Rezension zu Das aktuelle Handbuch der Supervision
Kontext, 49. Jahrgang, Heft 1, 2018
Rezension von Viktoria Munk-Oppenhäuser
Der Herausgeber spiegelt mithilfe zahlreicher Beiträge namhafter
Supervisoren sehr praxisorientiert den aktuellen Stand der »Szene«
im deutschsprachigen Raum wider. Das Buch ist in fünf Abschnitte
unterteilt.
Pühl definiert in einem Grundlagenkapitel das Beratungsangebot
Supervision, dessen Abgrenzung zu Therapie und Managementberatung
und erläutert die Spezifika zu Dreieckskontrakt, Auftragsklärung
und Settings. Er stellt Supervision und Coaching einander gegenüber
und beschreibt Aspekte der externen und der internen Position der
Supervision.
Monika Möller, Wolfgang Knopf und Beatrice Conrad gehen auf die
Entwicklungen des Beratungszweigs Supervision in Deutschland,
Österreich und der Schweiz ein und auf den jeweiligen aktuellen
Fachdiskurs in diesen Ländern. Dieser ist geprägt durch
Qualitätsüberlegungen, die Förderung des fachlichen Diskurses durch
Verbände und den Trend, dass auch Kunden sich zunehmend
professionalisieren.
Im 1. Abschnitt fragt Ferdinand Buer, was das Besondere an
Supervision sein kann und sollte und beschreibt Begriffliches sowie
die Abgrenzung zu Nachbarformaten auf einem allerdings sehr
theoretisch-abstrakt gehaltenen Niveau. Kornelia Rappe-Giesecke
gibt für Supervisoren sehr praxisorientiert und strukturiert eine
relevante Anleitung für eine gute Sondierung und Auftragsklärung.
Peter Kutter geht auf Spiegelphänomene in der Supervision ein und
sieht diese mit dem analytischen Auge als Gegenübertragung zwischen
Klient und Berater. Er definiert den »klinischen Rhombus« und gibt
eine pragmatische Anleitung, wie diese Phänomene in der Supervision
zu handhaben sind. Er bietet zudem eine Unterscheidung der Begriffe
projektive Identifikation, Containing, Empathie und
Responsivität.
Im Abschnitt »Schwierige Situationen in der Supervision« stellt
Marga Löwer-Hirsch den Fall einer ambivalenten Teamsupervision vor
und beschreibt den Effekt von Schweigen beziehungsweise
Selbstoffenbarung der Supervisorin. Pühl beschreibt einen eigenen
Auftrag, der vereinbarte Fallsupervision als Schwerpunkt haben
sollte und dennoch in den Sitzungen viele andere Themen wichtiger
waren. Ross A. Lazar schreibt zum Bionschen
Container-Contained-Konzept in Gruppen und reflektiert über den
Supervisor, der zuweilen Provozierendes (»un-containable«) in die
Gruppe gibt und Momente außerordentlicher Kreativität oder
Destruktivität schaffen kann. Er bezieht dies auf einen eigenen
Fall der Krisenintervention in einem Krankenhausteam, das mit einer
todkranken Patientin umgehen lernt. Sylvia Hüttig-Rieck verknüpft
in ihrem Beispiel Teamsupervision und Leitungscoaching, Fortbildung
und Vorstandscoaching innerhalb eines Unternehmens miteinander. Sie
geht auf Gelingensbedingungen dieses Mehrebenenangebots ein, z. B.
klare Absprachen, Allparteilichkeit, Vermeiden von Bündnissen. Jörg
Fengler umreißt das Konzept der Co-Abhängigkeit in Teams und
Institutionen sowie im Rahmen von Supervision. Er zeigt Wege aus
dieser heraus, z. B. durch klare Ansprachen und Leitungsberatung.
Wolfgang Schmidbauer nimmt Einflüsse unter die Lupe, die von außen
auf die Interaktion zwischen Supervisor und Supervisand einwirken.
Pühl schildert einen Fall, in dem als Sündenbock über einen
abwesenden Kollegen in der Teamsupervision berichtet wurde und wie
er diese Dynamik als Chance genutzt hat zur Perspektivenerweiterung
im Team, zur Ressourcensuche und zum »Üben« von Feedback/Kritik.
