Rezension zu Frauenheilkunde mit Leib und Seele
Sexuologie – Zeitschrift für Sexualmedizin, Sexualtherapie und Sexualwissenschaft, Band 24, Heft 3-4/2017
Rezension von Dorothea Schuster
Mit diesem schön gestalteten Buch legt Claudia Schumann die Essenz
ihrer 27-jährigen Arbeit als niedergelassene Frauenärztin vor.
Darin schlägt sie einen Bogen von ihren ersten Überlegungen zur
Wahl gerade dieses Berufsweges bis zum erfolgreichen Abschluss
ihrer langjährigen Praxis, der jedoch keineswegs das Ende ihrer
Beschäftigung mit der gynäkologischen Psychosomatik bedeutet.
Die gut zu lesende lebhafte Schilderung des Praxisalltags mit allen
Freuden und Mühen ist weit mehr als die Beschreibung der
Arbeitsfelder oder einzelner »Fälle«. Auch die fachlichen und
organisatorischen Fähigkeiten, die persönlichen Voraussetzungen und
Kompetenzen, die nötig sind, um eine Einzelpraxis wirtschaftlich
erfolgreich zu führen, werden umfassend – auch für den Laien
verständlich – beschrieben. Sie stehen jedoch nicht im
Mittelpunkt.
Das Buch ist in erster Linie ein leidenschaftliches Plädoyer für
Psychosomatik im Praxisalltag und ein Beispiel dafür, wie lebendig,
interessant und erfüllend die scheinbar gleichförmige Routine der
täglichen Sprechstunde sein und bleiben kann, wenn die Beziehung
zur Patientin im Mittelpunkt steht. Anhand von Beispielen aus
nahezu allen in der frauenärztlichen Sprechstunde vorkommenden
Bereichen wird der Beziehungsaspekt dargestellt und bei
diagnostischen und therapeutischen Überlegungen grundlegend
einbezogen.
Wie in kaum einem anderen Fachgebiet sind in der Gynäkologie und
Geburtshilfe Körper und Seele (Soma und Psyche) miteinander
verknüpft. Bei der Behandlung von Erkrankungen der weiblichen
Geschlechtsorgane oder vorübergehenden Beschwerden in diesem
Bereich sowie bei der Beratung und Begleitung gesunder Frauen in
den verschiedenen Lebensphasen ist es nahezu unentbehrlich, die
individuelle Frau in ihrer bio-psychosozialen Gesamtheit zu
erfassen und damit das »dritte Ohr« für die Patientin offen zu
halten. Die Autorin macht auf die Besonderheit der gynäkologischen
Untersuchungssituation als Eingriff in die Intimsphäre der
Patientin aufmerksam. Auch die Behandlung von Erkrankungen der
weiblichen Genitalorgane und die gynäkologische Ratgebung berühren
sehr persönliche Bereiche wie Sexualität, Fruchtbarkeit und
Partnerschaft.
Didaktisch klug und fast lehrbuchmäßig wird damit die Wirkung
dieser Interaktionen im Sinne ärztlicher Heilkunst spürbar. Und
ebenso nachvollziehbar wird dabei, dass Beratung mehr verlangt und
spannender ist als die rein technische Anwendung kommunikativer
skills: sie reicht von der integrierten Sexualberatung über
Kinderwunschsprechstunde, Mutterschaftsvorsorge bis zur Beratung
und Begleitung in palliativen Situationen bei unheilbaren
Erkrankungen.
Lebendig wird das Buch dadurch, dass nicht nur die Patientin als
Frau präsent wird, sondern auch die Autorin als Ärztin ihre eigene
Persönlichkeit deutlich werden lässt – mit eigenen Gedanken,
Unsicherheiten und Zweifeln. Dabei scheut sie nicht, Fragen nach
eigenen Grenzen, möglichem Versagen und Schuld aufzuwerfen. Die
Ehrlichkeit und der Mut, die dazu gehören, sich in der Beziehung
zur Patientin so zu reflektieren, ohne den Boden der
Professionalität zu verlassen, machen die Schilderungen
authentisch; sie können Kollegen und Kolleginnen zu eigenen
Reflexionen und Erinnerungen an schwierige Situationen bei
Patientenbeziehungen anregen.
Die Beschreibung der durchlaufenen Ausbildung, der wichtigen
Vorbilder und des Handwerkzeugs, das notwendig ist, um fundiert
psychosomatisch zu arbeiten (Balintgruppen, Curricula u.a.) ebenso
wie des lebenslang eigenen Gewinnes im Sinne persönlicher
Entwicklung und burn-out-Prophylaxe ergänzen die Schilderung der
Praxisarbeit. Nicht nur in dieser Hinsicht ist das Buch als
wertvolle Ergänzung zur psychosomatischen Weiterbildung, die in der
FA-Weiterbildung für Gynäkologie und Geburtshilfe verankert ist,
gut vorstellbar.
Ein abschließender Teil des Buches widmet sich der Darstellung, wie
ärztliche Aufgaben, die neben der Sprechstunde einen wesentlichen
Teil der Arbeitszeit einnehmen (Personalführung, Finanzen,
Verwaltungsarbeit, Qualitätsmanagement, Fortbildung), nicht nur
erfolgreich, sondern auch zur eigenen Zufriedenheit erfüllt werden
können. Auch hier wird die Einbettung dieser oftmals weniger
geliebten Arbeiten in »Beziehungsarbeit« spürbar, wenn
kollegial-freundschaftliche Verbindungen (im lokalen
Qualitätszirkel oder überregionalen QM-System) als unterstützend,
verlässlich und hilfreich erlebt und solche Strukturen und
Kompetenzen effektiv genutzt werden können.
Das Buch ist sehr empfehlenswert für angehende Frauenärzte und
Frauenärztinnen, aber auch für Kolleginnen anderer
Fachbereiche.