Rezension zu Nach dem bewaffneten Kampf

Scheinschlag 3/07

Rezension von Sonja John

Nach dem Schweigen

Aktivisten des »Heißen Herbstes« schaffen eine Diskussionsgrundlage

Dreißig Jahre st der Heiße Herbst nun her. Das Buch »Nach dem bewaffneten Kampf« dokumentiert nun den ersten Versuch einer internen Aufarbeitung. Es geht um sehr persönliche Auseinandersetzungen zwischen ehemaligen Mitgliedern der RAF, Bewegung 2. Juni und deren Unterstützern, um ihre Lebensgeschichten, um psychische Befindlichkeiten von Ex-Häftlingen, aber auch um politische Geschehen und Diskussionen in der Bundesrepublik.

Konstituiert hat sich die Gruppe eher zufällig. Angezogen von einem Seminar über Traumatisierungen von gefolterten Häftlingen traf der Personenkreis wieder aufeinander. Sie gewannen Psychoanalytiker und Psychotherapeuten dafür, sich mit ihnen an mehreren Wochenenden im Jahr zutreffen, um über sich, ihre Beziehungen untereinander, ihre Haftbedingungen, ihr Verhältnis zur Gesellschaft und über ihre Politik zu sprechen. Nach sieben Jahre währender Gruppenarbeit äußern sich die Teilnehmer nun öffentlich zu ihren Erfahrungen.

In den sehr unterschiedlichen Texten der Gruppenmitglieder wird nicht selbstmitleidig in der Vergangenheit gerührt, auch nicht pseudowissenschaftlich die RAF-Geschichte aufgearbeitet. Statt dessen ist es ein Ansatz, das eigene Schweigen und das der Gesellschaft zu durchbrechen. So hatte zum Beispiel Karl-Heinz DelIwo, der mit fünf weiteren RAF-Terroristen 1975 die deutsche Botschaft in Stockholm stürmte, in den dreißig Jahren nach der Aktion noch nicht mit den Beteiligten darüber geredet. Dabei spielte für diese, damals jungen Menschen, in dem Lebensgefühl und der Motivation, sich für den bewaffneten Kampf zu entscheiden, die unverarbeitete Nazizeit, das Ausschweigen darüber, eine große Rolle. Sie kritisierten an ihrer Elterngeneration die Abweisung von Verantwortlichkeit, Aufarbeitung und Schuld. Nachfolgenden Generationen fällt es immer schwer, eigene Positionen und Identitäten zu finden, sich von den Eltern zu distanzieren und wieder anzunähern, wenn diese schweigen und verleugnen. Daher ist eine Auseinandersetzung mit den Geschehnissen von 1977 nicht nur von Interesse für die unmittelbar Beteiligten und die Zeitzeugen, sondern genauso wichtig für die heute 20- bis 30-Jährigen, deren Eltern von dieser Zeit geprägt wurden.

An mehreren Stellen im Text wird klar, wie viele Akteure aus linken politischen Zusammenhängen auch selbst beinahe beim bewaffneten Kampf gelandet wären, wie viele sich heute noch vorwerfen, sich nicht genug oder zu viel eingebracht zu haben. David Becker bemerkt in seinem Vorwort »daß es damals für viele normal war, sich auch gewaltsam zu befreien«.

Karl-Heinz Dellwo bemüht sich in seinem Text um die Herstellung eines politischen Zusammenhangs, erinnert an die Intention der RAF, einen Gegenentwurf zur bürgerlichen Welt zu schaffen, für Freiheit zu kämpfen und sie miteinander umzusetzen. Gründe für das Scheitern werden in seinem und den anderen Texten deutlich. Zu allererst erschrecken die Sprachlosigkeit, aus der wohl viel resultierte, der Autoritarismus, das Mißtrauen, die repressiven Strukturen, aus denen schwer herauszufinden war. In der Vorstellung des Revolutionärs vom revolutionären Kampf war dessen Leben nicht das höchste Gut. Auch in der Haft behielt Dellwo sich die Hintertür offen, sich das Leben nehmen zu können. »Nie habe ich in dieser Zeit auch nur einmal ernsthaft daran gedacht, mich individuell zu retten.«

Ella Rollnick, 1975 beteiligt an der Entführung des CDU-Politikers Peter Lorenz, sieht ein Scheitern der RAF in den eingefahrenen Prozessen begründet. Gefaßte Beschlüsse waren undiskutierbar, Apologeten fühlten sich im widerspruchsfreien Raum wohl und Wurden stillschweigend anerkannt.

Die Therapeuten Angelika Holderberg und Volker Friedrich beschreiben, unter welchen absurden Grundvoraussetzungen sie eine Kommunikationsperspektive entwickelten. Es gelang ihnen, eine Annäherung an die depressive Position herzustellen, obwohl am Anfang extremste Verfolgungsangst herrschte. Sie begleiteten die Gruppe von paranoiden Beziehungsstrukturen hin zu einem kleinen Stück Vertrauen, von versteinerten Auseinandersetzungen um Ideale, Macht, Ohnmacht und Verrat hin zu Erfahrung von Kommunikation und Lebendigkeit.

Knut Folkerts, beteiligt an der Ermordung von Generalbundesanwalt Siegfried Buback 1977, fand das ehemalige Gefangenenkollektiv zerstritten und unfähig zur Kommunikation. Die alten Mechanismen der Funktionalität, der kalten Seite, die verinnerlichte Vernichtung, der Verfeindungen und die Sprachlosigkeit wurden überwunden. Sie mußten sich als ganze Menschen der Diskussion stellen, erinnern und anders betrachten, wieder Vertrauen und Respekt füreinander finden.

Die Texte sind keine abschließenden Analysen, sondern eine Mischung aus persönlichen Stellungnahmen und Reflexionen über die Politik der RAF und das Verhalten des deutschen Staates. Nach einer jahrelangen Behandlung der RAF als Klischee und Projektion wird nun ein Vermenschlichungsprozeß geschildert, der sowohl in der Auseinandersetzung in der RAF als auch um die RAF lange gefehlt hat. Sie haben die Inhalte, die sie miteinander diskutierten, dahin zurückgeführt, wohin sie hingehören, nämlich in die Gesellschaft.

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