Rezension zu Geschlechtliche Vielfalt (er)leben
AEP-Informationen, Feministische Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, 44. Jahrgang, Nr. 2/2017
Rezension von Sandra Mayerhofer-Mallaun
»Weshalb erleben Menschen Unbehagen, wenn sie sich über das
Geschlecht ihres Gegenübers unsicher sind?« (S. 41) Trans*phobie,
Ausgrenzung und Diskriminierung sind Bestandteil der Lebenswelt von
trans*- und intergeschlechtlichen Personen. 2015 fand in Weimar der
Kongress »Geschlechtliche Vielfalt (er)leben« statt, dort wurde für
Anerkennung und geschlechtliche Selbstbestimmung plädiert. Die
Beiträge der Referent*innen wurden im vorliegenden Sammelband
veröffentlicht. Alexander Naß nimmt sich dabei im ersten Beitrag
sozialisationssoziologischer Faktoren an und liefert eine wichtige
Basis für das grundsätzliche Verständnis von Persönlichkeit und
ihrer Entwicklung. Rückgreifend auf Hurrelmann stellt er
Interdependenzen zwischen der biologisch-genetischen Anlage und den
Umwelteinflüssen dar und setzt dieses Konzept in Bezug zu
trans*geschlechtlichen Personen. Den Kommunikationswegen, welche
genutzt werden, um eine abweichende Geschlechtsidentität
mitzuteilen, widmet sich Naß im letzten Teil. Der Aufsatz
»Einstellungen, Wissen und Verhalten gegenüber Trans*- und
geschlechtsnonkonformen Personen« von Ulrich Klocke beleuchtet
anschließend die Entstehung und Funktion von Vorurteilen.
Stereotypisierung und soziale Kategorisierungen werden thematisiert
und im Hinblick auf Geschlechternormen Parallelen zu prekärer
Männlichkeit und Homophonie gezogen. Konkrete Handlungsvorschläge,
um Vorurteilen entgegenzuwirken, spannen schließlich den Bogen zur
Praxis.
Auch dem Aspekt des Erstarkens rechtspopulistischer Parteien und
der damit einhergehenden Gefahr für die Anerkennung von
geschlechtlicher Vielfalt und Selbstbestimmung wird durch
Heinz-Jürgen Voß Rechnung getragen. Er beleuchtet die Hintergründe
und thematisiert u. a. die Instrumentalisierung von Sexualität im
Zusammenhang mit der Silvesternacht in Köln. Des Weiteren finden
sich Beiträge von Eike Richter und Emily Laing, welche sich mit der
Bedeutung von Geschlecht, Binarität und geschlechtlicher Vielfalt
in der Rechtsordnung beschäftigen und damit auch mit der Frage, ob
auf die Kategorie Geschlecht verzichtet werden könnte, sowie
Aufsätze von Kurt Seikoswski und Simon Zobel.
Dieser Sammelband bietet von einer evolutionsbiologisch
mehrdimensionalen Betrachtungsweise von Geschlechtlichkeit, über
die Analyse der Bedeutung des Geschlechts im Recht, bis hin zu
praktischen Handlungsanregungen und Literaturhinweisen eine
umfangreiche Bandbreite rund um Trans* und Intergeschlechtlichkeit,
und wird damit der in der Thematik innewohnenden Komplexität
gerecht. Auch wenn dieses Werk sich vor allem an pädagogisches und
psychologisches Fachpersonal richtet, ist es durch die leicht
verständliche Sprache und lebensnahe Thematisierung für alle
Interessierten empfehlenswert.