als Gerichtsgutachter anfühlt, und
dem juristischen Leser darzulegen, wie ein Psychotherapeut – in
einzelnen Aspekten seiner Herangehensweise wohl anders als ein
Psychiater oder ein Psychologe – ›tickt‹ und den Prozess der
Gutachtenserstattung gestaltet« (S. 23).
Wie man bereits in der Einleitung des Werkes erahnen darf, gibt der
Autor einen sehr persönlichen Einblick in die Ausbildung und Arbeit
eines psychotherapeutischen Sachverständigen. Auch lässt sich hier
schon der Beruf des Psychotherapeuten nicht verheimlichen, weil es
Peter Geißler um grundlegende psychotherapeutische Aspekte des
empathischen und fühlenden Menschen, der den Dingen auf den Grund
gehen will, in diesem noch relativ neuen Berufsfeld geht.
Das Werk gliedert sich in zwei Teile und sieben Anhänge, in denen
Gutachtensbeispiele dargelegt werden. Im ersten Teil präsentiert
der Autor die Ausbildung zum psychotherapeutischen
Sachverständigen, vor allem seinen persönlichen Weg dahin. Peter
Geißler zeigt durch seine selbstreflektierende Art auch eine
kritische Auseinandersetzung mit der Ausbildung. Dabei stellt er
sich auch, immer wieder die Frage, ob dies wirklich sein weiterer
beruflicher Schritt sein solle, da diese neue Rolle doch große
Unterschiede zu seinem bisherigen Beruf als Psychotherapeut
aufweist. Für aus Deutschland oder der Schweiz stammende LeserInnen
erklärt der Autor Unterschiede zu Österreich sowohl in der
Judikatur als auch in den Begrifflichkeiten. Er zeigt auf, dass
sein bisher psychotherapeutisch geschulter Blick, welcher oftmals
assoziativ und mit einer »emotionalen Logik« (S.47) geprägt ist,
für ihn als Gutachter nun einer Sachlogik zu folgen hat. Ein kurzer
Einblick in die Aufgabe eines forensischen Gutachters wird gegeben,
bevor näher auf die Bereiche der Pflegschaft, des Kinder- und
Jugendgerichts und die Obsorge, eingegangen wird. Beim Lesen dieses
Werkes wird klar spürbar, dass sich die bzw. der Sachverständige
ständig in einem hohen Spannungsfeld befindet zwischen »dem, was
die Richter von uns erwarten (nämlich Objektivität) und dem, was
unsere Referenzgruppe von uns will (nämlich Menschlichkeit,
Einfühlsamkeit, Humanität und Vertrauen). Im Hintergrund fast immer
die Androhung von Sanktionen, (...)« (S.54).
Näher eingegangen wird auch auf die Unterschiede in der
Verschwiegenheit zwischen Psychotherapeutinnen und
Sachverständigen, die Beauftragung eines psychotherapeutischen
Sachverständigen, formale Strukturen, die Gebührenordnung und die
Kooperation mit Gerichten. Die OPD-2 Diagnostik stellt eine
wichtige Stütze für die Erstellung von Gutachten dar.
Die OPD wurde als psychodynamische und psychoanalytische Diagnostik
entwickelt, sie ist in fünf Achsen gegliedert. Die erste Achse
erfasst das bewusste Krankheitserleben und die subjektive
Behandlungsvoraussetzung, Achse II die typischen und maladaptiven
Beziehungsmuster, zentral vorbewussten Konflikte befinden sich in
der Achse III, Achse IV beschreibt die Einschätzung struktureller
Fähigkeiten und Merkmale wie auch Vulnerabilitäten der
Persönlichkeit. Die syndromale Diagnostik der ICD-10 befindet sich
in der Achse V.
Diese fünf Achsen lassen eine tiefgehende Untersuchung zu, wodurch
sehr plausibel wird, weshalb der Autor dieses Diagnostikum als
wertvolle Hilfe im Zuge eines Sachverständigengutachtens
empfindet.
Den Abschluss des ersten Teils dieses Buches bildet die
kommissionelle Prüfung und Vereidigung. Teil zwei umfasst den
praktischen Teil der Arbeit als psychotherapeutischer
Sachverständigen.
Peter Geißler hat eine sehr gut lesbare und umfassende Einführung
in die Arbeit eines psychotherapeutischen Sachverständigen
geschrieben, die persönlichen Erfahrungen aber auch fachlichen
Erkenntnisse stellen einen Gewinn für die psychotherapeutische aber
auch juristische Arbeit in der Praxis dar. Es lässt einen neugierig
werden, selbst in die gutachterliche Tätigkeit hineinzuschnuppern
und Teil dieser bisher noch eher jungen Berufsgruppe zu werden.