Rezension zu Die innere Arbeit des Beraters

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Rezension von Karin Lackner

Thema

Schon als das Buch Teamcoaching und Teamsupervision 2015 von den beiden Autoren Obermeyer und Pühl erschienen ist, war ich freudig überrascht, neben all der systemischen Literatur zu Coaching, Supervision und Beratung (die ich keineswegs gering schätzten möchte), neben all den Methoden- und spiegelstrichartigen Anleitungsbüchern zu ›guter‹ Beratung ein Buch zu lesen, das sich mit den psychodynamischen Aspekten der Berater/innen Arbeit befasst.

Das ein Jahr später erschienene Buch über die innere Arbeit des Beraters schließt an die Denkmodelle psychodynamischer Theorien an und beschreibt anhand von Praxisbeispielen und deren Reflexion die »andere« Arbeit der Berater/innen, wo Berater/innen selbst das Instrument ihres professionellen Tuns sind, Stimmungen, Affekte, eigene Betroffenheit erkennen und als Interventionsmöglichkeit nutzen können. »Die jeweilige Subjektivität des Beraters wirkt im praktischen Fall vermutlich deutlich prägender auf das Beratungsgeschehen als die Referenz auf die globale akademische Rahmenkonzeption« (S.7).

Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um einen Sammelband, bestehend aus elf Beiträgen. Die Beiträge erstrecken sich inhaltlich über ein breit gefächertes Spektrum beraterischer Tätigkeit. So bekommen Leser/innen einen Einblick in die hinter der Bühne der Beratung stattfindenden Gedanken- und Gefühlswelten der Autor/innen, wenn diese über ihre Beratungsfälle berichten. »Viele der Beiträge dieses Bandes suchen nach Möglichkeiten, um das innere Erleben der Beraterin für den Beratungsprozess nutzbar zu machen. In einer anderen Hinsicht kreisen sie aber auch um die Verletzlichkeit der Berater, an denen ihre Arbeit eben nicht spurlos vorüber geht« (S.13).

Diese Beiträge bestimmen den Großteil des Buches. Daneben gibt es auch Texte, die sich auf einer akademisch höheren theoretischen Ebene von den Gefühlswelten ›abheben‹ und zum Rationalisieren anregen. Praktische Hinweise liefern Texte, die beispielsweise entwicklungspsychologisches Grundwissen vermitteln, oder eher nüchtern die Kooperationsbeziehungen unter Berater/innen beschreiben.

Inhalte

Das Buch wird mit einem Beitrag von Rudolf Hetzel über die »(Gegen-)Übertragung der Berater/innen in der organisationsbezogenen Beratung« eröffnet und erklärt Leser/innen im ersten Teil des Beitrages, was unter Gegenübertragung heute zu verstehen ist. Bevorzugt empfohlen für die zirkuläre Beziehungsarbeit in der Beratung wird letztendlich das Modell der Ko-Kreation (Bohleber 1999), der in der Gegenübertragung eine gemeinsame Schöpfung von Klient/in und Berater/in sieht. Supervision und Beratung müsse demzufolge intersubjektiv verstanden werden. Darüberhinaus sei in der organisationsbezogenen Beratung trianguläre Kompetenz erforderlich, wenn man in das ohnehin schon komplexe Beziehungsgeschehen zwischen Klient/in und Berater/in die Organisation als drittes Kräftefeld miteinbezieht. Dem zweiten Teil des Textes unterlegt der Autor seine These mit Ausschnitten aus seiner eigenen Biographie, dass »wenn wir psychodynamisch beraten, (arbeiten wir) immer auch an uns selbst, an unseren inneren Objektbeziehungen und an unseren eigenen Traumatisierungen« (S.29).

Um »organisationale Macht und institutionelle Gegenübertragung« geht es auch in dem zweiten Beitrag des Buches von Wolfgang Weigand. Auch in diesem Beitrag wird die Organisation als das Fremde, Macht ausübende Objekt stilisiert, das Klient/innen und Berater/innen gleichermaßen mit Ängsten konfrontiert und Ohnmachtserfahrungen permanent reaktiviert. »Als Opfer verletzender Machtverhältnisse mit den mächtigen Personen einer Organisation zusammenzuarbeiten, konfrontiert mit den eigenen lebensgeschichtlichen Machterfahrungen, erzeugt eine hohe Sensibilität für den Machtmissbrauch, die positiv nutzbar, aber auch hinderlich sein kann« (S.41). Weigand beschreibt die Potenz von Macht hauptsächlich aus der Perspektive jener, auf die Macht ausgeübt wird. In Supervisionsprozessen trifft das wohl auf die meisten Klient/innen zu. Am Ende kommt er zu dem Schluss, dass »alle Mitglieder einer Organisation in eine dynamische Matrix wechselseitiger Bemächtigungsversuche eingebunden (sind), die insgesamt die Machtverhältnisse einer Organisation bestimmen« (S.42). Für die supervisorische Arbeit bedeutet dies ein Arbeiten in der Ambivalenz von Hoffnung und Enttäuschung.

