Rezension zu Die konstruierte Frau und ihr Körper
GENDER – Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft, Heft 3, 2017
Rezension von Lisa Malich
Wie lässt sich der weibliche Körper denken, ohne ihn zu
essentialisieren? Auf welche Weise werden kulturelle
Geschlechtervorstellungen Teil der individuellen Subjektivität?
Diesen gewichtigen Fragen widmet sich die Geschlechterforscherin
und Psychoanalytikerin Helga Krüger-Kirn in ihrem Buch »Die
konstruierte Frau und ihr Körper«.
Dazu nimmt die Autorin einen seit den 1990er-Jahren unterbrochenen
Dialog zu Geschlecht wieder auf, nämlich den zwischen
psychoanalytischen Ansätzen einerseits und soziologischen,
kulturwissenschaftlichen bzw. diskurstheoretischen Perspektiven
andererseits. Dieses Unterfangen ist deshalb wichtig, weil
Krüger-Kirn zu Recht eine theoretische Leerstelle in Bezug auf die
konkreten psychischen Mechanismen konstatiert, durch die soziale
Geschlechterrollen jeweils spezifische Körpervorstellungen
hervorbringen. Diese Leerstelle betrifft nicht nur den akademischen
Bereich der Geschlechterforschung, sondern prägt auch
psychodynamische Praxisfelder. Denn gerade in den Settings der
analytischen Psychotherapie dominieren häufig noch biologisierende
Ansätze, die von traditionellen Geschlechtervorstellungen geprägt
sind. Zur Relevanz des Buches trägt außerdem bei, dass hier die
Materialität und die Erfahrung des Körpers in den Mittelpunkt
gestellt werden. Solche Aspekte sieht die Autorin nicht zuletzt in
den diskurstheoretischen Ansätzen, die aktuell weite Teile der
Geschlechterforschung prägen, zu wenig berücksichtigt, weshalb sie
diese mit phänomenologischen und psychoanalytischen Konzepten zu
fassen versucht.
Um die »Trias von Körper, Diskurs und Subjektivierung« (S. 23) zu
theoretisieren, zieht Krüger-Kirn eine beeindruckende Vielfalt an
heterogenen Ansätzen und Autorinnen heran – von den Philosophien
Judith Butlers, Michel Foucaults oder Helmuth Plessners über
soziologische Perspektiven, etwa von Paula-Irene Villa und Sabine
Hark, bis zur Ethnologin Mary Douglas oder dem Säuglingsforscher
Martin Domes; von den kulturwissenschaftlichen Ausgangspunkten
Angela McRobbies über historische Arbeiten, z. B. von Joan Scott
und Thomas Laqueur, bis zu unterschiedlichen psychoanalytischen
Standpunkten, etwa von Helene Deutsch, Luce Irigaray oder Donald
Winnicott.
Diese Breite wird zunächst durch den übersichtlichen Aufbau des
Buches in zwei Teile eingegrenzt – in einen theoretischen und einen
empirischen Teil. Im Theorieteil beschäftigt sich das erste Kapitel
mit der Rolle des Körpers in den psychoanalytischen Konzepten von
Freud, Lacan und Laplanche. Dabei arbeitet Krüger-Kirn heraus, dass
all diese theoretischen Zugänge die Bedeutung des Intersubjektiven
für den Zugang zum eigenen Körper betonen. Vor diesem Hintergrund
seien soziokulturelle Faktoren stets an der Subjektkonstitution
beteiligt. Daran schließt sich ein bündiges Kapitel zur
feministischen Psychoanalyse an, in dem die Kritik an
phallogozentrischen Positionen vorgestellt wird und die Autorin –
verständlich und präzise – Bezug auf verschiedene theoretische
Erweiterungen nimmt, wie etwa durch die US-amerikanische
Analytikerin Jessica Benjamin. In ihrer Darstellung solcher
feministischer Ansätze betont die Autorin, dass diese Ansätze
psychosexuelle Entwicklungsprozesse stets mit gesellschaftlichen
Strukturen in Verbindung setzten und besonders die zuvor oft
marginalisierte Tochter-Mutter-Beziehung in den Vordergrund
rückten. Hierauf folgt ein Kapitel zu dekonstruktivistischen
Körperdiskursen, in dem zunächst die Auseinandersetzung mit den
Positionen Judith Butlers zentral ist. Interessant ist dabei, dass
Krüger-Kirn detailliert auf die – ansonsten häufig vernachlässigte
– Bezugnahme Butlers auf psychoanalytische Theorien eingeht. Auf
diese Weise werden Butlers Konzepte zum melancholischen Geschlecht
und zum Homosexualitätstabu anschaulich gemacht und in Beziehung zu
Konzepten innerhalb der Psychoanalyse gesetzt. Wertvoll ist, dass
die Autorin hier darauf hinweist, dass homosexuelle
Begehrensstrukturen gerade in analytischen Interpretationen der
Tochter-Mutter-Beziehung stärker beachtet werden sollten. Weniger
gut nachvollziehbar ist allerdings, warum anschließend im selben
Kapitel auch leibphänomenologisch orientierte Ansätzen, wie der von
Gesa Lindemann, aufgeführt werden. In einer etwas knappen und vagen
Argumentation werden diese ebenfalls dem Dekonstruktivismus
zugerechnet und als zu einseitig sprachbezogen kritisiert. Den
Abschluss des Theorieteils bildet eine Diskussion aktuellerer
psychoanalytischer Theorien, in der Krüger-Kirn etwa auf die
Mentalisierungsforschung oder Francoise Doltos Theorie zu
Körperbild und -schema eingeht. Bezüglich der Einflussfaktoren auf
die weibliche Entwicklung hebt sie die kulturelle wie materielle
Bedeutung des ›inneren Genitals‹ (S. 137) hervor, ebenso wie die
häufige Tabuisierung weiblicher Geschlechtsorgane – so fehle
bereits in elterlichen Interaktionen mit kleinen Mädchen oft die
entsprechende sprachliche Benennung hierfür. Diese begriffliche
Leerstelle erschwere die narzisstische Identifizierung mit dem
eigenen Körper.
