Rezension zu Sucht (PDF-E-Book)
Redaktion Österreichisches Pressebüro, www.oepb.at vom 8. November 2017
Was ist die Sucht eigentlich genau?
Der Begriff »Sucht« wurde lange Zeit vor allem mit körperlicher
Abhängigkeit von Substanzen
gleichgesetzt. Es wird allerdings immer üblicher den
Begriff »Sucht« auch auf psychische und soziale Abhängigkeit sowie
auf Verhaltensweisen wie Spielsucht, Kaufsucht, Internetsucht,
auszudehnen.
Abhängigkeit (umgangssprachlich Sucht) bezeichnet in der Medizin
das unabweisbare Verlangen nach einem bestimmten Erlebniszustand.
Diesem Verlangen werden die Kräfte des Verstandes untergeordnet. Es
beeinträchtigt die freie Entfaltung einer Persönlichkeit und
beeinträchtigt die sozialen Chancen eines Individuums. In den
Fachgebieten Psychologie und Psychiatrie gibt es verschiedene
Formen der Sucht.
Sucht ist also in unserer Gesellschaft ein sehr ungeliebtes Thema.
Mit dem Wort Sucht verbindet man sofort abstoßende Eindrücke wie
Verwahrlosung und Kontrollverlust.
Doch sind wir uns ehrlich, ist nicht jeder von uns in irgendeiner
Form irgendwie süchtig? Zigarettenkonsum beispielsweise wird der
Genuss, die Gewohnheit und die Abhängigkeit gleichgesetzt. Die
Raucher werden als unvernünftig, selbst zerstörerisch und
undiszipliniert gehalten. Nächtelang am Computer zu sitzen und
Onlinespiele zu spielen wird zu Sucht erklärt. Um nur einige von
vielen Beispielen zu nennen.
Roland Voigtel versteht die Sucht als Abwehrsystem. Sie sei
grundsätzlich »eine konstitutive« Funktion der gesunden,
arbeitenden Psyche und nichts »Krankes«, sodass es durchaus
angemessen wäre, von einer »Schutz-« oder psychischen
»Immunfunktion« zu sprechen, wie er in seinem Buch die Sucht
beschreibt.
In einem der Beispiele, die er anführt, schildert er den Fall einer
jungen Frau mit Borderline Persönlichkeitsstörung, bei der er
aufzeigt, dass »die Sucht als Abwehr ebenso der Stabilisierung
dient wie das Abwehren per Agieren, per gewaltsamer Übertragung
(projektive Identifizierung) und per Selbstverletzung«. Mit anderen
Worten: Alkohol und Drogen können helfen eine Initialverstimmung
(im Falle von Borderline) Panikgefühle, Wut- und Hassanfälle etc.
in den Griff zu bekommen, zu verdrängen, zu neutralisieren, zu
stabilisieren.
Die Psychoanalyse geht davon aus, dass die süchtige Abwehr (wie
andere Abwehren auch, zum Beispiel soziale Rückzüge oder
aggressives Einwirken auf Objekte), an der Heranbildung einer
psychischen Struktur mitgewirkt hat und nicht grundsätzlich
geändert werden kann, ohne die Identität des Menschen zu
zerstören.
»Weiters geht es bei der psychoanalytischen und
tiefenpsychologischen Therapie der Sucht, sei es als Symptom oder
als umfassende strukturelle Störung darum, dem Süchtigen dabei zu
helfen, seine psychische Struktur zu verstehen (was nicht leicht
ist), zu akzeptieren und so mit ihr umzugehen, dass er ein
erträgliches und subjektiv sinnvolles Leben ohne Selbsthass und
Selbstzerstörung mit ihr führen kann.«
Therapeutisch sei es Ziel, das schwache Selbst der Patienten so
weit zu stärken, dass es immer weniger auf süchtige Abwehr
angewiesen ist.
Roland Voigtel hat zugehört, rein gefühlt, nachvollzogen und
verstanden und hat das gesammelte Wissen von Patientenkontakten zu
einem Gesamtverständnis zusammengeführt. Wie in psychodynamischen
Verfahren üblich, hat er sich der Frage nach dem Warum des
Suchtmittelkonsums zugewandt. Er legt in seinem Buch ein
schlüssiges psychodynamisches Verständnis der Suchterkrankung
vor.
Nach der Lektüre versteht man den Süchtigen viel mehr als
»tragischen«, denn als »schuldigen« Menschen.
Ein Buch voller Aha-Erlebnisse, die ein tieferes Verständnis der
Patienten möglich macht. Eine offene Hand für eine klare und ebenso
offene Denkweise für das Verständnis von Sucht.
Sehr zu empfehlen für alle, die sich mit dem »Warum«
beschäftigen.
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