Der poetische Text von Marga Löwer-Hirsch über den »intermediären Raum in der Beratung« verweist auf Winnicotts Theorie des Übergangsraumes. Der Raum der Beratung ist für die Autorin ein symbolischer Ort. Sie unterfüttert ihren Text mit Fallbeispielen, Träumen, Beispielen aus der Literatur und aus Märchen. In ihren Ausführungen beschreibt die Autorin das Leben in diesem Raum der Möglichkeiten des Ausprobierens und die Asymmetrie seiner Grenzen. Besondere Aufmerksamkeit widmet sie der Dimension der Zeit, betrachtet als ein Nacheinander, Nebeneinander und Gleichzeitigkeit im Beratungsprozess. Der Text ist hoch dosiert selbstoffenbarend und bietet den Leser/innen Identifikationsangebote an: »Vielleicht geht es ihnen so wie mir« (S.54) – was jedoch, wenn es mir nicht so geht?

Der Dreh- und Angelpunkt des Beitrages von Harald Pühl sind »Scheiterungsszenarien in Beratungsprozessen«. Grundmuster von Beratung ist eine Dreiecksdynamik, in der Klient/innen, Berater/innen und Systemhintergrund in einem dynamischen Kräfteverhältnis stehen. Wie kann trotz gegenseitiger Abhängigkeitsverhältnisse in diesem Triangel Freiheit in der Beratung gelingen? Aus der Analyse eines Fallbeispiels leitet Pühl drei Kernaussagen ab: Berater brauchen Mut, auch unangenehme Dinge ansprechen zu können; Verrats- und Schuldgefühle hemmen Berater/innen im Kontakt mit Dritten; das Spüren innerer Bewegungslust und Bewegungsangst eröffnet Berater/innen und Klient/innen neue Wahrnehmungs- und Handlungsdimensionen. Emotional bleibt der Beitrag in Balance. Hier werden nicht nur die negativen Aspekte der inneren Arbeit der Berater/innen hervorgehoben, sondern Lösungen für die notwendigerweise in Beratungsprozessen auftretenden Widersprüche angeboten.

Auch in dem Beitrag von Klaus Obermeyer über die »Angst des Beraters vor der Beratung« gelingt es, die ambivalente dialektische Spannung von Angst und Lust, Scheitern und Erfolg zu halten und nicht in die dunklen Seiten abzudriften. Dabei hilft auch die »ent-schwerte«, humorvolle, selbst ironisierende Sprache, mit der Fallbeispiele beschrieben werden oder aus der griechischen Mythologie zitiert wird. Der Autor leitet seinen Text mit der Geschichte des (unvollkommenen) Hephaistos ein, der, obwohl körperlich behindert, also unvollkommen, großartige erfinderische Leitungen erbracht hatte. Die Unvollkommenheit der Berater/innen ist zugleich Kränkung als auch Quelle für Erfolg. »Es scheint mir ein gedeihlicher und pragmatischer Zugang zum Thema Beraterangst zu sein, diese als Produktivkraft im Beratungsprozess anzusehen« (S.93). Obermeyer beschreibt drei Typen von Berater/innen, wo jeweils die Balance aus dem Lot kommen kann: Gehemmte Berater/innen, verletzte Berater/innen, vom Verschwinden bedrohte Berater/innen.

Bei den nächsten Beiträgen handelt es sich weniger um die innere Arbeit der Berater/innen, sondern eher um eine »Auseinandersetzung mit der Rolle und Funktion der Berater/innen«.

Angela Gotthardt-Lorenz und Wolfgang Knopf greifen den Aspekt der Einsamkeit von Berater/innen als Einzelunternehmer/innen auf. Hier geht es nicht so sehr um die innere Arbeit der Berater/innen sondern um deren Zusammenarbeit. Berater/innen sind Einzelkämpfer/innen und bewegen sich im Feld in Kooperations- als auch gleichzeitig in Konkurrenzbeziehungen. In größeren Beratungsprojekten jedoch werden Kooperationsbeziehungen notwendig. Der Text bietet eine Reihe von Aspekten beraterischen Tuns, die hier skizziert werden.

