Rezension zu Normalisierter Wahnsinn? (PDF-E-Book)
Germanistik – Internationales Referatenorgan mit Bibliographischen Hinweisen, 2017, Band 58, Heft 1–2
Rezension von Bettina Rabelhofer
Die Studie (zugl. Univ. Mannheim, Diss., 2013) fokussiert auf eine
Untersuchungsperiode, in der der Wahnsinn zwischen den Extremen der
Faszination/Glorifikation und Ächtung oszilliert. Nach einem
historischen Aufriss, der einen Überblick über literarische,
philosophische und naturwissenschaftliche Aspekte des Wahnsinns
gibt, wird in den Kapiteln des Hauptteils der Wahnsinn anhand
ausgewählter literarischer Figuren sowohl auf der Handlungsebene,
in Bezug auf seine intratextuelle Funktion, als auch auf seine
Instrumentalisierung im Hinblick auf die außertextuelle Realität
untersucht. Als Textkorpus dienen der Verf. vier Bildungs- bzw.
Entwicklungsromane (Goethes »Wilhelm Meisters Lehrjahre«, 1795/96;
Eichendorffs »Ahnung und Gegenwart«, 1815; Hoffmanns »Die Elixiere
des Teufels«, 1815/16; Mörikes »Maler Nolten«, 1832), deren
Tiefenstrukturen laut der These der Verf. eine Umwertung des
Wahnsinns vornehmen und dadurch die diskursiv-normative Ächtung des
Wahnsinns subversiv ihrer Poetik einverleiben und letztendlich die
Grenze zwischen Normalität und Wahnsinn durchlässig machen. Die
Arbeit leistet einen facettenreichen Beitrag zum Diskurs um die
Liminalität von Wahnsinn und Normalität, indem sie zeigt, dass der
Wahnsinn in Texten des frühen 19. Jh.s tiefenstrukturell
aufgewertet wird, noch lange bevor dies auf der Textoberfläche
semantisch möglich wird.