Rezension zu Inter* und Trans*identitäten
Dr. med. Mabuse, Zeitschrift für alle Gesundheitsberufe. Nr. 228, Juli/August 2017, 42. Jahrgang
Rezension von Marion Hulverscheidt
Sich mit Inter* und Trans*sexualitäten zu beschäftigen und diese
als Identitäten zu bezeichnen, kann in heutigen Zeiten als gewagt
und provozierend betrachtet werden. Doch nicht nur um Agitatoren
vom rechten Rand, die Identität durch Heimat und Nationalität
begründen, eine Alternative zu bieten, lohnt sich die Lektüre
dieses Sammelbandes. Im Rahmen einer Klausurwoche in Halle/Saale
haben sich 2014 Wissenschaftler*innen und
Interessensvertreterrinnen zu den aktuellen Entwicklungen um Trans-
und Intersexualität zusammengefunden und gemeinsam diskutiert. Als
Ausgangspunkte dienten aktuelle Entwicklungen und Veränderungen:
die Stellungnahme des nationalen Ethikrates von 2012 zu
Intersexualität, die Veränderungen im Personenstandsgesetz, die im
November 2013 wirksam wurden, und die S3-Leitlinie
»Geschlechtsdysphorie: Diagnostik, Beratung und Behandlung«, die
bis Dezember 2017 erstellt werden soll. Es ist nicht
selbstverständlich, dass intersexuelle und transidente Menschen
gemeinsam um etwas ringen und miteinander diskutieren. Vielleicht
weil sie von Außenstehenden häufig verwechselt werden, sind die
Tendenzen zur Abgrenzung umso stärker. Den Herausgeber*innen ist zu
verdanken, dass sich aus der vorliegenden Publikation ein konzises
Bild ergibt.
Der Band gliedert sich in vier Bereiche. Im ersten werden
selbstbestimmte und naturwissenschaftliche Perspektiven gewählt:
Livia Prüll zeichnet ihr Bild einer transidenten Frau, die
Kinderärztin Ursula Kuhnle-Krahl referiert über biologische
Faktoren, die Männer von Frauen unterscheiden. Der zweite Teil
behandelt ethische Fragen: Laura Münker widmet sich dem
angemessenen Umgang mit frühen medizinischen Eingriffen bei
intersexuellen Kindern, die ex post von vielen Betroffenen
abgelehnt würden. Friederike Maaßen betrachtet Kinder als Akteure
in der medizinischen Behandlung und zeigt, weshalb diese angemessen
einbezogen werden sollten. Der pensionierte Kinderarzt Jörg
Woweries denkt in seinem Beitrag über Geschlechtsidentitäten und
Rollenzuschreibungen nach. Die binäre Gleichsetzung von männlich
und weiblich lehnt er ab und schlägt vor, auf den
Geschlechtseintrag im Geburtenregister zu verzichten. Hieran knüpft
im dritten Teil die renommierte Jura-Professorin Konstanze Plett in
ihrer Darstellung des veränderten Personenstandsgesetzes an. Sie
verweist auf das Preußische Landrecht, in dem mit Erreichen der
Volljährigkeit der Mensch selbst entscheiden konnte, welchem
Geschlecht sie/er sich zuordnete. Im vierten Teil wird auf die
individuellen und gesellschaftlichen Herausforderungen sexueller
Identitäten eingegangen. Erwähnt sei noch der Beitrag zu einer
Studie über transidente Kinder »unsicher, klar, selbstbestimmt« aus
Sachsen-Anhalt. Denn gesellschaftliche Veränderungen in der
Wahrnehmung und im Ausleben finden nicht nur in den Metropolen
statt, sondern auch dort, wo national-konservative Meinungen wieder
erstarken. Insgesamt gelingt den Herausgeberinnen ein aktueller
Beitrag nicht nur zu Inter* und Transridentität, sondern zur
Identitätsfrage überhaupt.
Der Psychosozial-Verlag hat in seinen »Beiträgen zur
Sexualforschung« in den vergangenen Jahren mehrere wichtige
Publikationen zu Inter- und Transsexualität veröffentlicht, die in
dem kontrovers diskutierten und oft durch Unkenntnis oder auch
Überinterpretation geprägten Feld fruchtbare, wenn auch polyvalente
Erkenntnisse bieten – etwa der Band »Intersexualität kontrovers«
von Richter-Appelt und Schweizer (2012), die zu dem hier
rezensierten Buch ein Vorwort beigesteuert haben. Die Standards of
Care der Transgender-Gesundheitsversorgung, 2014 übersetzt und
kommentiert von Richter-Appelt und Nieder, sind in diesem Verlag
erschienen; ebenso »Intergeschlechtlichkeit – Impulse für die
Beratung« von Manuela Tillmanns (2015) oder die Dokumentation einer
Tagung der Organisation TIAM, Trans-Inter-Aktiv in
Mitteldeutschland, »Geschlechtliche Vielfalt (er-)leben. Trans*-
und Intergeschlechtlichkeit in Kindheit, Adoleszenz und jungem
Erwachsenenalter«. Wer sich mit Inter* oder Trans*identität
beschäftigen will, kommt am Psychosozial-Verlag nicht vorbei!
www.mabuse-verlag.de