Rezension zu Das bipersonale Feld
Analytische Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie 4/2005
Rezension von Uta Einnolf
Antonino Ferro ist Kinder- und Erwachsenenanalytiker,
Lehranalytiker der »Italienischen Psychoanalytischen Gesellschaft«
und Supervisor am Zentrum für Kinderpsychotherapie der Universität
in Padua und Gastprofessor für Kinderpsychotherapie und
Kinderpsychoanalyse an der Mailänder Universität.
Das vorliegende Buch spricht mich besonders durch die Fülle an
klinischem Material und eine breite Erfahrungswelt im Kontakt mit
Kindern an. Aber auch das in sich geschlossene Theoriegebäude und
die Zentrierung auf eine besondere Grundidee eines
Behandlungsgedankens, das auf dem von Klein, Bion u.a. entwickelten
Konzept der Objektbeziehungen basiert, wird vor den Augen der
Leserin, des Lesers differenziert und durch einer Reise in die Welt
des Behandlungszimmers entwickelt. Bestimmungsort dieser Reise ist
das Konzept des Feldes, so wie Ferro es heute versteht.
»Die Grundidee ist folgende: Patient und Analytiker erzeugen ein
relationales und emotionales Feld (...), in dem sich
Widerstandsnester bilden, die nur aufgelöst werden können, indem
der Analytiker sie durcharbeitet. Sehr häufig aber reicht dies
nicht aus, denn da die Gegenübertragung des Analytikers unbewusst
ist, nimmt er einen Großteil seiner eigenen Beteiligung am
relationalen Feld gar nicht wahr. Falls der Patient, wie Bion
(1983) behauptet, tatsächlich »immer weiß, was im Innern des
Analytikers vorgeht«, dürfen wir vermuten, dass er auch die
Annäherungs- oder Distanzierungsbewegung des Analytikers
kommentiert und beschreibt. Die Schaffung der Figuren der Sitzung
stellt somit eine Weiterentwicklung der Gegenübertragung durch den
Patienten unseren »besten Mitarbeiter« (Bion) dar, der fortwährend
Signalisiert, was im Feld geschieht – allerdings von
Scheitelpunkten aus, die uns selbst völlig unbekannt sind.« (S.
239)
Wie ein Muster entwickelt Ferro in vielfältigen
Behandlungsbeispielen dieses fortlaufend sich differenzierende
Konzept, das er mit konzeptuellen Theorieanteilen anderer Autoren
vergleicht, von ihnen abgrenzt oder es erweitert.
Das Buch hat zwei Vorworte. In beiden wird Ferros beeindruckende
Authentizität in den Fallbeispielen hervorgehoben. Im Vorwort von
E. Bott Spillius (für die englische Übersetzung) erhält der nicht
mit der Terminologie Bions vertraute Leser, eine knappe Darstellung
der für dieses Buch wichtigen Grundgedanken. Ausgehend vom Konzept
der projektiven Identifikation von M. Klein bis zu den
Vorstellungen von Bion zeigt sie verschiedene Veränderungen dieses
Verständnisses Ferros auf, der die analytische Dyade in einer
besonderen Art als ein potentielles Feld wechselseitiger
Projektionen ansieht. Daneben setzt sie sich auch kritisch mit
Formulierungen und Ferros Vokabular auseinander, gibt wertvolle
Literaturhinweise, ohne jedoch die Achtung vor der lebendigen
klinischen Einfühlung und Vorstellungskraft des Autors dabei zu
schmälern.
