Rezension zu »Wir haben Geschichte geschrieben«

JahrBuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung 2015/III

Rezension von Ursula Schröter

Eine solche Publikation über die Geschichte der DGB-Frauenarbeit hätte es längst geben müssen. Und den verantwortlichen Frauen im DGB fehlte es auch nicht am geschichtlichen Verantwortungsbewusstsein. Bereits 1980 war eine Studie zur Geschichte im Gespräch und vorgesehen. Was fehlte, war immer wieder das Geld, um sie in diesem Umfang in Auftrag geben zu können. Nun aber liegt eine Analyse und Interpretation historischer Dokumente und aktueller Interview-Passagen vor, mit der »die Wissenslücke um die Geschichte der DGB-Frauenarbeit in der BRD während des Zeitraums von 1945 bis 1989/90 geschlossen werden« (S.17) kann.

Außer Vorwort, Einleitung und Anhang besteht die Publikation aus neun Kapiteln, wobei das letzte Kapitel die Funktion einer Zusammenfassung hat. In den acht vorausgehenden Abschnitten geht es um die Vorgeschichte, um die Gründungsphase des DGB, um die Mütter der Gewerkschaftsbewegung, auch speziell um die Ära der Maria Weber, um die 68er-Bewegung, um die stellvertretenden DGB-Vorsitzenden, um den Einfluss des Feminismus und schließlich um die Spezifik der letzten zehn Jahre der Bundesrepublik. Diese Strukturierung, zum Teil chronologisch, zum Teil sachgebietsbezogen, zum Teil personenbezogen, erscheint mitunter verwirrend, war aber beabsichtigt und der verwirrenden Realität geschuldet.

Sicherlich bestand die Aufgabe für die Autorin vor allem darin, die Leistungen der DGB-Frauen festzuhalten und zu würdigen, die Begrenztheit ihrer frauenpolitischen Erfolge plausibel zu machen und den gesamten historischen Prozess vor dem Vergessen zu bewahren. Diese Ziele wurden uneingeschränkt erreicht. Damit gehört die Publikation in die Reihe der wissenschaftlichen Veröffentlichungen zur Frauengeschichte, die erst seit wenigen Jahrzehnten die »übliche« Geschichtsschreibung begleiten, ergänzen, oft auch korrigieren.

Auch hinsichtlich der DGB-Geschichte stammt die Mehrzahl der bisherigen Veröffentlichungen von Männern, die vor allem das Männerleben und die Auswirkungen der Gewerkschaftspolitik auf Männer im Blick hatten. »Für mich besteht kein Zweifel: HISTORY ist eben seit Jahrtausenden und überall und immer noch: HIS- STORY, seine Geschichte. Und daran kranken wir wirklich.« So hieß es auch noch auf der zwölften DGB-Bundesfrauenkonferenz in Osnabrück im Juli 1989. (S.456)

Jetzt also der Blick (vorrangig) auf Frauen, auf die gewerkschaftlichen Strukturen, die sie sich im Laufe der betrachteten 45 Jahre geschaffen haben, auch auf die informellen Netzwerke, auf die Arbeitsschwerpunkte in bestimmten Zeiträumen und nicht zuletzt auf die Stärken und Schwächen konkreter Frauen, die in der gewerkschaftlichen Verantwortung standen. Erfreulich, dass die Autorin in ihrer Geschichtsbetrachtung nicht erst 1949 beginnt. Die existenziellen Nachkriegsnöte, die z. T. spontanen Aktionen der Frauen, der Einfluss der Besatzungsmächte, aber auch das gewerkschaftliche Suchen nach einem Neuanfang spielen eine angemessene Rolle. Wer wüsste sonst heute noch, dass in der ersten Fassung des DGB-Aufrufes für den 1. Mai 1947 von einer Verstaatlichung der Schlüsselindustrie die Rede war?

Ob es um die Reform des Bürgerlichen Gesetzbuches geht, um den Arbeitsschutz, speziell den Mutterschutz, oder um die optimale Arbeitszeit, um das bis heute nicht gelöste Problem der Lohngleichheit, um das Schlagwort von den Doppelverdienern, um die Rechte des Mannes in familiären Angelegenheiten, um den § 218, um eigenständigen Versicherungsschutz und nicht zuletzt um die Formalien, an die sich Frauen halten mussten – immer wird die gleiche zentrale Aussage deutlich: Der DGB war (und ist?) eine Männergewerkschaft. Die in ihm organisierten Frauen, ob nun gewerkschaftspolitisch aktiv oder nicht, stießen immer wieder an die Grenzen des »Arbeitnehmerpatriarchats« (Claudia Pinl 1977 bzw. 1982) und mussten sich jeden Schritt in Richtung Gleichstellung der Geschlechter mühsam erkämpfen. Mitunter mussten sie auf Konferenzen ihre Reformvorschläge von Männern vortragen lassen, damit die mehrheitlich männlichen Delegierten überhaupt zuhörten. Und das, obwohl Frauen aus Sicht der Männer immer »mitgemeint« waren.

