Rezension zu Forum Bioenergetische Analyse 2014
Psychoanalyse & Körper, Nr. 31, 16. Jahrgang, Heft II, 2017
Rezension von Robert C. Ware
Das »Forum Bioenergetische Analyse« veröffentlicht Beiträge, die
dem kollegialen Erfahrungsaustausch dienen, das
bioenergetisch-analytische Wissen vertiefen, strittige theoretische
und praktische Aspekte der Arbeit diskutieren sowie Verbindungen zu
Nachbardisziplinen herstellen. Das Spektrum der Beiträge reicht in
dieser Ausgabe von Selbstfürsorge für Therapeutinnen, über
(Selbst-)Liebe in der Bioenergetischen Analyse, Selbsterfahrung in
der Bioenergetischen Übungsgruppe bis hin zur Wirkungsweise der
Berührung in der Körperpsychotherapie. Ein zentrales Thema ist die
Anwendung bioenergetischer Konzepte in der körperorientierten
Seelsorge in Klinik, Trauerarbeit und in der Beratung von
Studierenden (Angaben des Verlages).
Was kann die psychoanalytische (Körper-)Psychotherapie von der
Bioenergetischen Analyse lernen? Eine Menge, stellt dieser Leser
fest! Gegenüber der sogenannten »Wild-West-Bioenergetik« direktiver
Übungspraktik der Anfangsjahre hat – wie die Leitartiklerin, Vera
Heinrich-Clauer bemerkt – die heutige Bioenergetische Analyse in
den letzten 20 Jahren jede Menge an analytischem Feingespür
hinzugelernt. In den vorliegenden Aufsätzen findet sich eine
erfrischende Aufmerksamkeit und Sensibilität für die oft subtilen
Feinheiten averbaler körperlicher und emotionaler Kommunikation in
therapeutischen Beziehungen. Nicht selten gehen im
psychoanalytischen Geschacher um sprachliche Inhalte und Deutungen
entscheidende ›Körper-zu-Körper-Interaktionen‹ zwischen den
Therapiepartnern verloren. Über die bioenergetischen Essentials
hinaus – Erdung (›Grounding‹ als ureigenes Realitätsprinzip),
Atmung, Energiefluss, Ausdrucksfähigkeit des Körpers und der Stimme
– bringen diese Arbeiten zahlreiche konkrete Anregungen zum
nicht-direktiven, dennoch aktiv-handelnden Umgang mit Grenzen (die
eigenen wie die der Patientinnen) sowie mit der emotionalen
Haltekraft (Containment) in der Psychotherapie und in der
klinischen Seelsorge. Neben vier Artikeln von namhaften
Bioenergetischen Analytikern finden sich fünf Beiträge von
bioenergetisch-körperpsychotherapeutisch weitergebildeten
Pfarrerinnen zur ›körperorientierten Seelsorge‹ mit trauernden
Menschen, in der Studierendenseelsorge, in der Krankenhausseelsorge
und im spirituellen Heilen, last not least ein Grundsatzbeitrag der
Herausgeberin, Irmhild Liebau (Pfarrerin und Bioenergetikerin), zum
Thema »Liebe und Mitgefühl für Dich selbst«. ›Pars pro toto‹ seien
drei besondere Aufmerksamkeit verdienende Artikel
hervorgehoben.
