Rezension zu Humanistische Psychotherapie (PDF-E-Book)

EXISTENZANALYSE, 34. Jahrgang, Heft 1, 2017

Rezension von Alfried Längle

Die humanistische Psychotherapie ist in den letzten Jahren aus berufspolitischen Gründen vor allem in Deutschland enger zusammengerückt, was zu Impulsen untereinander Anlass gab und gibt. Einer ist das einander besser Kennenlernen. Gerade das geschieht in dem Buch von Eberwein und Thielen, das die gemeinsame Anstrengung für die wissenschaftliche Anerkennung in Deutschland unterstützt. Die humanistische Psychotherapie wird hier in ihrer Vielfalt und Gemeinsamkeit überblicksartig vorgestellt (Eberwein tat Ähnliches schon 2009 mit einer allgemeinen Beschreibung der Inhalte und Vorgangsweisen im Thieme-Verlag).

Nach den Vorworten von Dirk Revenstorf und den Herausgebern geht es im ersten Abschnitt um allgemeine Grundlagen, die Jürgen Kriz anhand der Antragsstellung an den Wissenschaftlichen Beirat beschreibt, verbunden mit verfahrenstechnischen Einblicken. Der Antrag stellt eine Verdichtung dieser Hauptströmung der Psychotherapie dar und ist daher eine präzise Einführung in die humanistische Psychotherapie. Es wird deutlich, wie sehr der Humanismus diese Schulen in vielgestaltiger Weise durchzieht, aber auch wie schwierig dieser Weg der Antragsstellung ist – und wie meisterlich Kriz beides zu meistern weiß.

Werner Eberwein geht auf das Menschenbild und die gemeinsamen theoretischen und praktischen Grundlagen der Humanistischen Therapie ein. Er hebt die Wurzeln in der Philosophie, im Menschenbild und im Verständnis der Störungen heraus; dann geht er auf die Bedeutung des dialogischen Prinzips, der Beziehung, der Ressourcenorientierung (Wachstum), des Erlebens, der Leiblichkeit usw. ein. Ein anregendes Kapitel, um die eigene Richtung zu durchleuchten.

Der zweite Teil ist der Hauptteil des Buches, in dem es um die Darstellung von sechs Methoden geht: 1. Gesprächspsychotherapie (Mark Helle), 2. Gestalttherapie (Lotte Hartmann-Kottek, Albrecht Boeckh), 3. Körperpsychotherapie (Manfred Thielen), 4. Existenzanalyse (Alfried Längle, Christoph Kolbe) und Logotherapie (Otto Zsok), 5. Psychodrama (Christoph Hutter, Michael Schacht) und 6. Transaktionsanalyse (Heinrich und Uwe Hagehülsmann, Karl-Heinz Schuldt). Die Beiträge beschreiben jeweils die übergreifenden theoretischen Prinzipien, das praktische Vorgehen anhand von Falldarstellungen, die Vielfalt von Weiterentwicklungen und die Anknüpfungspunkte zu den benachbarten Methoden. Trotz der anfänglichen Betonung von Gemeinsamkeiten ist natürlich eine unterschiedliche Begrifflichkeit und eine nicht immer zur Deckung bringende Konzeptualisierung der einzelnen Methoden erkennbar. Das hat zwar auch historische Gründe, aber ist wohl vielmehr der großen Vielfalt möglicher Zugänge zum Menschen in seiner Ganzheit (was ja das Anliegen der humanistischen Verfahren ist) zuzuschreiben und im Grunde als Wert anzusehen. Die humanistischen Verfahren sollen sich den Mut zur Vielfalt und Unterschiedlichkeit – wie wir es bei Menschen grundsätzlich kennen – nicht streitig machen lassen. Die Diversität entspricht dem Menschen, die Einheitlichkeit der abstrakten Systematisierung und dem Reduktionismus.

