Rezension zu Nach dem bewaffneten Kampf

Junge Welt Nr.69

Rezension von Christof Meueler

Hin und wieder Funkverkehr
»Nach dem bewaffneten Kampf«: Wenn die ehemaligen Mitglieder der RAF oder der Bewegung 2. Juni persönlich werden, kann man sich persönlich kaum etwas darunter vorstellen.

Die Dinosaurier werden immer trauriger. Es ist schade, daß sich der Versuch einiger ehemaliger Mitglieder aus der RAF, der Bewegung 2. Juni und deren Unterstützergruppen, sich mit Psychotherapeuten über ihre persönliche Geschichte auseinanderzusetzen, mit diesem Schlagerrefrain zusammenfassen läßt. In dem von Angelika Holderberg herausgegebenen Buch »Nach dem bewaffneten Kampf« bilanzieren frühere politische Gefangene und Leute aus der Solidaritätsszene auf prosaische Art ihr Mitwirken an einer Diskussionsgruppe, die sich von 1996 bis 2003 regelmäßig traf, um »über die Zeit im und nach dem Knast zu reden, über gegenseitige Verletzungen. Belastungen, Traumatisierungen« (Monika Berberich). Das sollte weder Therapie noch Geschichtswerkstatt sein, sondern in erster Linie etwas nachholen, was der repressive Staat seinen Gegnern in den Hochsicherheitsknästen jahrzehntelang verweigert hatte: eine freie Diskussion, ermöglicht durch die Zusammenlegung der Gefangenen, die statt dessen immer wieder in Isolationshaft, auch weiße Folter genannt, gehalten wurden. Für die Zusammenlegung wurden Hungerstreiks durchgeführt, deren Teilnehmer von staatlicher Seite unter anderem gedemütigt, mißhandelt und zwangsernährt wurden. Viele gerieten in Lebensgefahr, Holger Meins und Sigurd Debus starben.

Ursprünglich sollte die Diskussiongruppe die Erfahrungen ihrer Teilnehmer unter diesem bundesdeutschen Haftregime aufarbeiten und öffentlich machen. Ziemlich schnell ging es aber um die Thematisierung lange Zeit stillgestellter emotionaler Konflikte, darum, »vom Kampf-Wir in sein kämpfendes Ich zu kommen«, schreibt Volker Friedrich, neben der Herausgeberin der Therapeut, der die Gruppe konstant begleitete. Die Hinzuziehung von solchen professionellen. aber in diesem Fall unentgeltlich arbeitenden Kräften zur Strukturierung der Treffen war notwendig, denn »das ehemalige Gefangeneakollektiv war zerstritten und unfähig zur Kommunikation« (Knut Folkerts). Für Monika Berberich war es nach ihrer Haftentlassung am schwersten, »die Kluft auszuhalten zwischen der Tatsache einerseits, ein erwachsener Mensch. also für mich selbst verantwortlich zu sein, und andererseits mich emotional wie ein Kind zu fühlen, das den emotionalen Anforderungen eines Alltagslebens in keinster Weise gewachsen ist«. Ella Rollnik war enttäuscht, »daß es nach meiner Freilassung nicht möglich war, mit den anderen damals schon Freigelassenen eine politische Gruppe zu bilden (...) In der Freiheit hatte sich unser Zusammenhang in Nullkommanichts ausdifferenziert.« Empfand sich Karl-Heinz Dellwo im Gefängnis wie ein »Astronaut« mit »hin und wieder Funkverkehr«, fühlte er sich danach »trotz dem Bemühen von Freunden meistens aber sehr alleine«.

Bekanntlich ging der Auflösung der RAF deren Spaltung voraus. Brigitte Mohnhaupt erklärte 1993 im Namen der RAF, daß ein Teil der RAF – immerhin Gefangene wie sie – nicht mehr dazugehören dürfte, weil sie deren Kapitulation vor dem Staat vermutete. Das galt auch für die sogenannten illegalen draußen (außerhalb der Haftanstalten), die ihrerseits 1998 verlautbaren ließen: »Die Stadtguerilla in Form der RAF ist nun Geschichte«. Dieser Bruch wiederholte sich auch in der Diskussionsgruppe; ab der vierten Sitzung war die Hälfte der Teilnehmer nicht mehr dabei. Sie behaupteten, das jetzt selbständiger und viel richtiger organisieren zu müssen – woraus aber nie etwas geworden ist

Das Problem besteht nun darin, daß die im Buch versammelten Beiträge der weiterdiskutieren wollenden Ex-Militanten in ihrer Mehrzahl auch nicht besonders überzeugend geraten sind. Sie lesen sich überwiegend wie die Abschlußberichte der Besucher eines Blockseminars an der Uni – starke, undeutliche Gefühle und wenig Ringen um Begrifflichkeit oder gar politische Analyse. Vieles, was angesprochen wird, klingt nachvollziehbar: Das Leiden an Hierarchisierung, Konditionierung, Mythologisierung, Militarisierung. »Es wäre zuviel zu verdrängen, um nicht krank davon zu werden« (Folkerts). Unklar bleibt nur, was da, abgesehen von einer großen Unzufriedenheit ob dem Eingeständnis, politisch wie sozial gescheitert zu sein, nicht verdrängt werden soll? Es gibt keine Beispiele, Stories, Ableitungen, sondern nur allgemeine Schlagworte, die aber auch nicht (mittels politischer, psychologischer oder poetischer Literatur) weitergedacht werden. Selbst die Haftbedingungen bleiben fast vollständig unerwähnt. Alles ist derart auf persönliche Meinungen beschränkt, daß man sich persönlich darunter kaum etwas vorstellen kann.

Es ist einzusehen, daß aus Gründen der Vermeidung polizeilicher Zusatzerkenntnisse keine Protokolle der Diskussionen angefertigt wurden, doch wenn Roland Mayer seinen Beitrag »Streiten können« nennt, hätte man schon gerne gewußt, wie das konkret vor sich geht. Die Therapeuten behaupten zwar wechselweise, »tiefes Ergriffensein« oder »Grauen« gefühlt zu haben, sind aber nicht willens, solcherlei Empfindungen auch nur ansatzweise wissenschaftlich zu relativieren oder gesellschaftspolitisch einzuordnen.

Einzig Karl-Heinz Dellwo hat sich in seinem sehr lesenswerten Text »Kein Ankommen, kein Zurück« die Mühe gemacht, auch theoretische Überlegungen darüber anzustellen, warum in der RAF ein »fahnenschschwingendes Reden von Kollektivität« zunehmend ohne »jeden Bezug in den konkreten Beziehungen« blieb. Rückblickend erscheint ihm das wie »ein bewaffnetes Warten auf eine Reife der Zeit, von der man nicht mehr glaubt, daß man sie selbst erzwingen kann.« Dabei hatte ihn einmal mit der RAF der Anspruch verbunden, »dem Widerspruch im Sozialen

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