Heidi Neumann-Wirsig erzählt am Beispiel einer eigenen Reflexion zu
einem Konzept eines lösungsorientierten Supervisionsprozesses in
einem Projektteam aufsuchender Familientherapeuten, das
unterschwellig immer wieder eher Praxisberatung wünscht. Hermann
Staats wurde in der Teamsupervision einer psychiatrischen Klinik
mit Beleidigungen von Teammitgliedern untereinander konfrontiert
und beschreibt recht strukturiert, wie die Schritte
Stop/Innehalten, Benennen des Erlebten und die Ansprache von
Ressourcen (offene Kommunikation als neue Qualität) als
Interventionen wirken können. Erhard Tietel führt
Supervisionsbeispiele an, in denen Dreiecksverhältnisse aus dem
Fokus geraten sind. Er erläutert die doppelte triadische Funktion
der Supervision – als Supervisor ein Dritter zu sein und auch als
möglicher Repräsentant abwesender Dritter fungieren zu können.
Ariane Schorn definiert die Abstinenzregel in der Supervision und
beschreibt in einer Fallvignette sehr spannend, wie sie ein Team
supervidierte, in dem es zu einer sexuellen Beziehung zwischen
Professionellem und Klientin kam. Sie lädt dazu ein, im Rahmen von
Supervision die im Team entstandenen Gefühle – Wut, Aggression,
Empörung – der Teammitglieder anzusehen, ihnen Raum zu geben und
eine gewisse Ent-Tabuisierung sowie Lösungssuche zu initiieren.
Pühl diskutiert den Umgang mit in der Supervision bekannt werdenden
Grenzüberschreitungen, z. B. sexuellem Missbrauch. Er geht auf das
Verschwiegenheitspostulat des Berufsverbandes ein, wägt zwischen
Fällen ab, in denen Führungskräfte während der Supervision anwesend
sind und denen, in denen der Supervisor die einzige leitende
Funktion während des Prozesses innehat. Er wertschätzt
entsprechende Dienstvereinbarungen, die hierzu klare Richtlinien in
Organisationen vorgeben. Mario Wernado beschreibt eine 8-jährige
Supervision einer gesamten Fachklinik für Abhängigkeitserkrankungen
durch einen Supervisor, beschreibt den organisatorischen Rahmen,
Verlauf, Erfolge, etc. sowie Vor- und Nachteile dieses Konzeptes.
Gabi Baer berichtet über die fehlende Triangulierung von
Supervisoren in der Arbeit mit Subgruppen eines KiTa-Teams,
missglückte Auftragsklärung, sich verhärtende Spaltungsprozesse und
die Angst der Beteiligten vor abgrenzender Positionierung. Mandana
Kerschbaumer ist ein Beispiel hoher eigener Assoziationsfähigkeit
zu einem Teamsupervisionsprozess mit vielen Metaphern und Bildern,
die vor allem das Thema Führung betrachtet. Waltraut Ster berichtet
über einen in der Sondierungsphase abgebrochenen
Supervisionsprozess mit einem neu gegründeten Teameiner Wohngruppe
für Behinderte und wie der Abbruch des Prozesses durch ein
Abschlussgespräch mit Organisations- und Teamleitung wenigstens
noch Feedbackmöglichkeit und Erörterung von Chancen auf
verschiedenen Organisationsebenen brachte. Hans Gerd Schulte zeigt
Ansätze der Konfliktberatung und ihre Nutzung im Rahmen von
Supervision auf, z. B. die Perspektiveneinnahme des
Konfliktpartners, die Entwicklung einer besten Alternative zu einem
vielleicht unerreichbaren Verhandlungsergebnis. Rosemarie Spindler
schreibt zum Umgang interner Berater mit anonymen Beschwerden, zur
engen Zusammenarbeit mit Führungskräften, zum Anspruch, aufdeckend
zu arbeiten und gleichzeitig eine gute Triangulierung im Blick zu
haben.
Im 3. Abschnitt (Coaching und Organisationsmediation) zeigt Astrid
Schreyögg sehr klar die Abgrenzung, aber auch die Schnittmengen
zwischen Supervision und Coaching auf, erläutert die
Entwicklungsgeschichte beider Beratungsformate und trägt für den
Leser gut verständlich zur begrifflichen sowie inhaltlichen Klärung
bei. Ilse Hantschk definiert plastisch an zwei Beispielen die
Rollenberatung als Schnittmenge zwischen Wünschen und Beiträgen des
Rollenträgers und den Anforderungen und Beiträgen der Organisation.
