Rezension zu Laudato Si’ (PDF-E-Book)
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Rezension von Michael Blume
Lesen Sie hier Ausschnitte aus der Doppelrezension »Sinnfragen
zwischen Wissenschaft und Religion, zwischen Gehirn und Geist sowie
Antworten auf Papst Franziskus ›Laudato Si‹«:
...
Mit seiner Enzyklika »Laudato Si« zur Bewahrung der Schöpfung hat
Papst Franziskus einen solchen Versuch unternommen, der sich nicht
nur an Christen, sondern auch an Anders- und Nichtglaubende,
letztlich an »alle Menschen guten Willens« richten sollte. Und
tatsächlich stieß ich auf den Band »Laudato Si. Wissenschaftler
antworten auf die Enzyklika von Papst Franziskus« beim
Psychosozial-Verlag. Hier versammelte der Herausgeber Wolfgang
George nicht weniger als 25 Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler sowie einen Künstler, um sich mit dem Text des
Papstes breit und interdisziplinär auseinander zu setzen. Eine
Leseprobe des Bandes findet sich kostenfrei hier.
Von der Sprachwissenschaft über verschiedene Disziplinen der
Ökologie und Pädagogik bis hin zur Ökonomie ist es George dabei
gelungen, eine Breite an interdisziplinären Federn
zusammenzustellen, seriöse und bisweilen auch prominente Stimmen
ihrer Fächer. Schon die neutral-analysierende,
sprachwissenschaftliche Analyse von Wolfgang Beutin bietet viele
Aha-Erlebnisse. In den Kapiteln finden sich zahlreiche
Entdeckungen, viel Zustimmung, teilweise aber auch schneidende
Kritik an Aussagen des Papstes. Tatsächlich: Eine wertvolle,
interdisziplinäre Debatte entsteht, ausgelöst durch einen
religiösen Lehrtext! Beispielhaft hervorheben möchte ich auch den
Text des Molekularbiologen Andreas Beyer zu »Evolution und
Schöpfung«, mit dem ich mich in der interdisziplinären AG
Evolutionsbiologie engagiere.
Auf den Punkt bringt es der Naturwissenschaftler und ehemalige
SPD-Bundestagsabgeordnete Ernst Ulrich von Weizsäcker in seinem
Vorwort:
»Als Wissenschaftler fühlt man sich ertappt und beschämt. Man hat
dem Publikationszwang gehorcht, der ja die heutigen
Wissenschaftlerkarrieren dominiert.
Und die Zeitschriften, in denen jeder publizieren möchte, atmen ja
allermeist den Geist des närrischen Reduktionismus.
Die Enzyklika ist zugleich eine sehr freundliche Einladung zum
Dialog gerade mit der so aufgebauten Wissenschaft und erkennt deren
wahrheitssuchende Tugenden an.
(…)
Wohin kann der gemeinsame Weg führen? Der gegenseitige Respekt
zwischen einer die weltliche Verantwortung betonenden Religion und
einer auf Beweisbarkeit konzentrierten Wissenschaft kann zunehmen.
Die offensichtlichen Gefahren eines selbstsüchtigen Materialismus
können vorurteilsfrei zur Sprache gebracht werden. Die auf Toleranz
und Dialog setzenden Religionen können sich positiv absetzen von
denjenigen, die schon den Dialog und erst recht die Aufklärung als
Gotteslästerung bekämpfen, womöglich mit Waffen und Terror. In
einer humanen, aufgeklärten und toleranten Gesellschaft sollte dies
zu einer Gewichtsverschiebung zulasten letzterer Gruppierungen
führen.«
Kritik: Das Fehlen der Demografie
Doch so sehr mich also sowohl die Sinn-Ausgabe von Gehirn & Geist
wie auch der interdisziplinäre Band von Wolfgang George begeistert
und auch überzeugt haben, will ich doch einen Kritikpunkt nicht
verschweigen – beide nehmen die Demografie (noch) nicht in den
Blick. Dabei hängen auf der individuellen Ebene Sinn- und
Religionsfragen eng mit der Anthropodizee-Frage zusammen: Gibt es
überhaupt eine Rechtfertigung dafür, leidendes und
leidverursachendes Leben auf die Welt zu bringen? Die
unterschiedlichen Antworten darauf sind nicht nur individuell und
gesellschaftlich, sondern letztlich auch evolutions- und
neurobiologisch interessant.
Und ganz umgekehrt wäre an Papst Franziskus kritisch rückzufragen:
Welchen Sinn macht der Einsatz für mehr ökologisches Bewusstsein,
wenn gleichzeitig durch Verbote von Verhütungsmitteln Freiheiten
vor allem von Frauen eingeschränkt und regionale
Bevölkerungsexplosionen verschärft werden?
Sinnigerweise hätte ich dazu gerne Beiträge von Theologinnen wie
auch von empirisch arbeitenden Demografen gelesen. Oder, positiv
formuliert: Es wird derzeit viel entdeckt, aber es bleibt auch
weiterer Dialog- und Forschungsbedarf!
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