Rezension zu Bindung und Autonomie in der frühen Kindheit
Hebamme.ch 9/2017
Rezension von Sibylle Lüpold
Für Fachpersonen wie Hebammen, die Familien in der ersten Zeit
begleiten, ist Ursula Henzingers Buch eine enorme Bereicherung. Zu
Beginn erklärt die Autorin, was Humanethologie ist und welchen
Zweck Forschungen in traditionellen Kulturen haben. Weiter
behandelt sie das menschliche Bindungsverhalten im Vergleich zur
tierlichen Prägung, die Synchronisationsprozesse in der früher
Mutter-Kind-Bindung und wie solche begünstigt werden. Spannend ist
das Kapitel über die sozialen Fähigkeiten resp. die Entwicklung vor
der Stimmungsübertragung, über die Intuition, Empathie, »Theory of
Mind« bis hin zur Reflexionsfähigkeit des Menschen.
Die Erkenntnisse aus Ursula Henzingers eigener Feldforschung sind
sehr hilfreich, um die Entwicklung des Kindes vom Neugeborenen über
den Säugling bis hin zum Kleinkind zu verstehen. Hier geht es um
Nähe-Distanz-Regulation. Bindung und Autonomie, (nonverbale)
Kommunikation, soziales Verhalten, Spiel und
Geschwisterbeziehungen, aber auch Trotz und Aggression.
Ursula Henzinger bezieht sich stark auf das von Wulf Schiefenhövel
skizzierte »Evolutionäre Modell der Eltern-Kind-Bindung«, das
intensiven Körperkontakt, Tragen, Stillen nach Bedarf und
gemeinsames Schlafen beinhaltet. Sie zeigt auf, wie sich das
Betreuungsverhalten unserer Vorfahren bis heute verändert hat, und
erklärt den Sinn vor kulturellen Bräuchen wie dem
Kolostrum-Tabu.
Die Autorin schafft es, der Lesenden gesellschaftliche
Entwicklungen in Bezug auf die Eltern-Kind-Bindung zu erklären,
ohne moralisch oder dogmatisch zu sein.
Sehr berührend ist die Geschichte der Gans Feli, die es trotz
fehlender Mutterliebe als Junges nach mehrmaligen tragisch
verlaufenden Versuchen schafft, selbst eine liebevolle Mutter zu
sein. Diese Geschichte macht Mut, dass auch Menschenmütter mit
ungünstigeren Rahmenbedingungen es dank guter Unterstützung
schaffen können, ihrem Kind das zu geben, was es braucht.
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