Rezension zu Opfer
ajs informationen II/2017
Rezension von Elke Sauerteig
Die Lebensphase der frühen Kindheit ist zunehmend in den Fokus der
öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt. Die Unterstützungsleistungen
für Kinder und Familien wurden deutlich verbessert. Zugleich haben
die gravierenden gesellschaftlichen Veränderungen und damit
einhergehende Normierungs-und Optimierungsansprüche zu unverkennbar
steigenden Belastungen auf Seiten von Eltern und Kindern gesorgt,
die auch zu psychischen Problemen führen. Dieses Spannungsfeld wird
von den Autorinnen und Autoren aus therapeutischer, medizinischer,
erziehungswissenschaftlicher und pädagogischer Perspektive
diskutiert.
Das Resultat ist in jedem Fall lesenswert: Ergebnisse der
Säuglings-, Kleinkind- und Bindungsforschung werden anschaulich mit
Fallbeispielen in Verbindung gebracht. Familiendynamische Ursachen
für Vernachlässigung werden exploriert und Möglichkeiten der
Veränderung aufgezeigt. Dass pädagogisches Handeln auch bzw. gerade
in Zeiten zunehmenden Ökonomisierungsdrucks lebendig,
emanzipatorisch und vor allem am Kind orientiert bleiben kann (und
muss), wird klar dargelegt und begründet. Einzelne Handlungsfelder,
wie z. B. die Elternarbeit im Kindergarten werden vorgestellt und
in ihrer Wirksamkeit reflektiert.
Die Autorinnen und Autoren sprechen sich deutlich gegen
»Förderwahn« und Leistungsdruck aus. Viel wichtiger ist ihnen
Gelassenheit und grundlegend bleibt die uneingeschränkte Bedeutung
emotional verlässlicher Beziehungen. Folgerichtig plädieren sie für
Beziehungszeit in der Familie und im sozialen Umfeld. Sie zeigen,
mit welcher Unterstützung Familien ihre Kommunikationsmöglichkeiten
erweitern können. Die gesellschaftspolitische Bedingtheit von
Veränderungsmöglichkeiten wird dabei nicht vernachlässigt.
Ein Fachbuch mit einer großen Bandbreite an möglichen Perspektiven
auf das Thema »Frühe Kindheit«. An vielen Stellen ist ein
Innehalten notwendig, um eigene Positionen zu reflektieren und sich
im Spannungsfeld zwischen Unterstützung für Familien in belasteten
Situationen und eigener Mitwirkung an Normierungs- oder
Optimierungsprozessen neu zu verorten.