Rezension zu Als Psychoanalytiker in der Psychosomatischen Medizin
Psychotherapie-Wissenschaft 1-2018
Rezension von Theodor Itten
Dieser Rückblick auf das reiche berufliche Leben eines Menschen,
der als Kind den Zweiten Weltkrieg hautnah erlebte und als
Achtjähriger in den Trümmern des Dritten Reiches aufatmen konnte,
dass diese megalomane Zerstörungswut der Machthaber und ihrer
NachläuferInnen, nach zwölf Jahren sein Ende in Trümmern gefunden
hatte, leistet auch seinen Beitrag gegen das kollektive Vergessen.
Der junge Paul suchte neue und verlässliche sinngebende Strukturen,
die er in Schule, Gymnasium und seiner ersten Psychoanalyse finden
konnte. Neben seiner eigenen seelischen und somatopsychischen
Entwicklung aus Schutt und Asche heraus, zum jungen Arzt und später
psychosomatisch orientierten Psychoanalytiker (im
Rheinland-Institut ausgebildet), beschreibt der Autor ausgiebigst,
die Entwicklung der Psychosomatischen Medizin im Deutschland der
vergangenen 50 Jahren. Um diese große, bunte und vielfältige Spanne
zusammenzuhalten, braucht Janssen nur zehn Kapitel. Janssen ist
vieles geworden und, nun im Lebensrückblick, gewesen. Er ist
emeritierter Professor für Psychosomatische Medizin und
Psychotherapie der Universität Bochum und war Direktor des
Westfälischen Zentrums für Psychiatrie, Psychotherapie und
Psychosomatik. Da praktizierte er zusätzlich als Lehranalytiker,
wenn er nicht als Leitender Arzt an der LWL-Klinik Dortmund
(Landschaftsverband Westfalen-Lippe) beschäftigt war. Seine
eigenen, in der Literatur dieses Buches ausgewiesenen
Publikationen, nehmen fast sechs Seiten in Anspruch. Er sieht
dieses Buch, das vom Verleger des Psychosozial-Verlags, Hans-Jürgen
Wirth, mitangeregt wurde, als Kaleidoskop »subjektiven und
reflektierten psychoanalytischen Denkens und Handelns in der
psychosozialen Medizin« an (S. 11).
Spannend zu lesen und mitzufühlen sind seine autobiografischen
Schilderungen über seine Beweggründe, als Kriegskind in die
Psychoanalyse zu gehen. Hier hätte noch etwas mehr innere
Berichterstattung zu seinen Lehrjahren auf der Couch, die
vorbehaltlose Kontextualisierung seines gewachsenen Wissens um die
Wichtigkeit des Unbewussten, das manchmal harzig zu lesende
»Namedropping« seiner vielen LehrerInnen und KollegInnen
bereichert. Jedoch: Wir kommen in den Genuss seiner Erfahrungen und
Entwicklungen in der stationären Psychotherapie, wo die damals fast
revolutionäre Gruppentherapie ein frischer Weg der eigenen und der
anderen Befreiung von bürgerlichen Gewohnheiten – noch im Echo der
ehemaligen Nazi-Moral – ermöglichte.
Zwangsläufig war Janssen, schon früh als berufspolitisch
Interessierter, mit der Weiterentwicklung, Neuordnung und
Akkreditierung der ärztlichen und psychologischen Psychotherapie in
seinem Heimaltland beschäftigt. Es dauerte nicht allzu lange, bis
er in der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und
ärztliche Psychotherapie einen Funktionärsposten übernehmen konnte.
Hier stellte er sein vitales Organisationstalent in den Dienst
dieser Organisation, die sich zu Themen der Weiterbildung,
Krankenhausplanung und zu grundsätzlichen Fragen der ärztlichen
Ausbildung vernehmen Hess. Er versuchte damit die je eigenen
Visionen umzusetzen. Im Kapitel zu Psychiatrie und Psychoanalyse in
Dortmund und seiner Arbeit als psychosomatischer Mediziner weicht
er der Wiederkehr des Verdrängten nicht aus. Er reflektiert genau
und behutsam die Zeit des Nationalsozialismus in der Psychiatrie
und im Krankenhaus, das er nun zu leiten hatte. Wie er es während
der Dauer eines reich beladenen Berufslebens vollbrachte, die
psychosomatische Medizin mit der Psychoanalyse wieder
zusammenzubringen (praktische und denkerische Vorgänger sind unter
anderem Groddeck und Ferenczi), ist, für einen Aussenseiter wie
mich, sehr spannend zu lesen.
Plötzlich kommen wir LeserInnen in einen Bereich der
psychoanalytischen Diagnostik und erkennen spätestens jetzt, wie
dieser Autor an der Entstehung des OPDs aktiv beteiligt war. Wie
viele seiner Generation »musste« er ein eigenes Behandlungs- und
Arbeitsmodell entwickeln. Professoren waren damals kleine Könige in
ihrem Klinikreich. Wie er es angewendet hat, beschreibt er sehr
einleuchtend anhand von faszinierenden Fallbeispielen. Da er in
einem Spital nur mit Hilfe der Gruppentherapie allen PatientInnen
therapeutisch etwas anzubieten hatte, schildert er, im neunten
Kapitel, ausgiebig über seine Theorie und angewandte Praxis der
psychoanalytischen Haltung. Ganz der Berufspolitiker, der er sein
aktives Berufsleben lang war, bedachte er die Neuordnung des
Verbandswesens in diesem Berufsfeld der Gruppenanalyse.
Zum Schluss des dicht geschriebenen und auf viele seiner früheren
Texte zurückgreifenden Buches zeigt er sich nochmals von seiner
subjektiven Seite, indem er über seine Erfahrungen als Dozent,
Supervisor und Lehranalytiker schreibt.
Dieses Buch kann leider nicht an einem Wochenende gelesen werden.
Es dient eher als ein Kompendium eines exemplarischen Berufslebens
und beschreibt die historische Entwicklung unseres breiter
gewordenen Tätigkeitsfeldes in der Seelenheilkunst, mit spezieller
Berücksichtigung der Tatsache, dass Leben immer eine somatische
Erfahrung ist. Es ist nicht zwingend ein »Must-Have«-Buch. Jedoch,
wer es in seiner Bibliothek hat, die oder der kann sich glücklich
schätzen.