Im dritten Teil wird der Frage der Wirksamkeit nachgegangen. Wie kann der Effekt der Arbeit an subjektiv Bedeutsamem auch objektiv-empirisch nachgewiesen werden? Jörg Bergmann und Robert Elliot stellen sich diesem Thema und referieren als Ergebnis von Metaanalysen, dass die humanistischen Verfahren Kontrollgruppen in ihrer Wirksamkeit klar überlegen sind. Im Vergleich mit einer Reihe anderer Therapien ist die humanistische Therapie ebenbürtig, was in vielen Untersuchen belegt und im Grunde altbekannt ist. Die Autoren wünschen sich eine Veränderung der Bewertungspraxis der Psychotherapie und eine vermehrte Forschung über die Wirksamkeit in den humanistischen Verfahren. – In diesem Kapitel ist besonders die einfache Beschreibung der Untersuchungen und der theoretischen Hintergründe hervorzuheben, die auch für statistisch nicht Bewanderte gut nachvollziehbar ist.

Der Bereich der Wirksamkeitsforschung und ihre Praxis wird dann von Jürgen Kriz kritisch unter die Lupe genommen. Er konstatiert in ihr »kaum mehr hinterfragbare Glaubenssysteme« und bemängelt, dass es in den Untersuchungen mehr um die statistische Signifikanzen als um die praktische Relevanz gehe. Neben zahlreichen guten Erklärungen zu Elementen der Wirksamkeitsforschung durchleuchtet er auch die RCT-Studien, die Brauchbarkeit und Unsinnigkeit dieses »golden Standards« der Psychotherapieforschung.

Der vierte Teil ist »integrativen Ansätzen« in der Humanistische Psychologie gewidmet: der Personzentrierten Systemtherapie (PZS) von Jürgen Kriz, der Integrativen Therapie als methodenintegrative Humantherapie (Hilarion Petzold) und der Klinischen Theorie und Praxeologie der Integrativen Therapie (Ilse Orth, Johanna Sieper, Hilarion Petzold).

Jürgen Kriz geht es mit der PZS nicht um eine eigene Methode, sondern um verfahrensübergreifende Prozessaspekte, um eine theoretische Matrix, in der das humanistische und systemische Denken zusammengeführt werden. Die PZS betrachtet psychotherapeutische Entwicklungsprozesse. Sie reflektiert, wie in ihnen Körper, Psyche und interpersonelle Prozesse zusammenwirken.

Dabei spielt das »dialogische Prinzip« eine große Rolle, das dann auch ausführlicher beschrieben wird im Zusammenspiel von Erleben, Begegnung und Symbolisierung.

Hilarion Petzold stellt sein Modell dar, wie gewohnt in äußerst belesener, hochgradig in Literatur verwobener komplexer Darstellungsweise. Das folgende Kapitel bringt viele Apelle (»Nutze jede Gelegenheit als Chance! – Vertraue Deinem Gehirn!«) und wirkt dann doch eher als Training denn als Therapie.

Das Buch ist eine anerkennungswürdige Leistung, die Richtungen in der humanistischen Psychotherapie noch weiter zusammenzubringen. Es gibt den Lesern tatsächlich in überschaubarer Form eine Übersicht über die Vielfalt der Methoden und die verbindende Einheit humanistischer Grundsätze. Die Vielfalt spiegelt sich auch in der unterschiedlichen Lesbarkeit der Artikel, was nicht anders zu erwarten ist bei dieser Zahl von Autoren. Auffallend ist, dass in allen Beiträgen eine Verbundenheit zum humanistischen Ansatz spürbar ist, ein Geist, der die Richtungen vereint und an dem weiterzuarbeiten ist. Dafür dient dieses Buch als eine willkommene, aktuelle und notwendige Grundlage, die viel eröffnet und zu Neuem, Gemeinsamem anregt. Ein Grundlagenbuch zur psychotherapeutischen Bildung, ein Nachschlagbuch, ein Anregungsbuch, ein Lernbuch – es kann wärmstens empfohlen werden.


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