Rezension zu Paula Heimann (PDF-E-Book)
junge Welt, Freitag, 9. März 2018, Nr. 58
Rezension von Christiana Puschak
Emotion als Schlüssel
Maren Holmes würdigt die Psychoanalytikerin Paula Heimann
Dem Psychosozial-Verlag kommt das Verdienst zu, immer wieder Bücher
herauszugeben, in denen der Anteil an Entwicklungen in Wissenschaft
und Forschung gewürdigt werden. Regelmäßig erscheinen Biographien
über Psychoanalytikerinnen, die vom faschistischen Regime in
Deutschland verfolgt wurden und deren Leben und Wirken dem
doppelten Vergessen anheimfielen: als Exilierte und als Frau. Die
Psychologin Maren Holmes schildert in ihrer als Dissertation an der
Charite angenommenen Arbeit Leben und Werk von Paula Heimann und
ihren Einfluss auf die Psychoanalyse. Ihr erklärtes Ziel ist es,
»nicht einfach ein Einzelschicksal und eine Einzelleistung zu
erforschen«, sondern »ein Stück Psychoanalysegeschichte (...) neu
auszuleuchten«.
Sie zeichnet Heimanns Lebensweg nach und behandelt dabei ihre
spannungsreiche Beziehung zu der Kinderanalytikerin Melanie Klein.
Besonderen Raum nimmt Heimanns psychoanalytisches Denken und das
durch sie berühmt gewordene Konzept der Gegenübertragung ein.
Weiter schildert Holmes die Entwicklung der Psychoanalyse in der
BRD und würdigt Heimanns Einflussnahme darauf. Sorgfältig
rekonstruiert sie den Werdegang der am 3. Februar 1899 als Paula
Klatzko geborenen Wissenschaftlerin. Kindheit und Jugend in einer
russisch-jüdischen Familie im heutigen Gdansk (früher Danzig)
werden beleuchtet, des weiteren ihre Lehr- und Wanderjahre in der
medizinischen Ausbildung zur Psychiaterin, ihre psychoanalytische
Ausbildung bei Theodor Reik, ihre Teilnahme am »Kinderseminar« um
Otto Fenichel . Beide waren bedeutende Psychoanalytiker und Schüler
von Sigmund Freud. Holmes schildert auch die persönlichen
Verbindungen Heimanns zu Kolleginnen und Kollegen wie Melanie
Klein, Anna Freud sowie Margarete und Alexander Mitscherlich.
In der biographischen Erzählung wird Heimanns Gerechtigkeitssinn
und Widerspruchsgeist gegenüber Autoritäten deutlich. Ebenso, mit
welchem Engagement sie und ihr Mann, der Internist Franz Heimann,
in der Zeit der Weimarer Republik arbeiteten. Beide traten dem
Verein sozialistischer Ärzte bei und wirkten in der Internationalen
Gesellschaft der Ärzte gegen den Krieg mit. Im Bund deutscher
Ärztinnen lernte Paula weitere politisch aktive
Psychoanalytikerinnen kennen, unter ihnen Karen Horney. Der Name
Heimann war vor der Machtübergabe an die Nazis wegen des
politischen Engagements gegen Krieg und Faschismus wie auch des
sozialen Einsatzes des Paares bekannt.
1933 wurde Paula Heimann als Linke und als Jüdin aus Deutschland
vertrieben. In ihrem Londoner Exil erhielt sie im September 1933
die Erlaubnis, Psychoanalyse zu praktizieren. Sie wurde Sekretärin
von Melanie Klein, die ebenfalls hatte fliehen müssen. Heimann
mischte sich immer wieder mit Aufsätzen in die fachliche Debatte
ein. In ihrem Text »On counter-transference« (1950) betonte sie den
Wert der Gegenübertragung als diagnostisches Mittel und als
Werkzeug zum Verstehen des Patienten. Bei der Methode reagiert ein
Therapeut auf Äußerungen und Handlungen des Patienten, indem er
eigene Gefühle, Vorurteile und Erwartungen an ihn thematisiert. Er
verlässt also seine neutrale Position. Für Heimann war die
Gegenübertragung wesentlicher Bestandteil der »analytischen
Beziehung«. Mit dieser Auffassung distanzierte sie sich von Melanie
Klein und anderen, die in der emotionalen Reaktion eine Störung des
therapeutischen Prozesses sahen. Holmes legt anschaulich dar, wie
der Umgang mit dem Konzept der Gegenübertragung Anstoß für eine
Auseinandersetzung unter Psychoanalytikern mit der eigenen
Gruppengeschichte wurde. Die Autorin zeigt zudem auf, dass Heimann
ihre analytische Identität im Lauf ihres Berufslebens mehrfach
grundlegend in Frage stellte, bis sie zu Authentizität und
Eigenständigkeit fand – und dass dies ein schmerzhafter Lemprozess
für sie war. Holmes ist eine vortreffliche, trotz des komplexen
Gefüges leicht lesbare Abhandlung gelungen, der viele Leserinnen
und Leser zu wünschen sind.
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