Im ersten Kapitel erhalten wir dann vom Autor einen Überblick über
die Theorie der analytischen Beziehung von S. Freud über A. Freud
und andere bis M. Klein und weitere Entwicklungen der
Objektbeziehungstheorien bis zu W. und M. Baranger. Dadurch kann
die Leserin, der Leser den Weg der eigenen Theorieentwicklung des
Autors mit verfolgen. Dabei hat Ferro folgendes besonders im Blick:
Die Veränderungen, die das Funktionieren des Analytikers in seiner
Beziehung zum Patienten, sowie die Art und Weise, wie er deutet
oder nicht deutet, seine Fähigkeit seine eigene psychische und
deutende Organisation zu verändern und seine Bereitschaft, auch in
bestimmten Fällen auf Deutungen zu verzichten. Im Mittelpunkt steht
dabei die analytische Situation die von W. und M. Baranger als
»bipolares Feld« charakterisiert wird. »Die Struktur dieses Feldes
wird durch das psychische Leben zweier Personen und durch
wechselseitige projektive Identifizierungen bestimmt, die zwischen
Analytiker und Patient ausgetauscht werden.« (S. 47) Bei Ferro
imponiert neben den klaren Orientierungen und Bewegungen in den
oben bezeichneten Denkmodellen vor allem sein Bemühen, diesen
Konzepten und den eigenen nicht die Offenheit zu nehmen, die eine
Weiterentwicklung ermöglichen kann. In den folgenden Kapiteln
ordnet er seine vielfältigen Fallbeispiele um wichtige
kinderanalytische Bereiche wie: Umgang mit Zeichnungen, mit dem
kindlichen Spiel und Träumen. Auch hier stellt er die Phantasien
über die Beziehung von Patient und Analytiker als zentrale Frage in
den Mittelpunkt des Geschehens.
»Jede deutende Herangehensweise an Zeichnungen hängt also von der
Perspektive und vom Kontext ab. Meiner Ansicht nach kann die
Zeichnung in der analytischen Beziehung (und ich werde Zeichnungen
ausschließlich unter diesem Blickwinkel betrachten) als eine Art
»traumähnlicher Schnappschuss« des Wachzustandes verstanden werden,
der eine relationale, affektive Wahrheit des Paares und des Feldes
von einem unbekannten Standort aus im Foto festhält.« (S. 56)
Er sieht die Zeichnung als eine Möglichkeit an, sie als Geschichte,
als eine Quelle von Erzählungen, als einen »Prätext« zu verstehen,
auf den der Analytiker mit Reverie und Narration reagieren sollte.
Hier ist eins der Beispiele: Die 10-jährige Fancesca hat ein
merkwürdiges Symptom, sie verbringt täglich mehrere Stunden damit,
verzweifelt zu schreien. Bei der ersten Begegnung mit dem
Analytiker malt sie ein Bild. Er ist unsicher, welche Bedeutung
dieses Bild des Waldes hat, »in dem es keine Menschen gibt« (wie
die Patientin sagt), der aber von Bäumen, Wölfen, Schlangen,
Fischen usw. bevölkert ist. Der Analytiker fühlt sich zunehmend
unbehaglich. Die Patientin malt ein zweites Bild: ein Mädchen mit
Spitzenkragen im Profil. Der Analytiker möchte etwas sagen, fühlt
sich aber gelähmt. Da legt Francesca das Bild neben das erste. An
diesem Punkt hat der Analytiker einen Einfall und er fragt die
Patientin: Aber was macht ein kleines Mädchen ganz allein in einem
Wald ohne Menschen?« »SIE SCHREIT« (vgl. S. 61-63), antwortet sie.
Diese gekürzte klinische Sequenz illustriert, wie er den Dialog
zunächst aktiv gestaltet, um einzelne Teile zu verbinden, und als
eine Art von Fenster in die innere Welt des Kindes nutzt. Es folgen
andere Beispiele, in denen Ferro die Aspekte der dynamischen
Beziehung zwischen den affektiven und kognitiven Erfahrungen, die
das analytische Feld charakterisieren, nachzeichnet.
Auch das Spiel des Kindes sieht Ferro als ein Teil des emotionalen
Feldes, in dem sich Patient und Analytiker bewegen.