Die Weiterführung dieses zentralen Gedankens, dass nämlich die gesamte Arbeiterbewegung eine männerzentrierte Bewegung war, dass folglich das in ihr entstandene Gesellschaftskonzept mit seinem einseitigen Arbeitsbegriff, auf das sich auch die sozialistischen Gesellschaften des 20. Jh. beriefen, einen Geburtsfehler hatte, kommt in der Publikation allerdings kaum zur Sprache. Sie zu problematisieren, gehörte wohl auch nicht zur Aufgabenstellung für die Autorin. Aus Sicht der (DDR-sozialisierten) Rezensentin ist das Manko dennoch bedauerlich, weil auf diese Weise die Verbundenheit zwischen gewerkschaftlich aktiven Frauen der alten BRD und (zumindest im Rückblick) patriarchatkritischen Frauen im Osten, die ebenfalls »immer ›mitgemeint‹ waren«, nicht sichtbar wird.

Der Autorin ist zu danken, dass sie dem widersprüchlichen Zusammenhang zwischen Feminismus und neuer Frauenbewegung einerseits und gewerkschaftlicher Frauenarbeit (Antifeminismus, S.224) andererseits viel Raum gibt. Zur Sprache kommen sowohl die gegenseitigen Vorbehalte als auch der Einfluss, den der Feminismus schließlich doch auf die gewerkschaftliche Frauenarbeit nahm. P. erwähnt in diesem Zusammenhang allerdings nicht die These vom Haupt- und Nebenwiderspruch (der Klassenkampf sei die Hauptsache), die sich ganz sicher in vielen und nicht nur männlichen Gewerkschafter-Köpfen eingenistet hatte, die übrigens auch oft die Personalpolitik prägte, weil sie zur Entscheidung zwischen Parteienpräferenz und Geschlechterpräferenz zwang. Die hierarchische Sicht auf gesellschaftliche Widersprüche war es wohl auch, die für viele DGB-Frauen die Gründung einer Frauengewerkschaft undenkbar machte, »auch wenn sie manches Mal kurz davor waren, an den eigenen Kollegen zu verzweifeln«. (S.22) Es bleibt nun anderen wissenschaftlichen Arbeiten überlassen, die hier festgehaltenen empirischen Fakten zu verarbeiten und in die Dialektik zwischen Klassenwidersprüchen und Geschlechterwidersprüchen einzuordnen.

Zu diesem Thema, dieser Dialektik gehört auch der Umgang des DGB mit dem Internationalen Frauentag. Für Ostdeutsche liest es sich wie eine Groteske, dass der DGB, also die Klassenorganisation, den bundesrepublikanischen Frauen verbieten wollte, den Frauentag zu begehen, weil Clara Zetkin Kommunistin war/wurde. Erst »als die Anfänge des Internationalen Frauentages [...] historisch freigelegt worden waren« (S.371), als die historische Forschung auf den Frauentag in Chicago am 23. Februar 1909 aufmerksam machte, den Clara Zetkin nur nach Europa holen wollte, erst dann ließ sich der Frauentag »in den Gewerkschaften sehr gut verkaufen«. (S.371) Erst dann passte er wieder in die Klassen- und Parteienlogik.

In den ersten 80er-Jahren allerdings, in denen sowohl die NATO als auch der Warschauer Pakt »nachrüsteten« und der Frieden ernsthaft bedroht schien, ließen sich die DGB-Frauen (wie auch viele DDR-Frauen) nicht auf das »Nebengleis« schieben. »Die Aufrechterhaltung des Friedens habe absoluten Vorrang vor allen ideologischen Gegensätzen zwischen Ost und West«, stellten sie auf der zehnten Bundesfrauenkonferenz in Essen im Mai 1981 fest. (S.398) Die DGB-Frauen nahmen in dieser Frage auch Konflikte mit dem DGB-Vorstand in Kauf.

Ihre Aktivitäten der letzten Jahre der alten Bundesrepublik mussten berücksichtigen, dass immer mehr Frauen berufstätig sein wollten (auch wenn sie erwerbstätig genannt wurden, was nur einen der vielen Aspekte weiblicher Berufstätigkeit meint). Umso bedauerlicher, dass mit dem Ende der DDR die Frauenarbeit innerhalb des DGB »an Fahrt verlor«. (S.474)

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