Rezension zu Die Krise der Männlichkeit in der unerwachsenen Gesellschaft
Dresdner Neueste Nachrichten 17.Jg. Nr.78
Rezension von Roland Herold
Männer-Analyse
Größenwahn und Impotenz
Mit seinem Buch »Die Krise der Männlichkeit in der unerwachsenen
Gesellschaft« hat der renommierte Psychoanalytiker Horst-Eberhard
Richter (»Der Gotteskomplex«) eine neue streitbare Analyse
vorgelegt. Der Mitbegründer der Deutschen Sektion Internationale
Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs konstatiert am Beginn des
21. Jahrhunderts ein Schwinden der Menschlichkeit in der
wissenschaftlich-technischen Revolution auf der einen Seite – und
gleichzeitig den Verlust der männlichen Dominanz in der
Gesellschaft auf der anderen. Daraus ergeben sich für ihn Fragen,
wie unter diesen Umständen ein friedliches Zusammenleben künftiger
Generationen möglich sein könnte und wie sich das männliche
Selbstbild verändern muss, um im gesellschaftlichen Wandel zu
bestehen.
Das Buch gliedert sich in drei Teile: Im ersten geht es vor allem
um die Charakterisierung des Status quo, die – laut Richter –
zunehmende Militarisierung der Politik, den Verlust moralischer
Skrupel angesichts einer Anonymisierung des Todes und eine
fortschreitende Herzlosigkeit der Wissenschaft. Prominente Zeugen
dafür werden in Michail Gorbatschow, Robert McNamara oder auch
Andrej Sacharow gefunden.
Im zweiten Teil sucht Richter nach den historischen Ursachen des
Gotteskomplexes von der Umwandlung des antiken Frauenbildes durch
die Kirche bis hin zu Hexenverfolgung. Die Verdrängung femininer
Werte in der Gesellschaft, so Richter, führe direkt hinein in die
kulturelle Krise der männlich dominierten Gesellschaft. Mit realen
Symptomen wie verdrängten Sexualängsten (bis hin zur Impotenz) auf
der einen oder kritiklosen Allmachtsphantasien auf der anderen
Seite. Die Folgen für die Gesellschaft sind verheerend: »Im
Zeitalter des egozentrischen Machtwillens ist der Drang des
männlichen Ichs gewachsen, seine Energie für die Konkurrenz um
Herrschaft für sich zu reservieren. Die Frau symbolisiert den
Energieabzug für Liebe, Familie, Gemeinschaft, für Hingabe,
Aufopferung, Mitgefühl.«
Im dritten Teil kritisiert Richter verschiedene Strömungen der
Neuzeit. Beispielsweise den Wettlauf um die gigantischste
Hochhausarchitektur, aber auch die ungezähmte Sucht nach
Extremsportarten als Flucht aus der Realität. Schlussfolgerung:
»Das sichtbare Leiden der Frauen ist die unsichtbare Krankheit der
Männer.«
Dass das Buch dennoch mit hoffnungsvollem Ausblick endet, zeugt von
Richters unerschütterlichem Glauben an den Sieg der menschlichen
Vernunft.