Rezension zu Mutterbilder

Zeitschrift für Volkskunde,. Beiträge zur Kulturforschung, 112. Jahrgang, Heft 1/2017

Rezension von Elisabeth Timm

Der Sammelband ist aus einem Symposium in Marburg hervorgegangen, welches das Gleichberechtigungsreferat der Stadt Marburg mit Wissenschaft und Kunst zum Thema »Mutterbilder« zusammenbrachte: »Im Mittelpunkt stand die Frage, wie ›natürlich‹ Muttersein und Mutterliebe ist und wie sich die gesellschaftlichen Vorstellungen auf die weibliche Identität und das Selbstverständnis von Frauen als Mütter auswirken« (S. 7). Mit der hier formulierten Natur-Kultur-Dichotomie als Ausgangspunkt der Argumentation und mit »weiblicher Identität« als Subjektkonzept orientiert sich das Herausgeberinnenstatement an einem etwas in die Jahre gekommenen Diskussionsstand. Begriffe wie »Mythos« könnten kulturanthropologisch produktiv sein, werden aber spontan-pejorativ, im Sinne von: nicht wahr oder bloß ideologisch verwendet. Auch die Nennung des »eklatanten Geburtenrückgangs in Deutschland« im Präsens Indikativ (S. 9, ähnlich S. 20) verwundert – ist doch der »Geburtenrückgang« eine Aussage, die auf nationalem Vorbehalt gründet. Es ist ein Unterschied, ob man die Ungleichverteilung von Reproduktionsarbeit zu Lasten von Frauen und Müttern kritisiert und versucht, wissenschaftlich herauszufinden, wie es politisch und alltäglich zu dieser verlässlichen Geschlechterordnung kommt und wie sich das in Reproduktionsentscheidungen zeigt, oder ob man das ohne Reflexion bevölkerungspolitischer Diskurse en passant als nationales Problem zitiert.

Helga Krüger-Kirn (Psychologin/Psychoanalytikerin) argumentiert in ihren beiden Beiträgen zu Mutterschaftswahrnehmung bzw. zu Mutter-, Vater- und Elternschaftskonzepten mit dem matriarchatsfeministischen Ansatz von Claudia von Werlhof und dem leibtheoretischen Zugang von Barbara Duden. Das bleibt sehr allgemein und reflektiert nicht den reichhaltigen Diskussionsstand zu differenzfeministischer Politik und Wissensproduktion im Allgemeinen und zum Werk von Barbara Duden im Besonderen. Aus der Perspektive der Europäischen Ethnologie ist das dort zu vereinfacht, wo die Autorin mit der Viktimisierungsperspektive auf Frauen über »Reproduktionsmedizin« schreibt – zu deren Praxis und Politik liegen aus unserem Fach aktuelle Forschungsbeiträge der Europäischen Ethnologie reichhaltig vor (z.B. Sven Bergmann, Maren Heibges [geb. Klotz], Michi Knecht). Unklar bleibt, warum die hier eingenommene psychoanalytische Perspektive mit dem Identitäts-Begriff arbeitet (»weibliche Identität«), wie »primäre Mütterlichkeit« »sowohl phylogenetisch als auch individuell tradiert« wird (S. 154) und wie das mit den anderen von der Autorin verwendeten Theorie-Referenzen poststrukturalistischer Provenienz zusammengehen könnte.

Die sozial-, kultur- und medizinhistorische Entwicklung von »Mutterschaft« und »Kindsmord« v.a. im 18. und 19. Jahrhundert ist in den Beiträgen von Marita Metz-Becker auf der Grundlage ihrer bekannten, umfangreichen Quellenstudien sehr dicht dargestellt. Hinsichtlich der Forschungsfrage und der These – »Mutterliebe (...) war nicht angeboren (... und) mußte man sich leisten können« vermisst man aber auch hier die neuere Forschung, in der etwa Iris Ritzmann, Eva Labouvie und Jack Goody einen deutlich komplexeren Emotionsbegriff verwenden und mittlerweile zudem empirisch gestützt und konzeptuell problematisieren, was die simplifizierten Thesen der »bürgerlichen Erfindungen« (Mutterliebe, Kindheit, romantische Liebe etc.) unter der Hand mit sich bringen: einen von der Gegenwart ausgehenden Eurozentrismus mit vertauschten Vorzeichen.

In den Beiträgen von Elisabeth de Sotelo (Psychologie/Bildungsforschung) und von Helga Krüger-Kirn ergibt sich ein Kurzschluss von Versatzstücken aus der Sozialgeschichte, ideologiekritischen Positionen und identitären Weiblichkeitskonzepten auf die Handlungsmöglichkeiten und Ressourcenzugänge von Frauen, Müttern und Familien »heute«. Übersprungen wird von ihnen die Dynamik, die sich mit dem Wandel der Wohlfahrtsregime seit den 1970er-Jahren herausgebildet hat, zwischen dem bürgerlichen Ideal der häuslich waltenden Mutter und der Anrufung und Selbstmobilisierung aller Subjekte – einschließlich der Kinder – als eigenverantwortlich und stets aktiv, sei es ehrenamtlich, sei es entlohnt. Es wird nicht erkannt, inwiefern dabei insbesondere Mütter als »beratenes Selbst« adressiert und in neuer Weise gesellschafts- und natalitätspolitisch in die Pflicht genommen werden. So stellt de Sotelo »Baby spielen und Babygymnastik« unter Anleitung von »Ärztinnen und Hebammen« als »erfolgreiches Projekt« vor, da »Mütter« dann in der Lage seien »das Potenzial und die Entfaltungsmöglichkeiten ihrer Babys wahrzunehmen«, was »Folgekosten« vermeide (S. 99f.). Diesen Argumentationen fehlen das Fundament aktueller empirischer Forschung sowie ein diskursanalytischer und wissensgeschichtlicher Horizont, wie sie etwa in den Beiträgen von Sabine Toppe (Geschichte der Sozialen Arbeit) zu Mutterpositionierungen in Ungleichheitsdiskursen der gegenwärtigen Sozialpolitik, von Ulrike Wagner-Rau (Praktische Theologie) zu Mutterbildern in der evangelisch-christlichen Theologie und von Karin Flaake (Soziologie/Frauen- und Geschlechterforschung) zur Aushandlung neuer Geschlechter- und Generationenordnungen in westdeutschen Familien der Gegenwart formuliert sind.

Insgesamt hinterlässt der Sammelband einen heterogenen Eindruck. Das resultiert nicht aus den weit gespannten fachlichen Zugängen, sondern aus der unterschiedlichen theoretischen und analytischen Kohärenz der einzelnen Beiträge.

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