Um die Autonomie und Selbststeuerung von selbständig tätigen Berater/innen geht es auch in dem Beitrag von Cäcilia Debbing, die retrospektiv ihren Sprung in die Selbständigkeit beschreibt. Auch hier tut sich das Spannungsfeld zwischen Angst und Lust auf. Als modellhafte Unterstützung ihres Analyseprozesses bedient sich die Autorin des Tetralemmas, wobei sie dieses in leicht abgewandelter und gekürzter Form darstellt. Interessanterweise fehlt in dem Beitrag der Bezug zum Markt und damit zur Konkurrenz – ein, wie aus dem vorherigen Beitrag zu entnehmen war, nicht unerheblicher Einflussfaktor für Selbstständige. Dafür bietet die Autorin eine Reihe von Tools am Ende ihres Beitrages an.

Anusheh Rafi setzt sich theoretisch mit der Allparteilichkeit von Mediator/innen auseinander. Der Text beschreibt unterschiedliche Positionen zum Thema Allparteilichkeit und orientiert sich letztendlich an dem Modell von Boszomeny Nagy, wonach Mediator/innen nacheinander jeweils die Partei ihrer Klient/innen ergreifen, und distanziert sich von einer neutralen Haltung in der Beratung. Innere Freiheit der Mediator/in und gleichzeitige Verstrickung in das Beratungsgeschehen werden als Widerspruch gezeichnet und analysiert.

Hermann Staats stellt in seinem Beitrag »Antworten unter Druck« die psychoanalytisch interaktionelle Methode PMI als eine besondere Form des Sich-in-Beziehung-Setzens vor. Er tut dies entlang eines Fallbeispiels aus der sozialen Arbeit. Es geht um Kindeswohlgefährdung. Eine der Besonderheiten dieser Methode ist es, dass das Erleben der Gegenübertragung schnell reflektiert und in eine Intervention umgesetzt werden muss. »Hier sind Vorgehensweisen wie das ›Antworten‹ in der psychoanalytisch interaktionellen Methode hilfreich« (S.153). Mehr zur Methode selbst wird nicht berichtet. Der Autor verweist hier auf einschlägige Literatur. Dafür bekommt man eine – im Verhältnis zum eigentlichen Text – sehr ausführliche Einführung in die Entwicklungspsychologie. Der gewählte Fall ist komplex und kann wohl aufgrund der Kürze des Beitrags nicht durchanalysiert werden. Der Autor verliert sich manchmal in diverse psychoanalytische Theorien – am Ende bin ich als Leser/in eher verwirrt.

Einen humorvollen Ratgeber für Berater/innen liefert Michael Völker mit seinem Beitrag über Resilienz als »Brandschutz für die Seele«. Im ersten Teil des Beitrags finden Leser/innen Beratungsempfehlungen zur Stärkung der Resilienz bei Klient/innen, im zweiten Teil Empfehlungen zur Stärkung der Resilienz bei Berater/innen. Gute Erfahrungen machte der Autor hierbei mit der Methode der »Appreciative Inquiry«.

Der letzte Text in diesem Buch von Ottfried Schäffter unterscheidet sich von allen vorherigen Abhandlungen. Im Kern geht es um die »Innen-Außen Relationen in einem Beratungsprozess«. Dieser stellt sich als dynamische Triade zwischen Berater/innen, Klient/innen und deren Interaktion dar. Zuvor jedoch liest man sich durch einen Diskurs relationstheoretischer Psychoanalyse. Auch sprachlich hebt sich dieser Beitrag von den anderen ab. Kompliziert und wortkreativ ist der Text eher schwer verdaulich. Eine Kostprobe? So heißt es beispielsweise zur Verdeutlichung der »inneren« und »äußeren« Beziehung, dass »deren Momente sich schließlich im Vollzug einer ›transzendentalen Beziehung‹ auf einem logisch höheren Syntheseniveau verzwirnen« (S.173). Der Zweck der Übung klärt sich dann gegen Ende des Beitrags, wo die funktionale Asymmetrie innerhalb des Beratungssystems als ein »komplementäres Dienstleistungsverhältnis« diskutiert wird. Berater/innen und Klient/innen finden durch ihr komplementäres Zusammenspiel gemeinsam zu einer interaktiven Wertschöpfung, wozu sie jeweils alleine nicht in der Lage gewesen wären. Dazu braucht es allerdings distanzierende Abstraktionsfähigkeit.