Insgesamt finden sich in den Kapiteln des Theorieteils immer wieder
klare und sehr gut lesbare Zusammenfassungen und kritische
Diskussionen der jeweiligen Ansätze. Etwas verwunderlich ist
allenfalls, dass trotz des breiten Theorierahmens kein Bezug auf
die Ansätze des ›New Feminist Materialism‹ (vertreten z. B. von
Karen Barad oder Elizabeth Wilson) genommen wird, bei denen die
Materialität des Körpers ebenfalls im Fokus steht. Positiv
hervorzuheben ist dagegen, dass Krüger-Kirn in Bezug auf
psychoanalytische Theorien nicht nur die ›üblichen Verdächtigen‹
wie Lacan nennt, sondern auch aktuellere psychodynamische Konzepte
aufgreift. Diese übersichtlichen Darstellungen dürften besonders
für Leser_innen, die sich bislang wenig mit Psychoanalyse
beschäftigt haben, ein großer Gewinn sein und eignen sich partiell
sicherlich auch als Einführungstexte für die Lehre.
Der zweite Teil des Buches umfasst eine ausführliche empirische
Studie, in der 30 psychoanalytische Fallberichte aus
Frau-Frau-Behandlungen untersucht werden. Im Vordergrund steht
besonders die Thematisierung des geschlechtlichen Körpers. Eine
zentrale These lautet dabei, dass sich in den jeweiligen
Körpermetaphern abgewehrte Bedürfnisse und kulturell tabuisierte
Identitätsaspekte finden. Angesprochen werden hier Themen wie
Schönheitsideale, Bulimie, Kinderwunsch, Schwangerschaft und
Abtreibung, die die Autorin versucht, jenseits von
Naturalisierungen zu analysieren. Zu diesem Zweck werden in
Unterkapiteln einzelne Fälle vorgestellt, die dann oft sehr knapp
theoretisch eingeordnet und psychoanalytisch interpretiert werden.
Durch die enorme Fülle an Material und einzelnen Fallgeschichten
wird hierbei allerdings der Anschluss zu den im theoretischen Teil
vorgestellten konzeptuellen Schwerpunkten nicht immer deutlich.
Hinzu kommt, dass die Autorin in ihrer Untersuchung weitere
theoretische Ansätze hinzuzieht, etwa Bourdieus Habituskonzept.
Dagegen wird hier das Homosexualitätstabu – das sich beispielsweise
auch in einer libidinösen Beziehung zwischen Analytikerin und
Analysandin hätte zeigen können – nur noch selten aufgegriffen.
Auch an zuvor erklärte kulturelle Einflüsse auf Vorstellungen
körperlicher Zweigeschlechtlichkeit wird kaum mehr angeknüpft. Da
stattdessen immer wieder auf Genitale und Körperprozesse wie
Menstruation verwiesen wird, entsteht mitunter der implizite
Eindruck eines universalistischen Weiblichkeitskonzepts. Das hätte
sich wohl durch den Einbezug heterogenerer Fälle vermeiden lassen,
etwa durch empirisches Material zu weiblichen Identitäten ohne
›inneres Genital‹ oder zu queeren Subjektivitäten. Durch die Dichte
und Komplexität einiger Fallbeschreibungen mögen manche
Darstellungen wohl gerade für Leser_innen ohne gute Kenntnisse
psychoanalytischer Ansätze und Terminologie eher schwer zugänglich
sein. Dennoch sind einige der Fallgeschichten durchaus
gewinnbringend – beispielsweise die differenzierte und sehr
interessante Diskussion von Abtreibung, ein Thema, das in der
Geschlechterforschung ebenso wie in der Psychologie sicher mehr
Aufmerksamkeit verdient hätte.
Zusammenfassend handelt es sich um eine sehr gut geschriebene,
innovative Analyse, die sich durch intellektuellen Scharfsinn
auszeichnet. Das Buch ist kultur- und sozialwissenschaftlich
arbeitenden Geschlechterforscher_innen mit Interesse für
psychoanalytische Theorie zu empfehlen, ebenso wie
Psychoanalytiker_innen oder Psychotherapeut_innen, die nach
zeitgemäßen Ansätzen der Genderforschung suchen. Das Buch bietet
nicht nur einen reichhaltigen Überblick, sondern kann auch wichtige
Inspirationsquellen liefern und neue Debatten anstoßen.