Rezension zu Einheitslust und Einheitsfrust
Dresdner Morgenpost
Rezension von Petra Siemon
Langzeitstudie in Sachsen
Nostalgische Rückkehr zu sozialistischen Idealen
Diese Studie ist einmalig: Seit 20 Jahren verfolgen Forscher der
Unis Dresden und Leipzig, wie damals 14-jährige Sachsen den Weg vom
DDR- zum Bundesbürger erleben. Sie schlagen Alarm: Die
Mittdreißiger haben Angst vor Armut und sehnen sich nach einem
reformierten Sozialismus!
Es begann 1987 mit fast 1300 Schülern (Jahrgang 73) – ca. 400 von
ihnen ließen sich bis heute in Abständen befragen. »Die Studie ist
nicht nur so wertvoll wegen ihrer Dauer, sondern auch weil sie
Menschen erfasst, die zwei Gesellschaftssysteme kennenlernten«,
erklärt Mitautor Dr. Hendrik Berth von der TU Dresden.
Und ihre Ergebnisse stimmen nachdenklich. Denn zwar lehnen über 80
Prozent ein Zurück zur Vorwende-Zeit strikt ab – eine Zustimmung
zum gegenwärtigen System bedeutet das aber noch lange nicht »Sie
sind unzufrieden mit der Demokratie, der Sozial-, Familien-;
Gesundheits- und Lohnpolitik«, sagt der Psychologe. »Ihr
politisches Engagement geht gegen null, ihr Aufstiegsstreben ist
stark gesunken. Die meisten meinen, dass die heutigen Politiker
zuallererst die Politik der Reichen und Mächtigen vertreten.«
Die Folge: Das Gros liebäugelt stattdessen mit einer reformierten
DDR! »In sozialer Hinsicht schneidet die DDR im Systemvergleich von
Jahr zu Jahr besser ab – etwa bei Kinderbetreuung, dem Verhältnis
der Menschen untereinander, der Familienförderung«, so Berth.
»Diese verklärte Sicht hat viel mit seither erlebter
Arbeitslosigkeit zu tun.« Immerhin waren über zwei Drittel der
»eher gebildeten« Studienteilnehmer (jeder 4. hat
Hochschulabschluss) bis 2006 mindestens einmal ohne Job. Berth:
»Die weitaus meisten der Mittdreißiger haben bereits jetzt Angst
vor Armut im Alter, Angst vor weiteren Verteuerungen und Reformen.
Das macht depressiv und krank.« Die Folgen würden von der Politik
»völlig unterschätzt, kleingeredet und kaschirt«. Wo er den grüßten
Handlungsbedarf sieht? Bert: »In der Gesundheits- und
Familienpolitik – aber eigentlich fast überall.«
Das Buch zur Studie, »Einheitslust und Einheitsfrust« (24,95 Euro),
erscheint heute im Handel.