Sie zeigt, wie Rollenberatung Rollenträger bei der Gestaltung ihrer
Rolle im aktuellen Kontext unterstützen kann. Pühl geht erneut auf
Mediation in Organisationen ein, deren theoretische Grundlagen,
Phasen, Regeln und Grundsätze und zeigt, wie sich Mediation als
Teil von Team- oder Leitungscoachings intensivieren lässt.
In Abschnitt 4 – »Institution Supervision« – bieten Peter Heintel
und Martina Ukowitz eine theoretische Abhandlung dazu, wie Beratung
in institutionstheroretischer Perspektive zu sehen sein könnte, ein
recht philosophischer Ansatz der Betrachtung. Wolfgang Weigand
erörtert die Bedeutung und Funktion von Methoden in der Beratung.
Er sieht Methoden einerseits als hilfreiche Wege, um das
Beobachtete zu verstehen, andererseits als Hürden, die das
Endringen in die Komplexität des Klienten verhindern. Er betont,
dass Berater durch Gegenübertragungsphänomene zu off Methoden und
Verfahren den Vorrang geben vor dem zu lösenden Problem und spricht
als eine Lösung institutionalisierte Selbstreflexion aller Berater
an. Heidi Möller und Harald Pühl schreiben über Ethnopsychoanalyse
als praktische Supervision, das heißt die Erforschung von
Organisationskulturen durch die Fragen nach Basisannahmen, Normen
und Standards, Symbolsystemen der Organisationen. Ziel ist, das
Unbewusste der Organisationskultur zu entdecken. Pühl spricht das
Tabu an, dass Supervisoren oft geneigt sind, in Teams als
informelle Leiter zu agieren oder eher als Pädagogen zu fungieren,
also zwischen Fachberatung und Selbstreflexion zu oszillieren.
Helmut Hallier definiert den spannenden Ansatz der Achtsamkeit,
erläutert dessen Wurzeln und die Anwendung als therapeutische
Methode. Er geht dann jedoch leider nur grob darauf ein, dass
Supervision von dieser Haltung profitieren könnte. Rudolf Heltze
nimmt anlässlich des eigenen Ärgers über diverse Vorurteile anderer
über seine Supervisorenprofession die eigene Beratungspraxis unter
die Lupe und wertet die Beratungsstunden zweier Jahre aus. Er
plädiert für die sehr individuelle Entwicklung von
Beratungsvarianten, um sehr individuellen Anfragen gerecht zu
werden. Peter Berker entwickelt ein Analyseraster, anhand dessen er
externe und interne Supervision vergleicht, Chancen und Grenzen
beider Angebote abwägt. Er spricht sich aus für eine flexible
Verbindung beider Varianten, intern eher mit dem Schwerpunkt
Fallarbeit/Feldprobleme, extern eher mit dem Schwerpunkt
Institutionsanalyse/Organisationsprobleme.
Im 5. Abschnitt zum Thema »Forschung« spricht sich Rolf Haubl für
die Erforschung der Erfolgskriterien von Supervision aus, sowohl
für Verlaufsforschung im Beratungsprozess als auch für
Ergebnisforschung nach Abschluss der Supervision. Er diskutiert
einige Ansätze hierzu und plädiert für Supervisionsausbildung als
lernende Organisation, die diese Wirkungsmessung ebenfalls
vorantreiben sollte. Angela Gotthardt-Lorenz, Brigitte Hausinger
und Joachim Sauer betonen die supervisorische Forschungskompetenz
als forschendes Erkunden des Kontextes von Supervisionen. Sie
bieten eine große Übersicht zu erforschbaren Themen und Systemen
und beziehen den qualitativen Forschungsansatz der Grounded Theory
in diese Überlegungen mit ein. Arthur Drexler und Heidi Möller
bedauern, dass Bildungscontrolling viel zu selten erfolgt und
stellen abschließend ein gelungenes Modell von Erfolgsmessung einer
Coachingausbildung, das Modell der Innsbrucker Universität vor.
Das vorliegende Buch ist in Teilen ein klassisches Lehrbuch zu
allem, was das Beratungsformat Supervision betrifft und
andererseits eine große, zum Teil praxisorientierte, zum Teil
theorieorientierte Sammlung von individuellen Perspektiven,
allgemeinen Fragen und konkreten Anliegen der supervisorischen
Tätigkeit. Es zeigt das breit aufgestellte thematische und
beraterische Spektrum der Supervisoren und die Schwerpunkte der
inhaltlichen Diskurse in der deutschsprachigen Fachwelt.