Rezension zu Empirische Forschung in der Psychoanalyse
Unisono. Zeitschrift der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt
Rezension von Herwig Oberlerchner
Zu Beginn des Jahres 2001 wurde von engagierten und an der
Themenvielfalt der Psychoanalyse interessierten Studenten und
Mitgliedern der Universität Klagenfurt die Klagenfurter
Psychoanalytische Mittwoch-Gesellschaft gegründet mit der Idee
durch Organisation öffentlicher Vorträge einem breiten Publikum die
Lebendigkeit und Aktualität der Psychoanalyse nicht nur als
Psychotherapieform sondern auch als Wissenschaft der unbewussten
Prozesse und als Kulturtheorie vor Augen zu führen. Aus diesen
breit gefächerten Vorträgen entstand das Buch »Psychoanalyse im
Spannungsfeld von Humanwissenschaft, Therapie und Kulturtheorie«,
erschienen bei Brandes & Apsel (Poscheschnik und Ernst 2003).
Diese Vortragsreihe konnte noch eine Zeitlang fortgesetzt werden
und drei Beiträge (Bänninger-Huber, Schüßler,
Streeck) stellen nun den einen Teil des kürzlich
erschienenen Sammelwerkes dar, daneben konnte der Herausgeber
namhafte Autoren für Beiträge zum Thema Empirische Forschung in der
Psychoanalyse gewinnen.
Noch immer ist die Meinung weit verbreitet, die Psychoanalyse lasse
sich mit empirisch wissenschaftlicher Methodik nicht untersuchen,
ja wird der Psychoanalyse oft sogar Wissenschaftlichkeit und damit
Glaubwürdigkeit, Nachvollziehbarkeit und Gültigkeit abgesprochen.
Auf diesen Unwissenschaftlichkeitsvorwurf kann nun, so der
Herausgeber Gerald Poscheschnik in der Einleitung, defensiv
reagiert werden (Rückzug in die Privatpraxis, Ideologisierung,
Mystifikation und Diskussionsverweigerung) oder offensiv. Zwei
Forschungstraditionen ortet Poscheschnik seit Freuds Zeiten, die
»poetische Forschung«, die anhand von Fallvignetten, Anekdoten oder
gar Romanen faszinierende Einblicke in die Exklusivität der
Begegnung zwischen Therapeut und Klient erlaubt, ohne jedoch die
Psychoanalyse dadurch der Wissenschaftlichkeit näher zu bringen und
die »empirische Forschung« in der Psychoanalyse als stärker
offensive, zweite Tradition, gegen die noch letzte Ressentiments
auch bei einer großen Zahl der Psychoanalytiker abgeschüttelt
werden müssen.
Diese empirische Forschung in der Psychoanalyse orientiert sich
nun, wie es im Buch eindrucksvoll deutlich wird, nicht mehr an den
bereits als überholt geltenden »klassischen« Wissenschaftsidealen
wie der ausschließlichen Verwendung quantitativer Forschungsansätze
oder dem Untersuchen großer Populationen, sondern verwendet
Methoden, die den Besonderheiten der Psychoanalyse Rechnung tragen
(Einzelfallanalyse, Dokumentenanalyse, Handlungs- und
Aktionsforschung, Feldforschung, Evaluationsforschung und
Experimentalforschung).
Die im Buch behandelten Themen sind vielfältig, umfassen die
Traumforschung, die Entwicklungsforschung, die
Wirksamkeitsforschung psychoanalytischer Therapie, die Emotions-
und Interaktionsforschung oder die Bindungsforschung.
Von der Gestaltung und den Ergebnissen dieser Forschungsansätze
geben nun die einzelnen Beiträge im Buch eindrucksvoll Auskunft und
belegen die Psychoanalyse als Humanwissenschaft. Nach der Lektüre
gelangt man mit Poscheschnik zur ermutigenden Erkenntnis, dass die
Psychoanalyse nicht nur den Rang einer vollwertigen Wissenschaft
für sich beanspruchen kann, sondern auch aufgrund guter empirischer
Fundierung psychoanalytischer Theorie und Praxis diese
Wissenschaftlichkeit offensiv vertreten werden kann.
Insgesamt ein empfehlenswertes, inhaltlich hoch aktuelles,
wichtiges, phasenweise sehr anspruchsvolles Buch, das sich an alle
an psychoanalytischen Themen Interessierte richtet.