»Das Spiel ist nichts anderes als eine – wenn auch in spezifischer
Sprache gefasste Narration der im Zimmer lebendigen Emotionen, und
es benutzt Figuren, die anthropomorph sein können, aber nicht sein
müssen: Abwechselnd können Tiere, Spielzeugautos und Bausteine als
»Figuren in der Sitzung« dienen. Das Kind teilt uns auf diese Weise
fortwährend mit, wie es unsere emotionale Gegenwart und unsere
mündlichen Äußerungen erlebt und wie wir die Emotionen seinem
Erleben nach determinieren.« (5. 110)
Neben diesen immer wiederkehrenden und sich erweiternden
Schwerpunkten betonte Ferro aber auch, dass es wichtig ist im
Spiel, wie auch auf anderen Darstellungen, den Kontakt zu
verschiedene Deutungsebenen aufrecht zu erhalten. Z. B. zur
historischen Deutungsebene, die darauf drängt, durch das Spiel in
eine weniger angsterregendes Erleben umgewandelt zu werden. Eine
weitere Ebene ist diejenige, die er als intrapsychische bezeichnet,
die zeigt, welchen Phantasien sich das Kind gerade hingibt, z. B.
mit welcher inneren Mutter es gerade beschäftigt ist. Erst die oben
beschriebene Ebene, die das Hauptthema des Buches ist, wird von ihm
als die »ungesättigte (weil noch unerschlossen, U.E.) relationale
Ebene« bezeichnet.
Auch Träume können nach Ferro auf diese unterschiedliche Weise
gedeutet werden: In bezug auf Kindheitserfahrungen, auf unbewusste
Phantasien, auf die Beziehung zu den inneren Objekten oder als
»affektive Hologramme« der Beziehung von Patient und Therapeut. Es
werden mehrere Träume betrachtet, um mögliche Lesarten aufzuzeigen
und um die Auslegungen des Autors zu erläutern. Daran schießen sich
Gedanken über die Bedeutung und den Nutzung von
Gegenübertragungsträumen an.
Für Ferro bleibt dann auch im 5. Kapitel der Dialog über die
unbewussten Phantasien des »Paares« (gemeint ist Patient und
Analytiker) über die Beziehung das besondere Thema, das sich in
Variationen als »Figuren und Narrationen« darstellt. Für Ferro
bleibt, so sagt bereits Bott Spillius im Vorwort, das bipolare Feld
der rote Ariadnefaden, der ihn leitet und ihm hilft, sich in der
Fülle des Materials nicht zu verlieren. Figuren, Geschichten und
Anekdoten, über die der Patient spricht, gehören, nach Ferro zu
dieser Kommunikationsebene und konstituieren ein »genuines
Hologramm des tiefen mentalen Funktionierens des Paares«. Unter
»Figuren« versteht Ferro Menschen, Tiere und Dinge, die in den
Assoziationen auftauchen, mit ihren je spezifischen Charakteristika
oder auch Figuren mit allgemeinen oder sozialen (mythologischen,
historischen u.a.) Charakter (vgl. S. 184-188). Sie repräsentieren
unbewusste Phantasien und tauchen in unterschiedlichen
Verkleidungen auf. Aber es kann sich auch um innere Objekte des
Patienten handeln, die auf den Analytiker projiziert werden.
Ferro entwickelt seine eigene Sprache, die nicht immer leicht zu
verstehen ist. Gelegentlich empfinde ich sie wie Sprachakrobatik
auf hohem Niveau, dem nicht leicht zu folgen ist.
Die Unterscheidung zwischen einer Übertragung und Gegenübertragung
von der Beziehung im eigentlichen Sinne ist für mich nicht immer
ganz nachvollziehbar. Aber immer wieder faszinieren mich die
Lebendigkeit seiner Fallgeschichten und seine Bereitschaft zur
sensiblen Einfühlung in die Phantasie- und Erlebenswelt des
Patienten einschließlich der differenzierten Wahrnehmung der
eigenen Empfindungswelt im Beziehungskontext. So schildert er z.
B., wenn ein Kind die elektrische Heizung spielerisch ein- oder
ausschaltet, kann diese Regulierung der Wärme etwas mit dem
Bedürfnis nach Wärme in der Beziehung bedeuten.
