Rezension zu Laudato Si’

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Rezension von Michael Nentwich

Der Papst als Technikfolgenabschätzer?

Mitte 2015 veröffentlichte Papst Franziskus seine Enzyklika »Laudato Si«, in der er die Welt und insbesondere die Wissenschaft zum Dialog über die Zukunft der Menschheit herausfordert. Unter anderen hat der Organisationswissenschaftler Wolfgang George die Herausforderung angenommen und bat 23 WissenschaftlerInnen um Antworten auf die Enzyklika. Dieser Sammelband erschien nun Mitte 2017 und ist auch für uns TechnikfolgenabschätzerInnen durchaus lesenswert.

Die Enzyklika wurde unter dem Titel »Öko-« bzw. »Klima-Enzyklika« bekannt, geht aber in der Tat weit über das Umweltthema hinaus, verknüpft sie dieses doch mit der sozialen Frage und wirtschaftlichen Themen, nähert sich der Zukunft der Menschheit also aus der Perspektive der Nachhaltigkeit. Ohne Zweifel ist das ein religiöser Text, der sich über weite Strecken auch so liest. Aber er enthält eine für Laien geschriebene sehr kritische Zusammenfassung praktisch aller aktuellen Weltprobleme, vom Klimawandel und dem Verlust biologischer Arten über die Verschmutzung der Ozeane und den Wassermangel bis zu Arbeitslosigkeit und weltweiten sozialen Ungerechtigkeiten. In seiner Analyse outet sich der Papst als vehementer Kritiker der Verhältnisse und findet die Schuldigen in Politik und Wirtschaft. Sein Lösungsansatz kombiniert Appelle an die mächtigen Akteure mit einem Bottom-Up-Ansatz, der auch jede und jeden Einzelnen in die Pflicht nimmt. Der Papst ist gleichwohl von Berufs wegen Optimist. Diese Enzyklika richtet sich nicht nur an die engere Gemeinschaft der katholischen Gläubigen, auch wenn ein solcher Text wohl hauptsächlich über geistliche Akteure verbreitet werden wird, sondern im Prinzip an die ganze Welt, egal welcher Religion, und insbesondere auch an die Wissenschaft. Letztere möge die in der Enzyklika zusammengestellten Befunde weiter wissenschaftlich untermauern, in einem interdisziplinären Diskurs erörtern und für die Menschheit handlungsleitend fruchtbar machen.

Aus Sicht der Technikfolgenabschätzung spannend an der Enzyklika ist, dass sie vielfach Bezüge zur Technik und zu Technikfolgen aufweist. Der Wortstamm »technik« kommt 22 Mal vor, »techno« gar 56 Mal; der Papst verwendet sogar das Wort »Technoscience«, erörtert etwa die Allgegenwärtigkeit der Digitalisierung und die zunehmende Roboterisierung, widmet sich den Folgen der Gentechnik, spricht von Umweltverträglichkeit, Alternativen und Grenzen des Wachstums. Für den Papst ist das dominante technologische Paradigma die Hauptursache für die soziale und die Umweltkrise; er hält Technologie nicht für wertneutral (weil insbesondere von Profitinteressen beeinflusst) und warnt daher vor einem blinden Vertrauen in die technische Lösungen. Er plädiert für Interdisziplinarität, Humanökologie und Nachhaltigkeit. Der Papst (mit seinem Redaktionsteam) – ein Technikfolgenabschätzer?

Schauen wir zunächst in den George’schen Sammelband, der der Aufforderung nach Dialog mit den unterschiedlichsten Disziplinen nachkommt: Der Herausgeber hat neben drei TheologInnen auch NaturwissenschaftlerInnen der Sparten Ozeanographie, Physik, Biologie und Meteorologie sowie gleich mehrere Bildungs-/Erziehungswissenschaftler und Pädagogen, weiterhin Sprachwissenschaftler, Philosophen, PsychologInnen, eine Ethnologin, mehrere Ökonomen (BWL und VWL) sowie eine Gärtnerin gewinnen können. Und einen Technikfolgenabschätzer: Armin Grunwald steuert eine überarbeitete Fassung seines bereits 2012 ausführlich begründeten Plädoyers für staatliche Regulierung und nicht bloße Verbraucherverantwortung auf dem Weg zu Nachhaltigkeit bei und sieht sich mit Franziskus einer Meinung. Besonders interessant erscheinen mir aus TA-Sicht auch die Beiträge der (insgesamt vier) Ökonomen, die sich teils kritisch mit der Enzyklika auseinandersetzen. So lässt der Betriebswirtschaftler Manfred Becker aus (neo)liberaler Perspektive kaum ein gutes Haar an der päpstlichen Fundamentalkritik an den herrschenden Markt- und Kapitalismusverhältnissen, inklusive TTIP und Co. Dass der Papst normativ und präskriptiv argumentiert, stört hingegen etwa Johannes Schmidt gar nicht, denn er sieht im päpstlichen Schreiben eine gelungene Analyse des gegenwärtigen Zustands der Welt und nimmt die mit dem Ziel der umfassenden nachhaltigen Entwicklung direkt verbundenen Verteilungsfragen ernst.

Auch wenn die Beiträge des Sammelbands, insbesondere auch die naturwissenschaftlichen, inhaltlich über weite Strecken zustimmen, sind sie sich doch erwartungsgemäß einig, dass die Enzyklika nicht als wissenschaftlicher Text sondern primär als moralischer Appell zu lesen ist. Der Papst tritt sozusagen als öffentlicher Intellektueller auf, der fundierte Gedankenanstöße in der Hoffnung gibt, dass diese aufgrund seiner eigenen Bekanntheit und Autorität Gehör finden mögen. Der Papst ist hier somit in der Rolle eines Stakeholders oder, besser, eines Anwalts für die Zukunft. So versteht sich die Technikfolgenabschätzung für gewöhnlich auch, wenngleich ihre Methoden andere sind. Aber es ist wohl kein Zufall, dass der Technikfolgenabschätzer unter den die Enzyklika kommentierenden AutorInnen viel Übereinstimmung sieht. Auch die systemisch denkenden HumanökologInnen werden sich wiederfinden.

Es kann hier nicht beurteilt werden, welche Rolle die Enzyklika und die durch sie angestoßenen Debatten spielen werden. Deren Lektüre ist zweifellos ein Minderheitenprogramm, selbst unter den 1,2 Milliarden KatholikInnen, aber es ist beruhigend den Papst auf der Seite der Technikfolgenabschätzung zu wissen.

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