Rezension zu Der Riss durchs Geschlecht
Frauen beraten Frauen
Rezension von Bettina Zehetner
The Mamis and the Puppies
Wir stehen der Aufforderung zur Männlich- oder Weiblich-Normierung
nicht einfach gegenüber, sondern diese Normierungen gehen durch uns
selbst hindurch, begründen uns als Subjekte bis hinein in unsere
innersten Wünsche, wie wir leben wollen. Das macht es oft so schwer
zu durchschauen, warum bin ich (geworden) wie ich bin, warum denke
ich, so und so sein zu müssen, bestimmte Dinge nicht zu dürfen oder
zu müssen. Psychoanalytische Theorie und Praxis können hier
wertvolle Erkenntnisse bringen und uns zu bewussterem Wahrnehmen
verhelfen.
Im Titel gebenden Text »The Mamis and the Puppies« lotet
Ann-Madeleine Tietge die Möglichkeiten und Grenzen von Kritik an
Heteronormativität in heterosexuellen Paarbeziehungen aus. In
unserer binären Geschlechterordnung gelten bestimmte Eigenschaften
und Verhaltensweisen entweder als angemessen oder als unangemessen
für Männer oder Frauen. Die Herstellung von Männlichkeit basiert in
diesem symbolischen System ganz wesentlich auf der Durchsetzung von
Dominanz- und Machtansprüchen sowie auf Abwehr und Erniedrigung von
Weiblichkeit. So überträgt und delegiert beispielsweise ein
männlich sozialisierter Partner sein verpöntes Bedürfnis nach
Bindung auf seine Partnerin, während er ihr Bedürfnis nach
Autonomie stellvertretend für sie auslebt. Unbewusst wird dabei
eine Mutter-Sohn-Beziehung reproduziert, bei dem die mütterliche
Selbstaufopferung der Partnerin ihrem Partner die Möglichkeit zur
Selbstverwirklichung zugesteht. In der ausgewählten Fallgeschichte
entledigt sich der Partner seiner Versorgungsaufgaben, also seiner
elterlichen Position, indem er durch mangelndes Engagement seine
Partnerin im Glauben lässt, sie würde die Beziehung dominieren.
Daraus entsteht auch ein unangemessenes Mutter-Sohn-Verhältnis
zwischen den Partnern als Eltern. Die Gegenüberstellung von
Aktivität und Passivität ist allerdings irreführend, wenn ein
aktives Subjekt (die Partnerin) selbstaufopfernd um ein passives
Subjekt (den Partner) kreist. In ihrer tiefenhermeneutischen
Untersuchung von Interviews mittels Interpretationsgruppe kommt die
Autorin zur Erkenntnis, dass die Aufwertung von Autonomie und
Selbstverwirklichung immer nur auf dem Rücken derer ausgetragen
werden, die diese Ziele durch ihre reproduktiven Tätigkeiten
stützen. Diese Tatsache wird häufig verleugnet und mütterliches
Sorgen abgewertet bzw. als paternalistisches Kontrollieren-Wollen
abgewehrt.
Barbara Rendtorff geht der Frage nach, was die
Geschlechterforschung von der Psychoanalyse lernen kann und
umgekehrt und findet produktive Überschneidungen und potenziell
bereichernde gegenseitige Kritik. Tove Soiland geht es in ihrem
Text »Der Umsturz des Ödipalen« darum, der kulturell-symbolisch
nach wie vor bestehenden Subjektlosigkeit der Mutter ein Ende zu
bereiten, indem für das, was sie gibt, eine kulturelle
Repräsentation gefunden wird.
Unter dem unheimlichen Titel »Wenn einem die Natur kommt«
reflektieren Tom David Uhlig und Max Rudel die
Identitätsversprechen im Antifeminismus. Das patriarchale Konstrukt
Männlichkeit begründet eine unlösbare Zwangslage zwischen
Autonomiewunsch (oder -pflicht) und Abhängigkeitsangst. Dieses
»Männlichkeitsdilemma« stellt eine der wichtigsten Ursachen von
(sexueller und nichtsexueller) Gewalt als Mittel der
Wiederherstellung einer prekär gewordenen Männlichkeit dar. Mit der
Identifikation als Mann die eigene Widersprüchlichkeit, das
grundlegende Angewiesen-Sein an Andere nicht überwinden zu können,
erscheint den Maskulisten so unerträglich, dass sie der Abwehr von
Weiblichkeit bedürfen. Von der Verachtung und Entwertung dessen,
was als weiblich gilt, erhoffen sich angeschlagene Männer- und
Väterrechtler doch noch das Versprechen männlicher Ganzheit und
Überlegenheit einlösen zu können.
Der empfehlenswerte Sammelband enthält weitere Artikel von Nadine
Teuber zu psychoanalytischen Geschlechtertheorien zwischen
Beziehung und Gesellschaft, Charlotte Busch zu pädagogischer Arbeit
mit Mädchen, Regina Becker-Schmidt zu Luce Irigarays Blick auf
Ökonomie und Repräsentation, Julia König zu
geschlechtstheoretischen Implikationen im psychosomatischen Werk
Alfred Lorenzers sowie Sebastian Winters sozialpsychologische
Überlegungen zum Unbehagen neuer Väter.
www.frauenberatenfrauen.at