Diskussion

Es ist kein Buch über Erfolgsstories, Euphorien, Triumphe oder Flows. Es ist ein Buch, das zum Nachdenken anregt. Hier werden Geschichten aus der Praxis beschrieben, die nicht so glatt gelaufen sind, aber gerade deswegen wertvolle Erfahrungen darstellen, die, wenn reflektiert, Lernprozesse eröffnen. Erfolg macht ja sprichwörtlich lernresistent, daher sind wohl die schwierigen Fälle ergiebiger – obwohl die eine oder andere Erfolgsstory dem Buch nicht geschadet hätte. In der Analyse überwiegt selbstkritische Nachdenklichkeit. Die einzelnen Autor/innen geben in ihren Texten viel von ihrem Innenleben preis. Diese Selbstoffenbarungen helfen die oft verdeckten und psychodynamisch verwickelten Beziehungsgeschichten zwischen Klient/innen und Berater/innen zu verstehen und nachzuvollziehen. Das Maß der Selbstoffenbarung ist je nach Autor/in durchaus unterschiedlich, manchmal sogar ein bisschen überdosiert. Muss ich als Leser/in wirklich bis in die tiefsten Kindheitsgeschichten, in die biographischen Wurzeln der Autor/innen eintauchen? Oder genügte mir ein Hinweis?

In manchen Texten wird auf die Ambivalenz von Angst und Lust verwiesen, wobei auch hier die Angst in den Vordergrund reflektiert wird. Von der Lust liest man eher wenig. (Aus eigener Beratungserfahrung kann ich berichten, dass Beratung durchaus auch ihre lustvollen Momente hat.)

Arbeitsweltliche Beratung findet meist im Kontext von Organisation statt. So haben auch die Fallbeispiele in diesem Buch eine organisatorische Rahmung im Feld von NPOs. Ähnlich düster wie die Praxisbeispiele wird auch Organisation gezeichnet. Es werden die negativen Seiten der Organisation hervorgehoben. Sie wird als das Macht Ausübende gezeichnet, das Ohnmacht und Opfer Erzeugende.

Auch wenn von Arbeitsgruppen oder Teams die Rede ist, wird die regressiv-destruktive Gruppendynamik hervorgehoben, die Sog und Druck auf die Klient/innen ausübt. Die Aspekte von Gruppen, wo Zugehörigkeit Glücksgefühle mobilisieren kann, die dann als durchaus angenehm erlebt werden, sowie die Aspekte von Organisation, wo sie positiv, hilfreich und nützlich sein könnte, bleiben im Schatten.

Fazit

Das Buch besteht aus ganz unterschiedlichen Beiträgen, die jeweils auch ganz unterschiedliche Leser/innen Interessen ansprechen. Wer gerne in theoretischen Diskursen schwelgt, könnte sich in die Beiträge von Hetzel, Staats und Schäffter vertiefen. Solche Leser/innen werden vermutlich von den praxisnahen Texten weniger angesprochen werden.

Leser/innen, die sich durch den Titel des Buches, der inneren Arbeit der Berater/innen angesprochen fühlen, werden sich an den Beiträgen von Weigandt, Pühl, Obermeyer und vielleicht auch an dem Text von Löwer-Hirsch orientieren. Für solche Leser/innen werden vermutlich die praktischen Beiträge wenig Erkenntnis über die innere Arbeit der Berater/innen liefern.

Wer sich Gedanken über sein oder ihr professionelles Wirken macht, findet gute Hinweise dazu in den Beiträgen von Gotthardt-Lorenz und Knopf sowie bei Debbing.

Konkrete methodische Praxishinweise finden sich dann bei Debbing, Rafi, Staats und Völker.

Jeder dieser genannten Schwerpunkte könnte ein Werk für sich bilden. Diese alle in einem Buch mit dem Titel »Die innere Arbeit des Beraters« zusammenzuwürfeln ist eine interessante Konzeption.

Rezensentin
Prof. Dr. Karin Lackner
Universität Kassel, Fachbereich 1 Humanwissenschaften, Institut für Psychologie, Lehrstuhl für Organisationsberatung, Supervision und Coaching
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