Rezension zu Sexueller Missbrauch in der Psychotherapie

Psychologie Heute, 44. Jahrgang, Heft 11, November 2017

Rezension von Tilmann Moser

Missbrauchende Psychotherapeuten

Die Folgen eines sexuellen Missbrauchs in der Psychotherapie sind für die meist weiblichen Patienten schrecklich: maßlose Enttäuschung des Vertrauens, ein zu lange hinausgezögertes Ende mit Schrecken, Probleme in der Ehe. Das Buch von Marga Löwer-Hirsch umfasst dreizehn erschütternde Fallberichte voller Naivität und Vertrauensseligkeit der Patientinnen mit traumatischen Vorgeschichten, frühem Missbrauch in der Familie, fehlender Zuwendung, Idealisierungsbereitschaft sowie einer frühen Parentifizierung mit Bereitschaft zur Rollenumkehr in der Behandlung. In den Therapien verleugnen diese Patientinnen häufig die »bedrohliche Realität«, genießen die »besondere Rolle« für den Therapeuten, sind autoritätshörig und zeichnen sich aus durch einen Verlust des kritischen Bewusstseins. Hervorzuheben ist das einzige offene und bedauernde Geständnis eines Analytikers an die interviewende Analytikerin. In der Folge wird er von der Patientin angezeigt, verliert nach einem Gerichtsverfahren seine Berufszulassung und muss ein hohes Schmerzensgeld zahlen. Spannend zu lesen ist dieser Einblick in die eigene zerbrechliche und anfällige Seelenlage eines Täters.

Das Buch, hochinformativ und leicht zu lesen, ist eine mutige Großtat, das den Frauen, aber auch den Therapeuten zu erkennen hilft, wie ein korrektes Setting und eine gewissenhafte Therapie unter Beachtung der Abstinenzregeln aussehen müssen. Eine kollegiale Vision: Marga Löwer-Hirschs Werk gehört ausgelegt in allen Ausbildungsinstituten, von den Lehrtherapeuten verabreicht an alle ihre Supervisanden, wenn sich in den Ausbildungsanalysen atmosphärisch etwas abzeichnet, was bedrohlich werden könnte. Auch in Praxiswartezimmern wäre es nicht fehl am Platz, nicht zum Erzeugen von Misstrauen, sondern zur Vorwarnung.

zurück zum Titel