In ihrem Aufsatz »Selbstfürsorge für Therapeuten. Zwischen Öffnung
und Abgrenzung« geht Vita Heinrich-Clauer davon aus, dass, völlig
unabhängig von aktiv eingesetzten körperlichen Interventionen, die
therapeutische Beziehung grundsätzlich eine verkörperte Beziehung
ist. Neben der Technik ist somit unser Therapeuten-Körper das
Hauptinstrument im therapeutischen Prozess. Empathie,
beispielsweise, ist ein emotional-körperliches Geschehen aufgrund
von Spiegelneuronen, die keiner willkürlichen Kontrolle
unterliegen. »Freundlicher Blickkontakt, stimmliche Abstimmung und
Berührung im Rahmen einer vertrauensvollen Beziehung bewirken
(neurobiologisch) eine Regulierung autonomer Erregung sowie eine
Regulation der Schmerztoleranz« (S. 11). Demnach gehört die Pflege
dieses Körper-»Instruments« zu unseren wichtigsten therapeutischen
Aufgaben. Mit unserem Psychotherapeuten-Körper in lebendigem
Kontakt zu sein, ist von größter Bedeutung für unsere Gesundheit
und für unseren Kontakt zur Realität. Nur so können wir im Kontakt
zu Patienten lebendig bleiben und freudig arbeiten. Ferner, bemerkt
Heinrich-Clauer fast provokativ, denkanstoßend: »Selten wird die
Wirksamkeit einer Therapiestunde daran gemessen, ob es hinterher
auch uns – den Therapeuten – gut ging (und ob gelacht werden
durfte)« (S. 10). Ihre Gedanken zur Selbstfürsorge des Therapeuten
werden im Aufsatz von Irmhild Liebau zum Imperativ der Selbstliebe
und des Selbstmitgefühls weitergeführt und mit Körper- und
Wahrnehmungsübungen angereichert.
Besonders lesenswert für Psychotherapeutinnen jedweder Schule finde
ich Konrad Oelmanns »Die Liebe in der Bioenergetischen Analyse«.
Oelmann ist Internationaler Trainer für Bioenergetische Analyse und
Psychoanalytiker. Im Steißlinger Kreis für leibfundierte
Psychoanalyse war er viele Jahre lang eine tragende Säule.
Therapeutische Liebe ist nach meiner Erfahrung ein sträflich
vernachlässigtes Tabuthema in psychotherapeutischen Ausbildungen,
Super- und Intervisionen und taucht nur selten in Literatur- und
Tagungsbeiträgen auf (vgl. Ware, 2007, 2008). Oelmann geht von
einer These aus, die mittlerweile von namhaften Psychoanalytikern
vertreten wird: »Jede therapeutische Beziehung ist eine
Liebesbeziehung und unterliegt damit Dynamiken, wie sie in
Liebesbeziehungen vorliegen« (S. 35). Allerdings schränkt er
zugleich ein: »dann lässt diese Benutzung des Begriffes Liebe eine
riesige Breite an möglichen Vorstellungen zu, die für unsere
berufliche Tätigkeit auch von erheblicher Gefahr für
Missverständnisse ist« (ebd.). Zur Brisanz des Themas gehört, dass
die professionelle Liebesbeziehung nach allen Regeln der Kunst in
Abstinenz stattzufinden hat. Somit folgerichtig muss der Therapeut
einen zuverlässigen Container für die Liebesgefühle sowohl seiner
Patientinnen wie auch und vor allem seiner eigenen besitzen. Anhand
von einschlägiger Literatur (H. Krutzenbichler, David Mann, S.
Leikert, Klaus Braun, I. Yalom u.a.m.) und von klinischen
Beispielen, »wie wir alle an die Grenzen unserer erotischen
Gegenübertragungs-Containmentkapazität kommen« (S. 36), diskutiert
Oelmann wesentliche Aspekte der »Arbeit mit dem Begehren« (S. 37)
im seelischen Veränderungsprozess – im Liebeskontakt bereits auf
der vorsprachlichen Ebene. Dort können gegenseitige
Beziehungsmuster, geprägt durch frühere Beziehungserlebnisse, die
Liebesfähigkeit beider beeinträchtigen, verzerren, entstellen oder
verhindern. Oelmanns »Fazit: Ein deutliches Gefühl für die eigenen
Grenzen zu bekommen und handlungsfähig zu bleiben bzw. zu werden,
gehört dringend zu den Ausbildungserfordernissen eines Therapeuten«
(S. 36). Aus der Dichte sehr vieler Anregungen in dieser Arbeit
seien stichwortartig folgende Sätze erwähnt: Beziehungsverhinderung
wird in der Gegenübertragung am eigenen Leib wahrgenommen.
