Rezension zu Traumapädagogik in der Schule
heilpädagogik.de – Fachzeitschrift des Berufs- und Fachverbandes Heilpädagogik e.V., 33. Jahrgang, Ausgabe 1, 2018
Rezension von Sybille Lenk
Traumatisierte Kinder und Jugendliche, die in den Hilfen zur
Erziehung betreut und in der Kinder- und Jugendpsychiatrie
therapiert werden, sind nicht plötzlich unbelastet, nur weil sie
sich in der Schule befinden. Insofern ist das vorliegende Buch
wichtig und lange erwartet.
Aus der Verantwortungszuschreibung für gelingende
Entwicklungsprozesse an die Pädagogik allgemein, ganz besonders
jedoch für die Arbeit mit jenen jungen Menschen, für die Schule und
Jugendhilfe oft den einzigen stabilen Bezugsrahmen darstellen,
ergibt sich der Auftrag an die Arbeit mit schwer belasteten
Schülern.
David Zimmermann beschreibt in seinem spannenden, gut lesbaren Buch
sowohl theoretisch als auch am Beispiel forschungsbasierter
Falldarstellungen sehr genau die Merkmale traumatisch
beeinträchtigter pädagogischer Beziehungen. So werden alle Thesen
stets auch auf größere soziale und wirtschaftliche Dimensionen hin
untersucht. Denn weder individuelles Leid noch pädagogische
Professionalität im Umgang mit jenem Leid sind ohne den Bezug zu
den gesellschaftlichen Bedingungen, z. B. in Hinblick auf
Inklusion, vorstellbar. Zimmermann klärt zunächst die relevanten
Begriffe und erläutert davon ausgehend das Verhältnis von
Traumapädagogik und Traumatherapie. Er stellt fest, dass sich
Lehrerinnen und Lehrer von keiner Schülergruppe derart nachhaltig
herausgefordert fühlen wie von den schwer emotional-sozial
belasteten traumatisierten Kindern und Jugendlichen.
Herzstück des Buches bilden forschungsbasierte
Interaktionsgeschichten traumatisch beeinflusster Beziehungen.
Dabei umfasst das Forschungsfeld einerseits Grund- und
Gesamtschulen und andererseits Sprachlernklassen für Geflüchtete
sowie Förderschulen mit dem Schwerpunkt sozial-emotionale
Entwicklung. Es geht um Beziehungsgestaltung mit
(beziehungs-)traumatisierten Kindern in der Ambivalenz von Halten
und Fordern bzw. Bewerten von Leistung. »Dabei ist zu beachten,
dass zu große Nähe von Schülern als hoch bedrohlich erlebt werden
kann, weil hierbei Aspekte und vor allem nicht symbolisierte
Affekte der beziehungstraumatischen Erfahrungen reaktiviert werden.
Die zu große Nähe wird u. U. zu einer Grenzüberschreitung, wenn
keine langfristige Beziehungsperspektive möglich ist« (S. 158). Die
Reinszenierung traumatischer Erfahrung muss in ihrer für das Kind
inneren Logik – dem guten Grund – für das als problematisch erlebte
Verhalten entschlüsselt werden, da sonst narzisstische Verletzung
droht, die zum Beziehungsabbruch führen kann. In diesem
Zusammenhang setzt sich Zimmermann sehr kritisch mit der Dominanz
von Verhaltensmodifikationen und immer neuen
didaktisch-methodischen Raffinessen als vermeintlicher Lösung
auseinander. Vielmehr stellt er Inhalte seiner Weiterbildungsreihe
vor, die auf einem psychoanalytisch fundierten und schulpädagogisch
nutzbaren Fallverstehen basiert. Die Ergebnisse werden evaluiert
und ermutigen die Leserin/ den Leser, durch eine solche
Weiterbildung eigene Haltungen zu überprüfen und
Handlungskompetenzen zu erweitern. So könnte der pädagogische
Umgang mit betroffenen Kindern und Jugendlichen – die
institutionelle Verantwortungsübernahme der Bildungspolitik
vorausgesetzt – besser gelingen. Dass dies unbedingt nötig ist,
daran lässt der Autor dieses sehr zu empfehlenden Buches keinen
Zweifel.