Rezension zu Martin Scorsese
ray Filmmagazin, Nr. 09, 2017
Rezension von Walter Gasperi
Martin Scorsese ist wahrlich kein Unbekannter, dennoch öffnet der
13. Band der Reihe »Im Dialog: Psychoanalyse und Filmtheorie« neue
Sichtweisen und Blicke. Nicht das umfangreiche Gesamtwerk des
75-jährigen Amerikaners wird vorgestellt, sondern nach drei
übergreifenden Artikeln der Fokus auf einzelne Filme und Aspekte
gelegt. Während Georg Seeßlen den biografischen Wurzeln, dem
Spannungsfeld von Kinofabrik und eigenen Visionen sowie der
ständigen Weiterentwicklung von Themen nachspürt, analysiert Marcus
Stiglegger auf der Basis von Rene Girards Opfertheorie
Opfersituationen in den Filmen Scorseses. Aufregend – und
keinesfalls unkritisch – untersucht Dietrich Stern dagegen die
Entwicklung und die Vielfalt der Soundtracks von »Mean Streets«,
der noch von eigenen jugendlichen Musikvorlieben bestimmt war, bis
hin zum düsteren »Shutter Island«.
Die anschließenden Einzelanalysen beschränken sich auf acht Filme.
Helmut Däuker beschäftigt sich, eingebettet in die persönlichen
Wurzeln von Scorsese, Drehbuchautor Schrader und Hauptdarsteller De
Niro, mit der Rolle der Gewalt in »Taxi Driver« und stellt
Parallelen zu Amokläufern oder auch IS-Terroristen her. Hannes
König zeigt, wie das Remake »Cape Fear« durch entscheidende
Veränderungen gegenüber dem Original von J. Lee Thompson (1962) zu
einer verstörenden Auseinandersetzung mit Gerechtigkeit, Freiheit
und Erlösung wird. Zwei Beiträge widmen sich jeweils »The Color of
Money, Shutter Island« und »Hugo Cabret«. Jochen Hörich untersucht
dabei in seinem Essay zu »The Color of Money« den phallischen
Charakter des Billardspiels ebenso wie die ödipale
Dreieckskonstruktion, die verschiedenen Süchte, die in dem Film
vorkommen, und das Spiel mit dem betrogenen Betrüger. Bei Ralf
Zwiebels und Martin Bölles Beiträgen zu »Shutter Island« liegt
dagegen jeweils der Fokus auf der radikalen Innenperspektive des an
einer paranoid-halluzinatorischen Psychose leidenden Protagonisten.
Gerhard Schneider arbeitet die Verlusterfahrungen der Protagonisten
von »Hugo Cabret« heraus, während Peter Bär in einem Bildbeitrag
durch Gegenüberstellung von historischen Aufnahmen und der
Inszenierung Scorseses sowie von Filmbildern eine Ahnung vom
Reichtum und der detailreichen Machart dieser Liebeserklärung an
den Filmpionier Georges Melies und das Kino im Allgemeinen
vermittelt.
Unter dem filmwissenschaftlichen Aspekt der Inszenierung der
Geschwindigkeit blickt Kai Naumann auf »Good Fellas« und zeigt auch
auf, wie Scorsese mit dem Genre des Gangsterfilms spielt.
Psychoanalytisch analysiert Katharina Leube-Sonnleitner »The Age of
Innocence« und arbeitet nach interpretierender Inhaltsangabe die
Melancholie des Protagonisten heraus.