Sexualisierung wird als Kontrolltendenz gegenüber dem gefährlichen
Erleben früher Ohnmachtszustände verstanden. In jedem von uns
wechseln sich Nähebedürfnisse und Distanzbedürfnisse permanent ab;
darüber muss reflektiert und geredet werden. Erotische
Liebesübertragungen (und Gegenübertragungen) können sowohl
Widerstand wie auch Entwicklungsschritte im Dienste der
Persönlichkeitsentfaltung darstellen.
Der bekannte Bioenergetiker der ersten Stunde, Ulrich Sollmann,
behandelt anhand einer klinischen Vignette ein verwandtes Thema:
»›Vorsicht Berührung‹ (ein stiller Verweis auf Moser, 2000). Wie
wirkt das, was da wirkt, in der Körperpsychotherapie?«. Der Umgang
mit Berührung ist häufig ein Stein des Anstoßes und Quelle von
Missverständnis, Misstrauen und projektiven Ängsten gegenüber der
Körperpsychotherapie vonseiten der Psychoanalyse. Sollmann
demonstriert anhand eines klinischen Beispiels, wie vorsichtig,
feinfühlig und selbstkritisch damit umgegangen werden will. Eine
Bemerkung zur wortlosen, einfühlenden körperlichen Resonanz in der
therapeutischen Beziehung kann als Ziel und Zusammenfassung aller
Beiträge dieses wertvollen Sammelbandes dienen – auch für
Psychotherapeuten und Psychoanalytiker, die (nur scheinbar) nicht
körperlich aktiv-handelnd ins Therapiegeschehen eingreifen. Denn,
wie oben festgestellt, jede therapeutische Beziehung ist eine
verkörperte Beziehung, in der implizite wie explizite
Körper-zu-Körper-Interaktionen fortwährend stattfinden und den
therapeutischen Prozess mitgestalten, regulieren oder
beeinträchtigen. Sollmann schreibt:
»Mit dem Körper des anderen sich zu befassen, körperlich, das heißt
pädagogisch oder therapeutisch Einfluss zu nehmen, fängt bei der
eigenen Körperlichkeit (des Therapeuten) an. Körperdiagnostik heißt
demnach, sich gerade auch mit dem eigenen Körper zu befassen, sich
mit den Geheimnissen des eigenen körperlichen Erlebens vertraut zu
machen. Denn der eigene Körper ist gewissermaßen die Brille, das
Mittel, das Medium, das mir eine sensible und personengerechte
Beobachtung, Einfühlung und Einschätzung erst ermöglicht. Eben eine
unschätzbare Resonanz, daher auch unverzichtbare Referenz« (S.
67).
Wer im Sinne einer relationalen Psychoanalyse nicht stur
methodengerecht, sondern konsequent personen-zentriert arbeitet,
kann von diesem Blick über die Grenzen der eigenen therapeutischen
Schule in die Erfahrungen einer Nachbardisziplin sehr profitieren.
(1)
Robert C. Ware
Literatur
Moser, T. (2000). Vorsicht Berührung. Über Sexualisierung,
Spaltung, NS-Erbe und Stasi-Angst. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
Ware, R. C. (2007). Eros und Sexualität im Spielraum der
körperpsychotherapeutischen Beziehung. In P. Geißler & G.
Heisterkamp (Hrsg.), Psychoanalyse der Lebensbewegungen. Zum
körperlichen Geschehen in der psychoanalytischen Therapie. Ein
Lehrbuch (S. 459-486). Wien/New York: Springer.
Ware, R.C. (2008). Therapeutische Liebe und Sexualangst in
Psychotherapien: Diskurstabu oder offener Umgang? Forum Psychother
Praxis, 8, 124–129.
(1) Sehr bedauerlich ist, dass Literaturangaben teilweise fehlen
oder sich widersprechen.