Rezension zu Laudato Si’ (PDF-E-Book)
Erwachsenenbildung – Vierteljahresschrift für Theorie und Praxis, 63. Jahrgang, Heft 3, 2017
Rezension von Johannes Schillo
Umweltenzyklika
»Der Kapitalismus sonnt sich nach dem Ende des Sowjetkommunismus
als Sieger in allen vergangenen und zukünftigen Ideologie-Streiten.
Und dann schreibt Papst Franziskus eine neue Enzyklika ...«, worauf
die Welt aufhorche und die Schönfärberei der herrschenden
Wirtschaftsweise einen Dämpfer erhalte! So Ernst-Ulrich von
Weizsäcker im Geleitwort zu dem Sammelband, den der Hochschullehrer
Wolfgang George als Reaktion der Wissenschaftlergemeinde auf
Laudato Si/' herausgegeben hat. Damit wird noch einmal die dem
Papst von verschiedenen Seiten zugeschriebene Rolle des
konsequentesten Kapitalismuskritikers der Gegenwart bekräftigt.
Dass dies eine Übertreibung ist, war schon in dem Franziskus-Buch
»Diese Wirtschaft tötet« von Franz Segbers und Simon Wiesgickl
erkennbar (vgl. die Rezension in EB 1/16). Zu einer theoretisch
begründeten Absage an den Kapitalismus, etwa zur Kritik der
politischen Ökonomie oder zum wissenschaftlichen Sozialismus,
bleibt Franziskus jedenfalls deutlich auf Distanz, und dem
letztjährigen Weltwirtschaftsforum in Davos ließ er folgendes Lob
der Marktwirtschaft zukommen: »Ich habe oft gesagt und wiederhole
es jetzt gerne, dass die Unternehmertätigkeit ›eine edle Berufung
darstellt und darauf ausgerichtet ist, Wohlstand zu erzeugen und
die Welt für alle zu verbessern‹, besonders ›wenn sie versteht,
dass die Schaffung von Arbeitsplätzen ein unausweichlicher Teil
ihres Dienstes am Gemeinwohl ist‹«(Laudato si/', S. 129).
Wenn es um die Umweltfrage, die gelaufene wie laufende
Naturzerstörung und die drohenden Katastrophen geht, bewegt sich
der Papst jedoch eindeutig im Bündnis mit kritischen Positionen und
speziell mit den Fortschritten der Naturforschung. Er bezieht sich
in seinem Rundschreiben auf die Analysen aus UN-Fachgremien, greift
unbequeme Erkenntnisse auf und spitzt sie in systemkritischer Weise
zu. Damit ist die Umweltenzyklika, wie Weizsäcker festhält, auch
eine »sehr freundliche Einladung zum Dialog gerade mit der
Wissenschaft und erkennt deren wahrheitssuchende Tugend an«. Rund
zwei Dutzend Autoren und Autorinnen, vornehmlich aus den
Naturwissenschaften, aber auch aus Pädagogik, Psychologie oder
Volkswirtschaft, haben das Dialogangebot angenommen und auf die
»Hiobsbotschaft« bzw. den »Kassandraruf« des Papstes geantwortet.
Dass ein solcher Diskussionszusammenhang entsteht, ist ein
erfreuliches Zeichen – dies gerade auch in Zeiten, in denen
maßgebliche wie unmaßgebliche Politiker, von Trump bis zur AfD,
daran arbeiten, die katastrophalen Umweltentwicklungen schönzureden
und die einschlägigen Probleme wieder zu verdrängen.
Entsprechend der in der Enzyklika versuchten Zusammenschau
ökologischer, technologischer und humaner Probleme legt die
Publikation von George Wert darauf, nicht einfach eine Reihe von
Statements zu versammeln, sondern »eine über Einzelmeinungen
hinausgehende systematischere Auseinandersetzung und damit
Bewertung und Einordnung der Enzyklika zu ermöglichen«. Nach den
sechs Kapiteln »Sprache«, »Umwelt und Klima«, »Technik,
Wissenschaft und Ökonomie«, »Gesellschaft und Konsum«, »Kultur,
Religion und Psychologie« sowie »Transfer« gegliedert nehmen die
Fachleute Stellung zu Franziskus/' »Anspruch, eine ›Weltdiagnose‹
zu stellen« (George). Dabei kommen neben Forschern und
Hochschullehrern auch Experten aus Fachorganisationen und NGOs zu
Wort, von Christoph Bals (Germanwatch e.V.) bis zu Yvonne Zwick
(Rat für nachhaltige Entwicklung). Der Grundtenor der Beiträge ist
– von einigen wenigen wachstumsfreundlichen Bemerkungen aus BWL und
VWL abgesehen – zustimmend. Der Versuch der Enzyklika, die
verschiedenen Gefährdungen des Ökosystems auf ein
»selbstdestruktives Paradigma« zurückzuführen, wird als fruchtbarer
Ansatz betrachtet.
Vielleicht hätte es dem Band gut getan, auch kritischere Stimmen
zur Enzyklika, wie etwa die des Theologen Christoph Fleischmann
(»Der grüne Papst und der Irrweg des käuflichen Glücks«, Blätter
für deutsche und internationale Politik, 1/16), zu berücksichtigen.
In solchen Statements wurde die päpstliche Verurteilung des
Anthropozentrimus mit einem Fragezeichen versehen, da sie zu sehr
auf die Sündhaftigkeit »des« Menschen und zu wenig auf die
eingerichteten soziökonomischen Verhältnisse abstelle. Festzuhalten
bleibt aber, dass mit dem Buch eine Diskussion in Gang gebracht und
gehalten worden ist, die die sozialethische Stellungnahme des
Papstes nicht einfach als fromme Mahnung zur Kenntnis nimmt,
sondern ernsthaft auf die wissenschaftliche Debatte und den Streit
um politische Konsequenzen bezieht.