Rezension zu Sexueller Missbrauch in der Psychotherapie
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Rezension von Dunja Voos
»Ist es normal, dass mein Psychotherapeut mit mir ins Kino gehen
möchte? Dass er mir manchmal Geschenke macht?«, werde ich manchmal
gefragt. Nein, das ist nicht normal. Die Düsseldorfer Psychologin
Dr. phil. Marga Löwer-Hirsch zeigt in ihrem Buch »Sexueller
Missbrauch in der Psychotherapie«, dass so manche Fallgeschichte so
oder ähnlich beginnt. Der Missbrauch in der Psychotherapie
entspreche in vielerlei Hinsicht dem Inzest in der Familie, da die
Patientinnen sich vom Therapeuten zeitweise so emotional abhängig
fühlen wie ein Kind von den Eltern, so die Autorin.
Doppeldenk
Der Psychotherapeut kommt der Patientin näher und die Patientin hat
das Gefühl, dass hier etwas nicht stimmt. Aber bald schon entsteht
etwas, das Marga Löwer-Hirsch als »Doppeldenk« bezeichnet: Auf
einer Ebene spüren die Patienten, dass da etwas »nicht normal« ist,
auf der anderen Ebene reden sie sich mit scheinbar vernünftigen
Argumenten gut zu. Insbesondere, wenn die Patientin von sexuellen
Problemen oder Beziehungsschwierigkeiten berichtet, kann sie
innerlich argumentieren, dass die (übergriffige) Beziehung zum
Therapeuten sie heilen könnte nach dem Motto: »Wenn mir die
Sexualität mit ihm gelingt, dann gelingt sie mir auch
generell.«
Beim sexuellen Missbrauch in der Psychotherapie kommt es zur
Rollenumkehr: Der Therapeut braucht die Patientin. Viele
Patientinnen können erst Jahre danach darüber sprechen.
Fallgeschichten
Marga Löwer-Hirsch erzählt die Fallgeschichten von 11 Patientinnen,
die sexuelle Übergriffe in der Psychotherapie erlebt haben. Auch
ein Psychotherapeut, der Patientinnen sexuell missbraucht hat,
kommt zu Wort. Die Betroffenen sind extrem verwirrt und werden
teilweise suizidal. Viele Patientinnen haben zunächst das Gefühl:
»Ich bin etwas ganz Besonderes.« Selbst, wenn es Hinweise darauf
gibt, dass der Psychotherapeut auch mit anderen Frauen bzw.
Patientinnen sexuelle Beziehungen hat, versuchen viele
Patientinnen, dies auszublenden.
»Sie war allerdings nach wie vor ›süchtig nach Körperkontakt‹ mit
ihm und hoffte auf eine spätere reale Beziehung. Heute nimmt sie es
ihm übel, dass er nicht klar gesagt hat: ›Du bist meine Patientin,
Du bist die Sigrid, ich mag Dich gern, Du bist eine attraktive
Frau, all das hat er mir gesagt. Aber ich liebe Dich nicht.‹ Damals
hat er gesagt, er liebe Sigrid und obwohl sie wusste, dass sie
nicht die Einzige war, hatte sie geglaubt, dass die Beziehung zu
ihr etwas Besonderes sei.« (S. 66)
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