Rezension zu Borderline-Kommunikation
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Rezension von Tilmann Moser
Alles über Borderline-Störungen
Johann Steinberger über deren Kommunikationsstil
Wie eine große Woge schwellen Forschung und Praxiskunde über diese
späte diagnostische Kategorie über uns herein, eine Bild, das die
klassische Psychoanalyse noch vor wenigen Jahrzehnten zur
Verzweiflung brachte: das Deuten und die Gelassenheit der
Analytiker versagten, Übertragung und Gegenübertragung gerieten
durcheinander, die Therapeuten fühlten sich von zu heftigen und zu
widersprüchlichen Gefühlen überschwemmt, und sie hatten den
Eindruck, dass zu viel in sie eindrang, dem sie manchmal nicht
gewachsen waren, oder das sie zu schwankenden und beide Partner
belastenden Reaktionen veranlasste.
In dieser »Woge« stellt Johann Steinbergers schmales Buch eine
Leuchte der Orientierung dar: seine riesige Literaturkenntnis, eine
erstaunliche Trennschärfe der Gedanken, eine immense
Forscherneugier und eine große therapeutische Erfahrung, auch als
Klinikchef mit einem wachen, diskussionsfreudigen Team, und
aufschlussreiche Fallbeispiele zeichnen den Text aus. Und eine
relativ neuartige Methode der Diagnostik, nämlich die
Konversationsanalyse: Texte aus Briefen, Behandlungsfragmenten und
Interviews werden analysiert wie Musikstücke, weil es nicht nur auf
den technisch aufgezeichneten Wortlaut ankommt, sondern auch auf
averbale Zeichen, Laute und Gesten, die den oft als Wortschwall
auftretenden Text unter- oder übermalen.
»Die meisten Autoren … gehen davon aus, dass Menschen mit einer
diagnostizierten Borderline-Störung der klassischen Analyse nur
sehr schwer zugänglich sind.« In das »chronische Gefühl der Leere«
und der untergründigen Dauerangst sind heftige Affekte eingebettet.
In der Kliniksituation schaffen es die Patienten oft, nicht selbst
zu fühlen und zu denken, sondern sie affizieren das Team und
verteilen die Ergebnisse ihrer starken emotionalen und
strukturellen Spaltungen in plötzlich sich bildende Fronten. »Der
Patient reduziert seinen innerpsychischen Leidensdruck, indem er
seine Konflikte von anderen leben lässt. ... Die ›gute Schwester‹
wird zur ›bösen Schwester‹. ... »Er muss die Beziehung zerstören,
um nicht in Abhängigkeit zu geraten.« Das innere nicht aushaltbare
Chaos verwirrt den Therapeuten und zersetzt die Orientierung auch
kompetenter Teams. Es macht die Diagnose in einem oder wenige
Einzelgesprächen fast unmöglich, weil sich die Mechanismen nur in
längerem Prozess erschließen. Und das Hineinhören und Hineinspüren
ergibt sich auch in der Sprachanalyse, wenn man die averbale
Melodie dazu vernehmen kann. Steinberger hatte zwei erfahrene
Experten zur Beurteilung seiner Texte, so erhält er gewichtige
Bestätigungen aus einer mehrfachen Gegenübertragung.
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