Das Kind möchte kommunizieren und signalisiert, dass es keine
Reaktion erhält. Die zugrundeliegenden Gefühle lassen eine
elektrische Spannung entstehen, so dass ein Abwehrmechanismus
aktiviert wird. Die Abwehr des Therapeuten besteht darin, »den
Stecker heraus zu ziehen«; das Kind kann sich dadurch unter seinem
intrapsychischen Blickwinkel veranlasst fühlen, das gleiche zu tun,
sich zu »absentieren« und auf die elektrischen Empfindungen, mit
denen es konfrontiert ist, nicht zu reagieren. (S. 112)
Ferros kritische und selbstkritische Betrachtungen über die
Funktion des Analytikers und seine Überlegung zur Deutung oder
Nicht-Deutung schließen sich hier an. Er plädiert an verschiedenen
Stellen dafür, dass das Erkennen der Beziehungsphantasien des
Patienten über das Verhalten des Analytikers, also die Darstellung
der Beziehung, so wie der Patient sie jeweils wahrnimmt, nur
begrenzt gedeutet werden sollte, um die weitere Erzählung nicht zu
blockieren. So sagt er bei einem Beispiel z. B. bildhaft: »Es wäre
nutzlos, die Bedeutung der Worte explizit zu artikulieren, denn man
kann sie noch nicht »anfassen.« Man muss sich ihnen zunächst mit
»Topflappen nähern, das heißt mit umsichtiger Zurückhaltung«. Er
plädiert, wenn es sich um die vom Patienten unbewusst dargestellte
Interpretation der Beziehung zwischen beiden geht, für »einen
Verzicht auf das »Bewusstmachen unbewusster Phantasien« zugunsten
einer Haltung, die »die Aufnahme, das Containen und die Verdauung
emotionaler Erfahrungen erleichtert« (S. 194). Darin sieht er einen
Gegensatz seiner Haltung zu der von Langs und Rosenfeld, die ein
ausdrückliches Deuten der Beziehung anwenden.
Im 6. Kapitel »Das Kind und die Familiengruppe« beschreibt er recht
komprimiert das familiäre Feld und bleibt dabei ziemlich allgemein.
Ich empfinde diesen Teil als den eher schwächsten Teil des
Buches.
Im 7. Kapitel werden noch einmal seine Theorieentwicklung und die
Zusammenhänge mit denen anderer Autoren reflektiert. Hier verweist
er auf die Aufgaben des Analytikers, wie sie sich aufgrund der
prozesshaften Beziehung entwickeln und wie es möglich werden kann,
was in den Tiefen des relationalen Austausches geschieht, zu
artikulieren und zu erzählen.
Die Deutung ist kein Instrument, das die Identifizierung
festgeschriebener Bedeutung ermöglicht. (...) Sie bietet vielmehr
eine Bedeutung an, die niemals erschöpfend ist, sondern ständig
neue Gestalt annimmt: Sie ist »ungesättigt«, wie Bion es einmal
formuliert hat. (S. 240)
Das Buch schließt in den beiden letzten kurzen Kapiteln mit einem
Blick auf Gefahren und Erfordernisse, wie sie entstehen können,
wenn sich der Analytiker tief in die Beziehung zum Patienten hinein
begibt.
Mir erscheint dieses Buch über »das bipolare Feld« als ein großer
Gewinn in der Diskussion um die Arten der Beziehungsentwicklung
zwischen Patienten und Analytiker und dem psychoanalytischen Umgang
damit. Es weitet Blickrichtungen in diesem so empfindsamen und
leicht irritierbaren Bereich der Psychoanalyse. Da Antonio Ferro
nie die Ebene der Einbeziehung der eigenen Subjektivität verlässt,
wirken seine Aussagen und Beispiele überzeugend authentisch.
Etwas schwierig ist dabei die psychotechnische Sprache des Autors,
dem ich an manchen Stellen nur unwillig gefolgt bin. So will es mir
nicht einleuchten, dass es gut ist, von der Begegnung der
»psychischen Apparate« des Analytikers und des Patienten zu
sprechen, auch wenn der Begriff des »psychischen Apparates« von S.
Freud geprägt und in der Psychoanalyse üblich ist. Hier ergibt
sich, für mein Gefühl, wie so oft bei komplizierten Vorgängen, die
auf der Metaebene reflektiert werden, eine Diskrepanz zwischen der
mechanistisch wirkenden Metasprache der Theorie und der so überaus
lebendigen und bildhaften Sprache der Fallgeschichten.